Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Autokäufer kann nach Anfechtung des Kaufvertrags vom Darlehensgeber die bereits gezahlten Kreditraten zurückverlangen

Autokäufer kann nach Anfechtung des Kaufvertrags vom Darlehensgeber die bereits gezahlten Kreditraten zurückverlangen

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Verbraucher K kauft 2018 von Händlerin V einen „Neuwagen“. V weiß, dass das Auto nicht neu ist. Zur Finanzierung nimmt K bei der Bank B, die sich Vs Mitwirkung bedient, ein Darlehen auf. Dieses zahlt B vertragsgemäß an V aus. 2020 bemerkt K die Täuschung und ficht den Kaufvertrag an. B verlangt weiter Tilgung der vereinbarten Darlehensraten.

Diesen Fall lösen 76,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Autokäufer kann nach Anfechtung des Kaufvertrags vom Darlehensgeber die bereits gezahlten Kreditraten zurückverlangen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Anspruchsgrundlage für den Anspruch des Darlehensgebers gegen den Darlehensnehmer auf Rückzahlung eines Darlehens ist § 488 Abs. 1 S. 2 BGB.

Ja!

Nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Darlehensnehmer verpflichtet, geschuldete Zinsen zu zahlen und bei Fälligkeit die Darlehensvaluta zurückzuzahlen. Die Voraussetzungen hierfür sind: (1) Wirksamer Darlehensvertrag; (2) Zurverfügungstellung bzw. Auszahlung des Darlehens („Valutierung“) an den Darlehensnehmer oder auf dessen Veranlassung an einen Dritten; (3) Fälligkeit der Rückzahlung. K und B haben einen wirksamen Darlehensvertrag geschlossen. B hat die Darlehensvaluta vereinbarungsgemäß, also auf Veranlassung des K, an V überwiesen und sie dadurch K im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB zur Verfügung gestellt. Die Fälligkeit der Tilgungsraten folgt aus den konkreten Vereinbarungen mit K.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Infolge der Anfechtung ist der Darlehensvertrag jedoch von Anfang an nichtig, § 142 Abs. 1 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zwar hat K den Kaufvertrag mit V wirksam angefochten, weil V den K arglistig über die Neuwageneigenschaft des Fahrzeugs getäuscht hat und davon auszugehen ist, dass K den Vertrag ohne die Täuschung nicht oder nicht in dieser Form geschlossen hätte (§ 123 Abs. 1 BGB). Allerdings gilt dies nur für den Kaufvertrag zwischen K und V, nicht aber für den Darlehensvertrag zwischen K und B. Ob dieser ebenfalls anfechtbar ist, kann dahinstehen, weil K schon keine Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) abgegeben hat. Aufgepasst! Bitte in der Klausur nicht die Relativität der Schuldverhältnisse übersehen!

3. K kann sich jedoch auch gegenüber B auf die Anfechtung des Kaufvertrags berufen, wenn die Voraussetzungen des § 359 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen.

Ja, in der Tat!

§ 359 Abs. 1 BGB regelt den sog. Einwendungsdurchgriff bei verbundenen Verträgen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Verbraucher nicht dadurch schlechter stehen soll, dass er keinen einheitlichen Kaufvertrag schließt, sondern den Erwerbsvorgang in zwei verschiedene Verträge – Kaufvertrag und Finanzierungsdarlehen – aufteilt (Müller-Christmann, in: BeckOK BGB, 59.E. 2021, § 359 RdNr. 1). Die Voraussetzungen sind im Einzelnen: (1) Darlehensvertrag eines Verbrauchers; (2) finanzierter Vertrag des Verbrauchers mit einem Unternehmer; (3) Verbund dieser Verträge; (4) Einwendung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer. Rechtsprobleme in Dreipersonen-Verhältnissen kommen besonders oft in Klausuren dran. Arbeite hier besonders sorgfältig.

4. Die Voraussetzungen für den Einwendungsdurchgriff aus § 359 Abs. 1 S. 1 BGB sind hier erfüllt, sodass K die Zahlung weiterer Tilgungsraten verweigern kann.

Ja!

Verbunden sind die Verträge in Anlehnung an § 358 Abs. 3 BGB, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Verbrauchervertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. K ist Verbraucher (§ 13 BGB) und hat einen Darlehensvertrag mit B geschlossen. Daneben hat K auch mit Unternehmerin (§ 14 BGB) V einen Vertrag geschlossen. Der Darlehensvertrag dient gerade der Finanzierung des Autokaufvertrags und B bediente sich der Mitwirkung von V, sodass die Verträge gemäß § 359 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB miteinander verbunden sind. Schließlich kann K infolge der Anfechtung auch gegenüber V die Einwendung des § 142 Abs. 1 BGB geltend machen. Damit ist der Einwendungsdurchgriff aus § 359 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar.

5. Darüber hinaus K kann infolge der Anfechtung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die Rückzahlung bereits gezahlter Tilgungsraten verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB setzt voraus, dass der Schuldner (1) durch Leistung eines anderen (2) ohne Rechtsgrund (3) etwas erlangt hat. Die Rückzahlungsraten des K sind Leistungen, durch die B auch etwas erlangt hat (Eigentum und Besitz von Bargeld oder – im Falle einer deutlich wahrscheinlicheren Banküberweisung – Zahlungsansprüche gegen eine Bank). Allerdings konnte die Anfechtung des Kaufvertrages mit V nur diesen, nicht aber den Darlehensvertrag rückwirkend beseitigen (§ 142 Abs. 1 BGB). Damit hat K nach wie vor mit Rechtsgrund geleistet, sodass eine Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ausscheidet.

6. K kann die gezahlten Tilgungsraten dennoch gemäß §§ 813 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen, da ihm infolge der Anfechtung ex tunc eine Einrede gegen B zustand.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 813 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Leistende seine Leistung auch dann zurückfordern, wenn er sie zwar mit Rechtsgrund erbracht hat, aber gleichwohl (1) zum Zeitpunkt der Leistung (2) eine dauerhafte Einrede hätte erheben können. Der Einwendungsdurchgriff des § 359 Abs. 1 S. 1 BGB ist als dauerhafte Einrede ausgestaltet. BGH: Zwar habe K den Kaufvertrag mit V erst nach Zahlung der Tilgungsraten angefochten; allerdings entfalte die Rückwirkungsfiktion aus § 142 Abs. 1 BGB absolute Wirkung und gelte deshalb auch gegenüber B. K stand folglich die Einrede aus § 359 Abs. 1 S. 1 BGB von Anfang an zu, sodass er die Tilgungsraten gemäß § 813 Abs. 1 S. 1 BGB kondizieren kann. Teilweise wird diskutiert, die für den Widerruf bei verbundenen Verträgen geltende Sonderregelung des § 358 Abs. 4 S. 5 BGB hier analog anzuwenden. Der BGH lehnt dies mangels planwidriger Regelungslücke ab.

7. Dieses Ergebnis ist für K ein Glücksfall, da er nun sowohl von V den Kaufpreis zurückerhält, als auch von B die Rückzahlung der Darlehensraten verlangen kann.

Nein!

Dass das nicht das Ergebnis sein kann, liegt auf der Hand. K kann von B daher die Rückzahlung der Tilgungsraten nur Zug um Zug gegen Abtretung seiner eigenen Kondiktionsansprüche gegen V verlangen. Trotzdem geht K aus der Situation als „Gesamtsieger“ hervor: Dank des Einwendungsdurchgriffs kann er sich bei der Rückabwicklung letztlich allein an die Bank B halten, die sich in aller Regel als zahlungskräftiger Schuldner erweisen wird. B hingegen muss sich nun bei einer arglistigen Autohändlerin schadlos halten und ist damit einem größeren Insolvenzrisiko ausgesetzt. Wie man rechtlich begründet, dass K der B seine Kondiktionsansprüche gegen V abtreten muss, dazu werden unterschiedliche Ansätze vertreten: (1) Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung, (2) Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage sowie (3) § 242 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 4. 12. 2007 - XI ZR 227/06 = NJW 2008, 845; Habersack, in: MüKo BGB, 8.A. 2019, § 359 RdNr. 67). Ein solcher Fall ist höchst examensrelevant: BGB AT verknüpft mit Systemverständnis, Bereicherungsrecht und abgefahrenen Normen. Ein Traum der Prüfungsämter!
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LOC

Locke

17.11.2021, 15:01:52

Dafür, dass Kaufvertrag und Darlehensvertrag eine „wirtschaftliche Einheit“ gem. 358 III 2 BGB bilden, gibt der geschilderte Sachverhalt m.E. nichts her. Das die Darlehensvaluta direkt an V gezahlt werden, dürfte nicht reichen. Erforderlich wäre, das B sich „bei Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrages“ der Mitwirkung des V bedient hätte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.11.2021, 20:19:59

Sehr guter Hinweis. Wir haben nun im Sachverhalt klargestellt, dass bei Abschluss des Vertrages sich B der Mitwirkung der Händlerin V bediente und damit die notwendige wirtschaftliche Einheit (§ 358 Abs. 3 S. 2 BGB) vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri

ri

20.3.2022, 12:18:33

Könnte man nicht argumentieren, dass die Bank dadurch, dass sie sich Vs Mitwirkung bedient, in dessen Lager steht und K daher den Darlehensvertrag nach 123 I anfechten kann, da B sich die arglistige Täuschung zurechnen lassen muss?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.3.2022, 11:58:15

Hallo Ri, in der Tat sieht die Rechtsprechung in solchen Konstellationen den Vermittler (hier: V) nicht als Dritten, sodass die arglistige Täuschung des V auch zur Anfechtung des Darlehensvertrages mit der Bank berechtigt hätte (vgl. Rehberg, in: BeckOGK-BGB, 1.3.2022, § 123 RdNr. 48.1 mwN). K hatte hier allerdings gegenüber der Bank im vorliegenden Fall nie die Anfechtung erklärt (vielmehr hatte diese ihm das Darlehen gekündigt). Deswegen war die Anfechtung des Darlehensvertrages selbst gerichtlich nicht zu prüfen gewesen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

9.4.2023, 11:25:01

(a) "B bediente sich der Mitwirkung von V" finde ich etwas abstrakt. Was ist denn das Entscheidende? Dass der Darlehensvertrag durch V angestoßen wurde? Dass B über den Kaufvertrag und seine essentialia negotii informiert war? Dass B überhaupt wusste, dass Darlehen und Kauf verbunden waren? -- (b) Welche der zitierten Normen ist aus Eurer Sicht "abgefahren"?

DAV

David.

26.7.2023, 08:39:49

Könnte man bezüglich der Abtretung der Kondiktionsansprüche auch mit 285 (analog) argumentieren?

IS

IsiRider

13.2.2024, 10:58:29

Liegt hier nicht

Fehleridentität

vor?

TI

Timurso

13.2.2024, 16:16:17

Nein.

Fehleridentität

ist typischerweise eine Fallgruppe, bei der zugleich das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft angefochten werden (bzw. an einem anderen Mangel leiden). Sie wird zum Teil als Ausnahme des Trennungs- und Abstraktionsprinzip gesehen. Hier geht es jedoch um verschiedene Verpflichtungsgeschäfte, die, umso wichtiger, mit verschiedenen Vertragspartnern geschlossen wurden. Insofern kann schon deswegen die Erklärung der Anfechtung ggü. V nicht auch den Vertrag mit B anfechten, § 143 BGB. Zudem ist bei

Fehleridentität

, wie der Name schon sagt, erforderlich, dass beide Geschäfte am selben Mangel leiden. Hier ist der Vertrag mit B jedoch nicht anfechtbar, da die Täuschung durch V passierte und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass B die Täuschung kannte oder kennen musste, § 123 II BGB.

TI

Timurso

13.2.2024, 16:17:54

Okay, letzteren Punkt muss ich mit Blick auf den Thread 2 weiter unten revidieren. Scheinbar wäre der Vertrag auch ggü. B anfechtbar.


© Jurafuchs 2024