Verjährungsfristen – Spezialregelungen: Mängelansprüche
6. April 2025
41 Kommentare
4,7 ★ (8.193 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A glaubt, dass Kuckucksuhren wieder richtig angesagt sein werden und gibt deswegen für €780 eine im Traditionsunternehmen von W in Auftrag. Nachdem A die Uhr geliefert wurde, stellt er fest, dass die Uhr rückwärts läuft. A möchte die Uhr gerne repariert haben.
Diesen Fall lösen 73,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Verjährungsfristen – Spezialregelungen: Mängelansprüche
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat einen Anspruch darauf, dass W ihm eine neue Kuckucksuhr baut (§ 650 Abs. 1 S. 1, 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. As Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB) verjährt innerhalb von zwei Jahren (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB).
Ja!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Cajetan
20.4.2021, 00:37:27

Tigerwitsch
20.4.2021, 23:14:41
Grundsätzlich könnte man das andenken. So wie ich den Sachverhalt verstehe, handelt es sich vorliegend bei der Kuckucksuhr um eine Individualanfertigung, also eine Unikat für EUR 780. Auf einen
Werklieferungsvertragfinden die Vorschriften zum Kaufvertragsrecht (§§ 433 ff. BGB) entsprechend Anwendung, wenn vertretbare Sachen herzustellen sind. Vertretbare Sachen sind demnach bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen (vgl. § 91 BGB). Bei der Herstellung von unvertretbaren Sachen gilt jedoch das Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB). Unvertretbare Sachen sind zum Beispiel die Erstellung eines Gemäldes. Unvertretbare Sachen sind mit anderen Worten Einzelstücke. Da die Uhr wohl ein Unikat ist, sind die §§ 631 ff. BGB anzuwenden.
Bienenschwarmverfolger
24.4.2021, 09:41:45
Für mich sieht es auch so aus, als sei hier über
§ 650 BGBdie Nacherfüllung nach Kaufrecht, §§ 437 ff. BGB, abzuwickeln. Auch wenn die Kuckucksuhr ein Unikat ist, verweist ja § 650 S. 3 BGB nur auf bestimmte Vorschriften des Werkvertragsrechts (aber nicht auf
§ 635 BGB), die neben dem Kaufrecht und nicht an seiner Stelle anzuwenden sind (Palandt § 650 Rn. 6).
Cajetan
24.4.2021, 09:55:04
Genau Bienenschwarmverfolger, ob vertretbar oder unvertretbar spielt doch für die Einordnung eigentlich keine Rolle. Man sollte wirklich meinen, an einer so nicht unwichtigen Stelle hätte sich der Gesetzgeber um mehr Klarheit bemüht.

Tigerwitsch
24.4.2021, 10:06:28
Wie gesagt, mein Kommentar ist auch nur eine Vermutung 😇 Vlt sollte ich das noch etwas präzisieren, was ich gemeint habe: Ich habe ebenfalls den § 650 Satz 3 BGB gesehen, demnach für unvertretbare Sachen einige Vorschriften des Werkvertragsrecht (exklusive
§ 645 BGB) anzuwenden sind. Insofern kann ein
Werklieferungsvertragdurchaus auch für individuelle Anfertigungen angewendet werden. Wenn ich die einschlägige Rechtsprechung bzw Kommentar richtig verstehe, findet
§ 650 BGBnur dann Anwendung, wenn es sich um sog. Serienlieferungen dieser individuellen Anfertigungen handelt (zB Polizeiuniformen, die nach Maß und in Serie gefertigt werden). Handelt es sich um eine Individualanfertigung als „echtes Unikat“ (zB ein Gemälde, Prototyp etc.), gelten die §§ 631 ff. BGB.

Tigerwitsch
24.4.2021, 10:12:45
Im konkreten Fall müsste man mE eruieren, ob für die Kuckucksuhr ein „individueller geistiger Schöpfungsakt“ maßgeblich war. (falls (+): §§ 631 ff BGB) „Seine Grenze findet die Anwendung des Werkvertragsrecht dort, wo die Verkörperung der geistigen Leistung nicht mehr bloß dem Zweck dient, sie (singulär) festzuhalten und damit erfahrbar zu machen, insbesondere dem Zweck, diese zum Gegenstand von (massenhaften) Umsatzgeschäften zu machen.“ (Busche, in MüKO BGB, 8. Auflage 2020, § 650 Rn. 12; Palandt/Sprau, § 650 Rn. 5)
Cajetan
24.4.2021, 10:17:23
Findet diese Einschränkung im Wortlaut eine Stütze? Ich finde das Konstrukt wie angedeutet sehr verwirrend. Wenn man von der Prämisse ausgeht, fände ich dann Anwendung des Werkvertragsrechts doch wieder überzeugender.

Tigerwitsch
24.4.2021, 10:29:37
Ich glaube, es ist in solchen Grenzfällen stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Es wäre toll, wenn sich jmd vom Jurafuchs-Team zu der Frage nochmal äußern könnte 😊

Lukas_Mengestu
27.4.2021, 10:29:13
Hallo ihr Lieben, vielen Dank an dieser Stelle zunächst für die vielen guten Beiträge. Wir finden es wirklich stark, wie ihr hier euch untereinander Hilfe leistet und uns auch auf Fehler in den Fällen hinweist! Vorab - hier ist tatsächlich der
Werklieferungsvertragund nicht der Werkvertrag einschlägig. Um den
Werklieferungsvertragbesser zu erfassen, hilft es vielleicht am besten, sich ihm historisch zu nähern. Seit der Schuldrechtsreform 2002 kommt es für die Frage, ob ein
Werklieferungsvertragvorliegt, nicht mehr auf die Frage an, ob eine vertretbare oder unvertretbare Sache vorliegt. Auch ist es für die Abgrenzung nicht mehr relevant ob der Lieferant oder der Käufer den Ausgangsstoff besorgt.

Lukas_Mengestu
27.4.2021, 10:36:28
Zweck der Neuregelung war vor allem die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und die Unterwerfung der Verträge über die Lieferung herzustellender oder erzeugender beweglicher Sachen unter die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs. Zur Vereinfachung hat man aber nun nicht getrennt zwischen Verbraucherverträgen und anderen Verträgen, sondern sämtliche Verträge über neu herzustellende Sachen dem Kaufrecht unterworfen (ähnlich überschießend ist man auch bei der Umsetzung der Bodenfliesen Entscheidung des EuGH durch den nun geschaffenen § 439 Abs. 3 BGB vorgegangen). Sofern es - wie hier - um eine unvertretbare Sache geht, so treten ergänzend noch werkvertragliche Vorschriften hinzu (§ 650 S. 3 BGB). Es bleibt nichtsdestotrotz dabei, dass es sich um einen
Werklieferungsvertraghandelt.

Lukas_Mengestu
27.4.2021, 10:43:51
Schließlich hat Tigerwitsch zurecht noch die Abgrenzung zu geistigen oder künstlerischen Leistungen gezogen. Hierfür würde es nicht ausreichen, dass es sich bei der Uhr um ein Unikat - mithin eine unvertretbare Sache - handelt. Dieser Fallgruppe lassen sich unter anderem die Auftragsoper, Drehbücher, Theateraufführungen, Portraits, Skulpturen, Architektenwerke und ähnliches unterordnen. In diesen Fällen soll es keinen Unterschied machen, ob die Leistungsergebnisse schriftlich oder sonst verköpert sind, da gerade die geistige bzw. künstlerische Leistung vertragsprägend ist und nicht die "einfache" Herstellung und Übereignung (vgl. Jauernig/Mansel, 18. A. 2021, BGB, § 650 Rn. 1).
Cajetan
27.4.2021, 10:44:36
Vielen Dank für die Antwort, wirklich hilfreich! Aber kannst du dir dann die Einschränkung erklären, die Tigerwitsch oben aus dem MüKo zitiert hat? Das klingt ja doch sehr stark nach "vertretbar/unvertretbar", wenn es doch eigentlich klar sein sollte. Aber finde es klasse, dass die Moderation hier immer am Ball ist 😊

Lukas_Mengestu
27.4.2021, 10:50:50
Zu guter letzt, kann es im Einzelfall noch Abgrenzungsschwierigkeiten bei Sachen gehen, die nicht nur hergestellt und geliefert, sondern zusätzlich auch noch eingepasst und in ein Gesamtwerk eingefügt werden sollen (zB eine Treppe). Hier ist tatsächlich im Einzelfall zu differenzieren, ob der Schwerpunkt der Leistung nach wie vor die Übereignung der Ware ist, was gerade bei einfachen Montagen der Fall sein dürfte (dann
Werklieferungsvertrag) oder ob der Schwerpunkt des Vertrages gerade die Anpassung und der Einbau ist (dann eher Werkvertrag). Die bloße Reparatur von beweglichen Sachen fällt dagegen nie unter
§ 650 BGB, denn es handelt sich nicht um neu herzustellende Sachen. Ich hoffe, damit fällt euch die Abgrenzung zukünftig etwas leichter :) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Cajetan
27.4.2021, 10:55:10
Ah entschuldige, ich habe meine Frage zu schnell geschossen :'D Vielen vielen Dank, eine super Antwort! ☺️
Cajetan
27.4.2021, 10:57:41
Und abschließend noch ein Vorschlag zur Güte: Vielleicht könnte man ja die Zeichenbegrenzung für Moderatoren aufheben, dann müsst ihr eure Antworten nicht auf 4 Kommentare verteilen 😄
Arturio
27.4.2022, 20:15:41
Das A eine „neue Uhr“ gebaut bekommen soll ist doch m.M. nach falsch. Entweder ihr fragt nach bauen, dann ist „stimmt nicht“ die richtige Antwort (aktuell muss man auf stimmt klicken) oder ihr fragt nach Nacherfüllung. Ein Recht auf eine neue Uhr hat er nicht, zumindest noch nicht.

Lukas_Mengestu
29.4.2022, 15:24:47
Hallo Arturbuu, vielen Dank für Deinen Hinweis. Die Nacherfüllung kann grundsätzlich durch 1) Nachbesserung oder 2) Nachlieferung erfolgen. Dem Käufer steht insoweit ein Wahlrecht zu. Beim
Werklieferungsvertragbedeutet die "Nachlieferung" indes letztlich, dass der Unternehmer den herzustellenden Gegenstand neu fertigen muss. Insoweit muss die Antwort hier durchaus "stimmt" lauten. Wird es so etwas deutlicher? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Arturio
30.4.2022, 03:17:39
Also dass dem Käufer ein Wahlrecht zusteht (dh das Fordern eines NEUEN Werkes) hör ich zum allerersten Mal. Nach $ 634 Nr 1 BGB nur Nacherfüllung, mit Verweis auf $ 635 Abs 1 BGB hat der UNTERNEHMER dann das Wahlrecht, ob er Nacherfüllt oder ein neues Werk anfertigt.
Arturio
30.4.2022, 03:31:04
ahhhhhhhh schande über mein haupt, werkvertrag vs
werklieferungsvertrag, klar - hast völlig recht 😅🙏

Lukas_Mengestu
30.4.2022, 09:21:27
Ist aber auch etwas tricky, die beiden auseinanderzuhalten. Und besser hier reinfallen, als im Ernstfall☺️
Eike-Christian
13.4.2023, 19:27:46
Ihr schreibt aber doch, dass A die Uhr gerne repariert haben möchte. Dann wählt er doch offenbar Nachbesserung und nicht Nachlieferung. Insofern müsste auch keine neue Uhr gebaut werden. Selbst wenn er entgegen dem beschriebenen SV nun doch die Nachlieferung gewählt haben sollte, deutet nichts darauf hin, dass die Reparatur auch nur annähernd so kostenintensiv ist wie ein kompletter Neubau. Der Unternehmer dürfte dann die gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, § 439 Abs. 4 BGB. Oder übersehe ich etwas?
Eike-Christian
13.4.2023, 19:37:06
Schon gesehen! Der Anspruch besteht, aber er macht ihm laut SV nicht geltend. Gut so, weil die Durchsetzbarkeit zweifelhaft ist.

Paulah
7.10.2023, 07:39:34
Das Bild ist wieder mal ein Klopper! :-))

Jonas22
7.10.2023, 22:51:38
QuiGonTim
18.10.2023, 16:38:19
Der Anregung schließe ich mich gerne an.:)