Recht auf Selbstmord

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist todtraurig über das Ende seiner ersten Beziehung. Er möchte sich deshalb von der Brücke stürzen, um sein Leben zu beenden. Polizist P läuft vorbei und möchte dies verhindern. A ist empört.

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Einordnung des Falls

Recht auf Selbstmord

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG) beinhaltet nach überwiegender Ansicht auch das Recht des Grundrechtsträgers, sein Leben zu beenden. Der sachliche Schutzbereich ist eröffnet.

Nein!

Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG weist im Gegensatz zu anderen Grundrechten keine Negativfunktion auf. Nach überwiegender Ansicht gibt es kein Grundrecht auf Selbsttötung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG. Eine andere Ansicht leitet aus dem Recht auf Leben auch das Recht auf den Tod ab. Dies lehnt die überwiegende Ansicht ab, da das Leben innerhalb der Ordnung des GG einen Höchstwert darstellt. Dadurch ist der Staat zum umfassenden Schutz des Lebens (Schutzpflicht) auch desjenigen Menschen verpflichtet, der sein Leben beenden möchte. Dass sich A umbringen möchte, ist nicht vom Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG) umfasst. Der sachliche Schutzbereich ist nicht eröffnet.
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2. Das Grundgesetz verbietet es dem A nach überwiegender Ansicht, sich selbst zu töten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Recht auf Freitod ist nach der überwiegenden Ansicht gleichwohl über die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. A steht es in Ausübung seiner Handlungsfreiheit grundsätzlich frei, sich selbst umzubringen. Der Staat ist in Ausübung seiner Schutzpflicht aus dem Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG) allerdings weiterhin verpflichtet, gegen den Suizid einzugreifen, wenn er die Möglichkeit hat, das Leben des A zu schützen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

OCrrY

OCrrY

27.8.2020, 11:37:19

Inwiefern verändert sich die Rechtslage hier im Lichte des BVerfG Urteil vom 26.02.2020 ? Wurde dort nicht explizit gegen, den Freitod hinderndes Verhalten des Staates entschieden ?

Ciranje

Ciranje

24.11.2020, 10:23:51

Das würde mich auch interessieren. Ich fände es etwas beunruhigend, wenn das Urteil dazu führt, dass keine Versuche mehr unternommen werden zB Brückenspringer zu retten.

Johaennzen

Johaennzen

20.5.2021, 12:33:38

Das BVerfG hat festgestellt, dass das „Recht auf Freitod“ vom Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten umfasst ist. Dieser hat daher aus dem

APR

ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Wichtig ist aber, dass dieses selbstbestimmt ist & nicht von (temporären) Beeinflussungen wie Depressionen getrübt ist. Für die Polizei ist bei Brückenspringern zumindest nicht auszuschließen, dass der Suizid auf einer Depression beruht, da sie die Gefahrenlage ja nur objektiv ex ante beurteilen. Aus diesem Grund werden auch weiterhin Versuche unternommen werden, Brückenspringer zu retten.

MI

Miriam

22.7.2024, 09:53:56

Wenn hier klargestellt wird, dass Art. 2 Abs. 2 GG dem Menschen kein Recht auf Selbstötung einräumt aber durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht auf Selbstbestimmung des Todes besteht, würde dann nicht aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Auffanggrundrecht dieses hinter Art. 2 Abs. 2 GG zurücktreten und dadurch obsolet werden? Oder geht es hier nicht um eine Subsidiarität, sondern darum, dass trotzdem ein Grundrecht besteht, das jedoch weniger hohe Anforderungen an den Eingriff darstellt? Für mich fühlt sich das nur komisch an weil sich die zwei Aussagen ja komplett wiedersprechen.

K.Attalla

K.Attalla

4.8.2024, 18:46:33

Hi Miriam, sofern ich das richtig verstanden habe, geht es um Subsidiarität. Man prüft vorrangig ein Recht auf Selbsttötung aus Art. 2 II GG, betrachtet dann den Schutzbereich aber als nicht eröffnet, da (nach h.M) das Recht auf Leben nicht das Recht auf den Tod miterfasst. Danach kannst du das

APR

prüfen, das in einer seiner Ausprägungen eben das Recht auf Selbstötung miterfasst. Die Schranke hierfür wäre dann die verfassungsmäßige Ordnung. Welchen Widerspruch du sieht, habe ich leider noch nicht verstanden. LG!

MI

Miriam

5.8.2024, 09:52:19

Vielen Dank für die Klarstellung :)


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