§ 832 Abs. 2 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der 6-jährige Sohn S des Millionärs V trifft sich gerne mit seinem Freund F. Dabei sind sie im Einverständnis der Eltern abwechselnd bei V und bei der stets sehr achtsamen Mutter M des F. Beim Spiel in der Wohnung der M wirft S in einem unbemerkten Augenblick einen Golfball aus dem offenen Fenster und trifft die mittellose Passantin P an der Stirn, wodurch P eine Platzwunde erleidet.
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Einordnung des Falls
§ 832 Abs. 2 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. P kann von S Schadensersatz für die Körperverletzung verlangen (§ 823 Abs. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. V hat grundsätzlich eine Aufsichtspflicht gegenüber S (§ 832 Abs. 1 BGB).
Ja!
3. S hat als aufsichtsbedürftige Person eine widerrechtliche unerlaubte Handlung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
4. V könnte sich erfolgreich damit exkulpieren, dass er seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist, indem er S der M überließ (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
5. M haftet der P nach § 832 Abs. 2 BGB, wenn sie sich nicht exkulpieren kann.
Nein!
6. P hat keinerlei Ansprüche wegen der Platzwunde.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
frausummer
7.2.2021, 11:09:47
P hat also keine Möglichkeit von irgendwem Schadensersatz zu erhalten?
Speetzchen
8.2.2021, 13:08:35
Yep ! ✌
Eigentum verpflichtet 🏔️
8.2.2021, 22:30:33
Hallo ihr beiden. Grundsätzlich käme noch die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB in Betracht (durchaus auch examensrelevant!). Danach findet ein Vergleich der Umstände (v.a. finanzielle Verhältnisse) des S und des P statt. Hat S bspw. hohes Vermögen oder eine private Haftpflichtversicherung, so haftet er nach dieser Vorschrift.
Eigentum verpflichtet 🏔️
8.2.2021, 22:53:41
Wir haben deswegen nun dem Fall noch eine Frage zu § 829 BGB angefügt, danke nochmals, dass ihr uns auf diese Konstellation aufmerksam gemacht habt!
Fahrradfischlein
9.2.2021, 19:33:06
Super Ergänzung. Meiner Meinung nach eine Vorschrift die man leicht übersieht!
Vanessa io
19.6.2021, 11:51:14
Super Ergänzung! Wenn keine derartigen Umstände vorliegen, kommt also tatsächlich kein Schadensersatz für den Geschädigten in Betracht. Wird bei § 829 auch berücksichtigt, ob Ersatz nach anderen Vorschriften erfolgt, z.B. aus GoA?
Nilson2503
10.10.2023, 10:51:10
Liebes Jura-Fuchs Team, ich bin mir nicht sicher, ob der Anspruch aus § 829 hier tatsächlich durchgeht. Ich meine mich zu erinnern, dass man nicht auf das Vermögen der Eltern abstellt um das wirtschaftliche Gefälle zu begründen. Dafür spricht einerseits der Wortlaut als auch die gesetzliche Wertung. Insofern die Eltern sich gem. § 832 exkulpieren können, würde es den § 832 völlig aushöhlen, wenn hinterrücks dann doch eine Haftung der Eltern über § 829 BGB begründet würde. Dadurch das den Eltern kein Aufsichtspflichtverstoß anzulasten ist, wird ja gerade festgestellt, dass sie nicht haften. Ich bin mir sicher, dass man mit entsprechenden Argumenten beides vertreten kann. Vielleicht kann man einen Vermerk machen, dass das nicht ganz so unstrittig ist, wie es die Darstellung suggeriert.
Dogu
29.10.2023, 20:31:55
Ist wahrscheinlich eine Wertungsfrage, aber mich verwirrt sehr, dass die Aufsichtspflicht im Sinne des Deliktsrecht exkulpierend an die Mutter übertragen wurde, aber andererseits dort nie im Sinne einer Haftungsübernahme aufgrund des fehlenden Rechtsbindungswillens ankam. Meines Erachtens gebietet es der Verkehrsschutz, dass ein Minderjähriger immer einen Aufsichtspflichtigen hat.
Schwanzanwaltschaft
9.2.2024, 13:01:29
Ich habe das so verstanden, dass die Aufssichtspflicht der V nicht wirklich auf die Mutter des anderen Kindes übertragen würde, sondern das V ihrer eigenen Aufsichtspflicht gerecht wurde, indem sie ihr Kind in die Obhut der gewissenhaften M gab.
Quanzomania
22.6.2024, 13:38:24
Vielleicht überseh ich was, aber bei der Schlussaussage "P hat gegen S (der 6-jährige Sohn einen Anspruch" leuten bei mir alle Alarmglocken, dass ein 6-jähriger
Anspruchsgegnersein kann. muss ich mir da einfach
932 BGBdazudenken?
Leo Lee
23.6.2024, 10:12:09
Hallo Quanzomania, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man hier von „Alarmglocken“ reden, zumal der S nur 6 Jahre alt ist. Beachte allerdings, dass es auch bei 6-Jährigen Tätern zu einer Haftung aus Billigkeitsgründen kommen kann, wenn der S etwa sehr begütert ist (nach dem Gedanken „richesse oblige“). Deshalb wird hier ganz normal nach 829 gelöst. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Wagner § 829 Rn. 1 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo