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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 6-jährige Sohn S des Millionärs V trifft sich gerne mit seinem Freund F. Dabei sind sie im Einverständnis der Eltern abwechselnd bei V und bei der stets sehr achtsamen Mutter M des F. Beim Spiel in der Wohnung der M wirft S in einem unbemerkten Augenblick einen Golfball aus dem offenen Fenster und trifft die mittellose Passantin P an der Stirn, wodurch P eine Platzwunde erleidet.

Einordnung des Falls

§ 832 Abs. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P kann von S Schadensersatz für die Körperverletzung verlangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB setzt Verschulden voraus. Wer aber nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich (§ 828 Abs. 1 BGB). Der 6-jährige S haftet deshalb mangels Verschuldensfähigkeit nicht nach § 823 Abs. 1 BGB. Es kommt allenfalls eine Haftung nach § 829 BGB in Betracht (Tatfrage). Dieser Anspruch ist aber subsidiär gegenüber § 832 BGB ("sofern der Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann").

2. V hat grundsätzlich eine Aufsichtspflicht gegenüber S (§ 832 Abs. 1 BGB).

Ja!

§ 832 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsgegner eine Aufsichtspflicht gegenüber einer aufsichtsbedürftigen Person hat. Ein Minderjähriger bedarf dabei generell der Aufsicht, ohne dass es darauf ankäme, ob im konkreten Einzelfall der Minderjährige bereits genügend Reife aufweist, um seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Aufsichtspflichtig sind grundsätzlich die Eltern (§§ 1626, 1631 Abs. 1 BGB). S ist als Minderjähriger aufsichtsbedürftig, sein Vater V aufsichtspflichtig.

3. S hat als aufsichtsbedürftige Person eine widerrechtliche unerlaubte Handlung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Aufsichtsbedürftige muss widerrechtlich eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823ff. BGB begangen haben. S hat durch sein Verhalten den Körper der P widerrechtlich verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB). Auf das Verschulden kommt es – wie bei § 831 Abs. 1 BGB – nicht an.

4. V könnte sich erfolgreich damit exkulpieren, dass er seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist, indem er S der M überließ (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Nach h.M. kann der Aufsichtspflichtige seine Aufsichtspflicht dadurch erfüllen, indem er sie auf einen Dritten überträgt. Seine Pflicht besteht dann in der ordnungsgemäßen Auswahl, Instruktion, Kontrolle und Information des Dritten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Dritte dadurch selbst aufsichtspflichtig wird. M ist stets sehr achtsam. Im Übrigen durfte V auf erneute pflichtgemäße Ausführung der Aufsicht vertrauen.

5. M haftet der P nach § 832 Abs. 2 BGB, wenn sie sich nicht exkulpieren kann.

Nein!

Die Verantwortlichkeit des § 832 Abs. 1 BGB trifft auch denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt (§ 832 Abs. 2 BGB). Eine solche Aufsichtspflicht setzt nach h.M. einen "echten" rechtsgeschäftlichen Vertrag mit Rechtsbindungswillen voraus. Bei unentgeltlichen Verhältnissen muss daher zur bloßen Gefälligkeit abgegrenzt werden, die für § 832 Abs. 2 BGB nicht genügt. Bei nur kurzfristigen Aufsichtsübernahmen durch Verwandte, Freunde und Nachbarn geht die Rechtsprechung grundsätzlich von einer bloßen Gefälligkeit aus. Hier liegt nur eine kurzfristige Aufsichtsübernahme durch die Mutter eines befreundeten Kindes, also eine Gefälligkeit vor. M haftet mangels Aufsichtspflicht nicht nach § 832 Abs. 2 BGB.

6. P hat keinerlei Ansprüche wegen der Platzwunde.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ausnahmsweise kommt eine Haftung des Schädigers nach § 829 BGB in Betracht. Erforderlich ist eine Abwägung der gesamten Umstände des Falles. Dabei ist insbesondere auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers und des Geschädigten abzustellen. Es handelt sich jedoch um eine eng anzuwendende Ausnahmevorschrift. Erforderlich ist daher, dass ein so starkes "wirtschaftliches Gefälle" zwischen dem schuldlosen Schädiger und dem Geschädigten besteht, dass eine Haftung des Schädigers (trotz seiner Schuldlosigkeit) zwingend erforderlich erscheint (vgl. BGH BB 2017, 130). Es wäre mit dem "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" nicht zu vereinbaren, wenn ein 6-jähriger Millionärssohn für eine Körperverletzung an einer mittellosen Passantin durch den von ihm abgeschossenen Ball nicht haften würde, nur weil er knapp unter der Altersgrenze des § 828 Abs. 1 BGB liegt. Demnach steht der P gegen S ein Anspruch aus § 829 BGB zu.

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