Ausnahmen (§ 31 Abs. 1 BauGB): Grundfall

19. Mai 2025

14 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmerin U will in einem Haus eine kleine Pension eröffnen. Der qualifizierte Bebauungsplan weist ein allgemeines Wohngebiet aus.

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Einordnung des Falls

Ausnahmen (§ 31 Abs. 1 BauGB): Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ob Us Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, ist am Maßstab der § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 BauNVO zu prüfen.

Genau, so ist das!

Setzt die Gemeinde die Art der baulichen Nutzung fest, indem sie im qualifizierten Bebauungsplan ein Baugebiet nach § 1 Abs. 2 BauNVO ausweist, beurteilt sich die Frage der Planwidrigkeit des Vorhabens unmittelbar nach den §§ 2-14 BauNVO. Die Vorschriften der §§ 2-14 BauNVO sind dann gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans.Die Gemeinde hat für das Umfeld von Us Haus im qualifizierten Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet und damit ein Baugebiet nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 4 BauNVO festgesetzt.
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2. Us Vorhaben widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht, wenn es sich um eine Nutzung als Wohngebäude handelt (§ 30 Abs. 1 BauGB i.Vm. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Ist Us Pension eine Nutzung als Wohngebäude?

Nein, das trifft nicht zu!

Allgemein zulässig sind im allgemeinen Wohngebiet Wohngebäude (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Wohnen im planungsrechtlichen Sinne ist eine auf gewisse Dauer angelegte, eigenständige Gestaltung des häuslichen Lebens auf der Grundlage eines freiwilligen Aufenthalts.Die tageweise Vermietung von Zimmern an Dritte im Rahmen einer Pension ist keine auf gewisse Dauer angelegte Nutzung, sondern jeweils nur eine nur vorübergehende. Dass die Nutzung als Pension keine Nutzung als Wohngebäue sein kann, ergibt sich zudem aus einem Umkehrschluss zu § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO: Betriebe des Beherbergungsgewerbes sind im Wohngebiet nur ausnahmsweise zulässig.

3. Eine Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans kommt in Betracht, wenn diese in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen ist (§ 31 Abs. 1 BauGB).

Ja!

Kann ein Vorhaben nach Maßgabe der Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans i.V.m. den Regelungen der BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden, so kommt § 31 BauGB zur Anwendung. Nach § 31 Abs. 1 BauGB können Ausnahmen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan ausdrücklich vorgesehen sind. Ausdrücklich vorgesehen sind die Ausnahmen nach Absatz 3 des jeweiligen BauNVO-Baugebiets. Denn diese sind unmittelbarer Bestandteil des qualifizierten Bebauungsplans (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO). Anders als bei Vorhaben, die nach den Festsetzungen immer zulässig sind, müssen Vorhaben, die nach den Festsetzungen nur ausnahmsweise zulässig sind, immer noch die Schwelle des § 31 BauGB überwinden.

4. Die von U geplante Nutzung als Pension ist im einschlägigen Bebauungsplan ausdrücklich als Ausnahme vorgesehen (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO, § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO).

Genau, so ist das!

Nach § 31 Abs. 1 BauGB können Ausnahmen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan ausdrücklich vorgesehen sind. Ausdrücklich vorgesehen sind die Ausnahmen nach Absatz 3 des jeweiligen BauNVO-Baugebiets. Denn diese sind unmittelbarer Bestandteil des qualifizierten Bebauungsplans (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO).Im Bebauungsplan ist für das allgemeine Wohngebiet in § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausdrücklich vorgesehen, dass Betriebe des Beherbergungsgewerbes – also auch Pensionen – ausnahmsweise zulässig sein können.

5. Weil die Voraussetzungen von § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO erfüllt sind, muss eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB erteilt werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Behörde ist in § 31 Abs. 1 BauGB Ermessen eingeräumt („können“). Zentrales Kriterium bei der Ermessensbetätigung ist, dass das „Regel–Ausnahme–Prinzip“ gewahrt bleiben muss, also die generellen Ziele der Planung nicht konterkariert werden.Daraus folgt, dass der Bauherr grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausnahme hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DIAA

Diaa

30.8.2023, 12:36:57

Was hat Pension in diesem Zusammenhang für eine Bedeutung? vorübergehende Vermietung? oder Beherbergungsgewerbe?

Steinfan

Steinfan

9.7.2024, 15:38:39

Man müsste ja schon eine

Ermessensreduzierung auf Null

ansprechen, oder nicht? Könnte die letze Frage vielleicht entsprechend angepasst werden? LG

JURAFU

jurafuchsles

7.8.2024, 20:35:03

Warum das?

Alv Tny Km

Alv Tny Km

13.3.2025, 12:25:59

Naja man kann sagen, dass der Plangeber die Ausnahme ja selbst vorgesehen hat und somit eine gewisse Richtung vorgibt, sodass man ein

intendiertes Ermessen

bzw.

Ermessensreduzierung auf Null

annehmen könnte.

Juraddicted

Juraddicted

27.1.2025, 15:34:58

wieso gibt es die Vorschrift nach

31 BauGB

, wenn eine Ausnahme am Maßstab von dem jeweiligen Absatz 3 BauNVO (Gebiet) hergeleitet werden kann? Wieso braucht es dann noch eine „Verbindungsnorm“? Vielen Dank!

Ara8

Ara8

25.4.2025, 17:56:17

Weil der (Bundes-) Gesetzgeber den Regelungsrahmen als formelles Gesetz gesetzt hat, aber die inhaltliche Ausgestaltung im Detail dem Verordnungsgeber überlassen wollte, siehe § 9a Nr. 1 a) BauGB. :-) Die Regelungsmechanik ähnelt strukturell der Verweisung des Verfassunggebers zum einfachen Gesetzgeber ("Das Nähere regelt ein Gesetz"). Hintergrund: Das Planungsrecht kann detailreich und schnelllebig, ein formelles Gesetzgebungsverfahren daher häufig müßig sein. Ein hierfür kompetentes Ministerium kann flexibler auf die Erfordernisse eingehen.

lexspecialia

lexspecialia

26.4.2025, 19:26:34

Weil die BauNVO alleine keine Ausnahmen erlauben dürfte – sie ist nur eine Verordnung. Verordnungen brauchen immer eine gesetzliche Ermächtigung! ➔ §

31 BauGB

ist diese gesetzliche Grundlage. Er sagt: Es darf Ausnahmen geben, und diese Ausnahmen werden (durch BauNVO) näher bestimmt, und im Einzelfall entscheidet die

Behörde

im Ermessen. Ohne §

31 BauGB

könnte man sagen: Die BauNVO kann keine Ausnahmen eröffnen, weil sie keine selbstständige Rechtsquelle ist. §

31 BauGB

legitimiert also die gesamte Ausnahme-Mechanik. Ein formelles Gesetz (BauGB) zu ändern, ist langsam und aufwendig (Bundestag, Bundesrat...). Verordnungen (BauNVO) kann man schneller anpassen (durch die Regierung). → Deshalb: Rahmen im BauGB, Details in der BauNVO.

Juraddicted

Juraddicted

1.5.2025, 10:33:19

Super, ich danke euch :)! Das hat es für mich erklärt . Liebe Grüße

OKA

okalinkk

21.3.2025, 00:07:37

inwiefern spielt 67 II BauO eine Rolle? es muss ein Antrag für Ausnahmen gestellt werden. Das beißt sich doch iwie mit 1 III 2 BauNVO


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