Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Deliktsrecht

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug – Haftung im Straßenverkehr

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug – Haftung im Straßenverkehr

17. Februar 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fahrschüler F ist auf Fahrstunde mit seinem Lehrer L, der auch Halter des Wagens ist. In der Ausfahrt eines Kreisverkehrs bremst F den Wagen voll ab, weil sich etwa 4 m entfernt Personen der Fahrbahn nähern. S fährt daraufhin auf das Fahrschulauto auf.

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Einordnung des Falls

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug – Haftung im Straßenverkehr

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei einem Unfall im Straßenverkehr kommt nur ein Anspruch gegen den Fahrer des anderen Fahrzeugs in Betracht.

Nein, das trifft nicht zu!

Für die Haftung im Straßenverkehr gibt es spezielle Anspruchsgrundlagen: Eine verschuldensabhängige Haftung des Fahrers (§ 18 Abs. 1 StVG) und eine Gefährdungshaftung des Halters (§ 7 Abs. 1 StVG). Bei Fahrschulautos besteht die Besonderheit, dass als Fahrer nicht der Fahrschüler, sondern der Fahrlehrer gilt. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 15 S. 2 StVG.Da die Halterhaftung kein Verschulden voraussetzt und das Verschulden bei der Fahrerhaftung vermutet wird, sind beide Vorschriften vor dem allgemeinen Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 315b,c StGB) zu prüfen. Denn sie sind für den Anspruchsteller leichter darzulegen und zu beweisen.
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2. Der Vorausfahrende muss beweisen, dass der Hinterherfahrende den nötigen Abstand missachtet hat.

Nein!

Der Beweis des ersten Anscheins (Beweiserleichterung) spricht bei einem Auffahrunfall dafür, dass der Hinterherfahrende den nötigen Abstand nicht eingehalten hat. Dieser sogenannte Anscheinsbeweis kann vom Hinterherfahrenden erschüttert werden, wenn er atypische Umstände darlegt und beweist, die den üblichen Geschehensablauf in Zweifel ziehen.

3. S hat den erforderlichen Sicherheitsabstand gewahrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. LG Saarbrücken: Es lägen keine atypischen Verhältnisse vor, die den Beweis des ersten Anscheins für einen zu kurzen Sicherheitsabstand erschütterten, weil bei einem vorausfahrenden Fahrschulauto mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen zu rechnen sei. Das plötzliche Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehöre zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Daher sei der Anscheinsbeweis nicht erschüttert (LG Saarbrücken, RdNr. 11f.). Folglich hat S gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen.

4. Für die Anrechnung des Mitverschuldensanteils des S gilt § 254 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch für die Anrechnung eines Mitverschuldens enthält das StVG eine speziellere Vorschrift: § 17 StVG. Diese ist auch auf den Anspruch gegen einen anderen Fahrer aus § 18 StVG anwendbar (§ 18 Abs. 3 StVG). § 17 Abs. 1 StVG normiert die Haftung im Innenverhältnis, wenn einem Dritten ein Schaden entstanden ist. § 17 Abs. 2 gilt für das Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander. Vorliegend sind zur Ermittlung des Mitverschuldens und des Haftungsanteils der Fahrer untereinander die wechselseitigen Verursachens- und Verschuldensbeiträge abzuwägen. In diese Abwägung ist auch der einzuhaltende Sicherheitsabstand einzustellen.

5. Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 3 StVG ist von hälftigem Mitverschulden des S auszugehen.

Nein!

LG Saarbrücken: Die Annahme hälftigen Mitverschuldens würde die gesonderte Sorgfaltspflicht des hinter dem Fahrschulwagen befindlichen Fahrzeugs nicht ausreichend würdigen. Das nachfolgende Fahrzeug habe besondere Vorsicht walten zu lassen, denn die deutliche Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten diene dem Zweck, auf das insoweit erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens, etwa in Form des unvermittelten Abbremsens ohne zwingenden Grund, hinzuweisen. Aufgrund des Herannahens von Personen sei das Abbremsen auf Stillstand nicht völlig fernliegend und hätte bei der Wahl des Abstandes berücksichtigt werden müssen. Andererseits sei bei der Ausfahrt aus einem Kreisverkehr die Reaktionsmöglichkeit nachfolgender Fahrzeuge geringer, was sich zu Lasten der Haftung des vorausfahrenden Wagens auswirke. Eine Haftungsverteilung von 30 % (F) zu 70 % (S) sei angemessen (LG Saarbrücken, RdNr. 15.).

6. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des S gegen L liegen dem Grunde nach vor (§ 7 Abs. 1 StVG).

Ja!

Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der (1) Halter eines Kfz für (2) Personen- oder Sachschäden, die (3) bei dem Betrieb des Kfz verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist. Bei einem Unfall zwischen zwei Fahrzeugen darf es sich schließlich nicht um ein unabwendbares Ereignis (§ 17 Abs. 3 BGB) handeln. L ist Halter des Fahrschulautos, der Unfallschaden ist bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen und stellt für L kein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

G0d0fMischief

G0d0fMischief

25.1.2025, 14:22:09

Müsste sich die letzte Frage nicht auf §

17 II StVG

beziehen? Abs. 3 Erfasst ja die Fälle, in denen eine Anwendung der Abs. 1 und 2 wegen Vorliegens eines

unabwendbar

en Ereignisses nicht anwendbar ist oder? Und eine Frage zu

§ 9 StVG

: Dieser ist vorliegend nicht anwendbar, weil beide Beteiligten jeweils Halter eines

Fahrzeug

s sind und daher gegenseitig gem. § 7 StVG ver

schuld

ensunabhängig haften oder?

§ 9 StVG

erfasst ja solche Fälle in denen der Verletzte dem Schädiger nicht aus dem StVG haftet?


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