Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2017

Beweislast und Pflichten der Schwimmbadaufsicht bei Badeunfällen – Unterlassen nach § 823 BGB

Beweislast und Pflichten der Schwimmbadaufsicht bei Badeunfällen – Unterlassen nach § 823 BGB

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 12-jährige G verhakt sich beim Schwimmen in einer Boje. Bademeister B fällt auf, dass eine Boje fehlt. Er bittet einen 14-jährigen Badegast, nachzuschauen. Dieser entdeckt "etwas Glitschiges". B holt zunächst seine Schwimmbrille aus dem Gerätehaus und findet dann die leblose G unter Wasser. G erleidet irreparable Hirnschäden.

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Einordnung des Falls

Beweislast und Pflichten der Schwimmbadaufsicht bei Badeunfällen – Unterlassen nach § 823 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat zwar nicht gehandelt, aber auch ein Unterlassen kann Verletzungshandlung im deliktsrechtlichen Sinne sein (§ 823 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Unterlassen ist immer dann eine Verletzungshandlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn den Schädiger eine Pflicht zum Handeln traf. Diese Handlungspflicht kann sich aus Gesetz, Vertrag oder Verkehrspflichten ergeben. Verkehrspflichten meint Sorgfaltspflichten im Sinne von Verhaltensanforderungen aufgrund einer besonderen Situation.Beachte: Bei der Verletzung von Verkehrspflichten, Rahmenrechten und mittelbaren Schädigungshandlungen gilt die Lehre vom Erfolgsunrecht nicht. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht indiziert. Sie ist also ausführlich zu begründen!
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2. Die Verkehrspflicht des Bademeisters besteht in der Verpflichtung, jeden Schwimmer vollständig zu überwachen. Diese Pflicht hat B verletzt.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Die Verkehrspflicht der Schwimmaufsicht resultiere aus ihrer Aufgabe, Schaden von Badegästen fernzuhalten. Daher sei der Bademeister verpflichtet, den Badebetrieb und das Geschehen im Wasser zu beobachten. Insbesondere müsse er mit regelmäßigen Blicken überwachen, ob Gefahrsituationen für Gäste auftreten. Dabei müsse er den Beobachtungsort so wählen, dass der gesamte Schwimmbereich überwacht werden kann. Erforderlichenfalls müsse er seinen Beobachtungspunkt auch häufig wechseln. Eine vollständige Überwachung aller Schwimmer zu jeder Zeit sei aber nicht erforderlich (RdNr. 18).

3. Der Bademeister muss in Notsituationen für rasche und wirksame Hilfeleistung sorgen. Diese Pflicht hat B verletzt.

Ja!

BGH: Sobald außergewöhnliche Umstände auftreten, sei die Schwimmaufsicht verpflichtet, deren Ursache zu klären. Auch wenn sich in der Vergangenheit die Ursache für einen Umstand als harmlos herausgestellt hat, bleibe die Schwimmaufsicht zum Einschreiten verpflichtet. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Umstand auch auf eine lebensbedrohliche Situation hinweisen kann. Nicht ausreichend sei es, einen Dritten mit der Aufklärung zu beauftragen. Nicht ausreichend sei ferner, dass die Schwimmbrille des B im Gerätehaus lag. Weil diese zur Rettung von in Not befindlichen Personen erforderlich war, habe B die Schwimmbrille ständig mit sich führen müssen (RdNr. 19f.).

4. G kann einen Anspruch auf Schadensersatz gegen B (§ 823 Abs. 1 BGB) nur durchsetzen, wenn sie nachweist, dass die Pflichtverletzung des B kausal für ihren Gesundheitsschaden war.

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Arzthaftungsrecht führen grobe Behandlungsfehler zu einer Beweislastumkehr zulasten des Arztes: Es wird vermutet, dass der Behandlungsfehler die Verletzung herbeigeführt hat (§ 630h Abs. 5 BGB). Die nachträgliche Aufklärung ist sehr schwierig. Dem Patienten sei die Beweislast nicht zuzumuten. Grob ist ein Behandlungsfehler, wenn er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. BGH: Das Gleiche gelte bzgl. anderer Berufs- oder Organisationspflichten, die dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen. Wenn Bs Unterlassen grob fahrlässig war (der BGH lässt es offen, es spricht aber viel dafür), müsse B beweisen, dass G auch bei sorgfältiger Überwachung nicht früher hätte gerettet werden können (RdNr. 22ff.).

5. Wenn B seine Verkehrssicherungspflicht nicht grob, sondern leicht fahrlässig verletzt hätte, muss G den vollen Beweis antreten, dass die Pflichtverletzung des B kausal war für ihren Gesundheitsschaden.

Nein, das trifft nicht zu!

Im Falle einer nur leichten Fahrlässigkeit kommt es zwar nicht zu einer Umkehr der Beweislast, aber es greift zumindest eine Beweiserleichterung. BGH: Nach der Rechtsprechung werde bei der Verletzung von Aufsichts- und Überwachungspflichten die Kausalität zwischen dem deliktischen Handeln/Unterlassen und der Verletzung vermutet, wenn sich gerade die Gefahr verwirklicht, deren Verhütung die Verkehrssicherungspflicht dienen sollte (RdNr. 31). Dies ist hier der Fall: Die Aufsichtspflicht sollte gerade den Eintritt von Schäden dadurch verhindern, dass Schwimmer untergehen und hierdurch einen Gesundheitsschaden erleiden.

6. Neben einem Anspruch gegen B (§ 823 Abs. 1 BGB) hat G auch einen Anspruch gegen den Träger des Schwimmbads (§ 831 Abs. 1 S. 1 BGB), wenn diesem ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden zur Last fällt.

Ja!

Ein Anspruch gegen den Träger des Schwimmbads könnte sich aus § 831 Abs. 1 S. 1 ergeben. B ist als angestellter Bademeister Verrichtungsgehilfe des Trägers, d.h. jemand, der mit Wissen und Wollen für den Geschäftsherrn in dessen Interesse tätig wird und weisungsgebunden ist. B hat auch eine unerlaubte Handlung begangen (Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht). Der Träger kann sich jedoch exkulpieren, wenn er bei der Auswahl und der Überwachung des B die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 II) angewandt hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

7.9.2021, 17:52:45

Dass der BGH eine

Beweislastumkehr

auch bei einfacher Fahrlässigkeit annimmt, hat er aber nicht explizit geschrieben. Viel eher kommt dem Geschädigten "nur" eine Beweiserleichterung für die Schadensursächlichkeit der PV zu Gute (Rn. 30 des Urteils).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 11:42:42

Vielen Dank für den super Hinweis, Jana-Kristin. In der Tat liegt bei einfacher Fahrlässigkeit nur eine Beweiserleichterung vor, die eine "

tatsächliche Vermutung

" zugunsten der Geschädigten begründet, dass der Schaden ursächlich auf der Pflichtverletzung beruht. Wir haben das korrigiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

der D

der D

18.10.2024, 08:27:06

Hier würden ebenfalls problemlos vertragliche Ansprüche gegen den Schwimmbadbetreiber durchgehen, oder?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

13.11.2024, 10:46:35

Hallo @[der D](265843), in der Tat dürfte das Pflichtenprogramm bzgl vertraglichen und deliktischen Ansprüchen hier weitestgehend identisch sein, wie auch das LG Koblenz in dem zugrunde liegenden Fall erstinstanzlich angedeutet hat (Urt v 26.06.2014 - 1 O 2/14, BeckRS 2016, 2215, Rn 22). Die typischen Diskussionen um die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten finden aber (in der Praxis) meist vor dem Hintergrund des § 823 BGB statt, deswegen haben wir unseren Fall insoweit ebenso gestaltet. Für eine ganz saubere Prüfung vertraglicher Ansprüche fehlen uns hier Einzelheiten. Auf die Minderjährigkeit des G wird man sicher eingehen müssen. Ebenso wird man wohl kurz etwas dazu sagen müssen, dass/warum zwischen dem Schwimmbadbetreiber und den Gästen hier privatrechliche Verträge geschlossen werden - sonst wären wir ja deliktisch auch bei einer

Amtspflichtverletzung

, § 839 BGB, Art 34 GG. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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