(Echte) Wahlfeststellung im Zusammenhang mit alternativ begangenem Diebstahl


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

As teure Briefmarkensammlung wurde gestohlen. Sie wird vier Wochen später bei einer Hausdurchsuchung in Bs Wohnung gefunden. Es lässt sich nicht feststellen, ob B die Briefmarken gestohlen oder später als Hehler erhalten hat.

Einordnung des Falls

(Echte) Wahlfeststellung im Zusammenhang mit alternativ begangenem Diebstahl

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Strafprozess gilt der Grundsatz „in dubio pro reo”.

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Genau, so ist das!

Der „in dubio pro reo” Grundsatz leitet sich aus der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) ab. Er kommt zum Tragen, wenn das Gericht nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache gewonnen hat. Verbleiben also Zweifel, ist zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden.Es kann nicht festgestellt werden, ob B einen Diebstahl oder eine Hehlerei begangen hat. In dubio pro reo müsste B damit grundsätzlich sowohl wegen des Diebstahls, als auch wegen der Hehlerei freigesprochen werden.

2. Der „in dubio pro reo” Grundsatz wird von der Rspr. strikt angewandt. Ist nicht klar, nach welchem Delikt bestraft werden müsste, darf es nur einen Freispruch geben.

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Nein, das trifft nicht zu!

In Fällen, in denen feststeht, dass der Täter sich strafbar gemacht hat, nicht aber, welches Delikt er verwirklicht hat, wird ein Freispruch von der Rspr. als unbillig angesehen. Im Rahmen der sog. „echten Wahlfeststellung” ist es deswegen möglich, wegen des einen oder des anderen Delikts zu verurteilen.Unter der „unechten” Wahlfetstellung werden hingegen Fälle erfasst, in denen sicher ist, dass ein Delikt verwirklicht wurde, nicht jedoch, durch welche von mehreren Handlungen. Hier ist eine Verurteilung unproblematisch möglich.

3. Eine „echte Wahlfeststellung” kann zwischen sämtlichen Delikten getroffen werden.

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Nein!

Die echte Wahlfeststellung darf nur angewandt werden, wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen: (1) Strafbarkeit nach jeder ausermittelten Sachverhaltsvariante (2) Kein Stufenverhältnis der Delikte im Sinne eines „Weniger-Mehr-Verhältnisses” (3) Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der Delikte

4. B hat sich nach jeder ausermittelten Sachverhaltsvariante strafbar gemacht.

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Genau, so ist das!

Es steht zweifelsfrei fest, dass B entweder einen Diebstahl oder eine Hehlerei begangen hat. Nach jeder ausermittelten Sachverhaltsvarainte hätte er sich strafbar gemacht.

5. Weiterhin dürften Diebstahl und Hehlerei nicht in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Ist Diebstahl „weniger“ als Hehlerei?

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Nein, das trifft nicht zu!

Ein Stufenverhältnis zwischen zwei Delikten liegt vor, wenn ein „Weniger-Mehr-Verhältnis” gegeben ist. Dies ist etwa der Fall bei (1)Vorsatz und Fahrlässigkeit, (2)Täterschaft und Teilnahme, (3)Tun und unechtem UnterlassenDiebstahl und Hehlerei stehen nicht in einem Stufenverhältnis zueinander.

6. Sind Diebstahl und Hehlerei rechtsethisch und psychologisch vergleichbare Delikte?

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Ja!

Delikte sind rechtsethisch vergleichbar, wenn sie nach dem allgemeinen Rechtsempfinden sittlich ähnlich zu bewerten sind. Die psychologische Vergleichbarkeit liegt bei einer gleich gearteten seelischen Beziehung des Täters zu den in Frage stehenden Verhaltensweisen vor.Diebstahl und Hehlerei haben den gleichen Strafrahmen. Als Vermögensdelikte betreffen sie ähnliche Rechtsgüter: der Diebstahl richtet sich gegen fremdes Eigentum, die Hehlerei gegen fremdes Vermögen. Die Delikte sind damit rechtsethisch und psychologisch vergleichbar.

7. B wird demnach im Rahmen der echten Wahlfeststellung wegen Diebstahl oder Hehlerei verurteilt.

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Genau, so ist das!

Im Urteilsausspruch kommt zum Ausdruck, dass B entweder einen Diebstahl oder eine Hehlerei begangen hat. Das ist nach Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden: Verurteilungen im Wege der echten Wahlfeststellung stünde weder das Bestimmtheitsgebot, noch das Analogieverbot entgegen (Art. 103 Abs. 2 GG).

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Eileen 🦊

Eileen 🦊

28.6.2024, 15:32:36

Ich frage mich, ob tatsächlich eine Gleichwertigkeit von Diebstahl und Hehlerei vorliegt. Mit Blick auf den Strafrahmen scheint das naheliegend. Dennoch ist nach meinem Empfinden Diebstahl aufgrund des Entschlusses erstmals Unrecht zu verwirklichen als verwerflicher anzusehen, als die Hehlerei (die ähnlich der Beihilfe), die bestehendes Unrecht lediglich vertieft. Habt ihr dazu hilfreiche Gedanken? Danke schonmal im Voraus. Liebe Grüße!


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