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VGH München, Urteil v. 08.03.2022 – 10 B 21.1694 "Augs­burger Kli­ma­camp" zählt als Ver­samm­lung

VGH München, Urteil v. 08.03.2022 – 10 B 21.1694 "Augs­burger Kli­ma­camp" zählt als Ver­samm­lung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist Klimaaktivist. Er zeigte der Stadt A eine mehrtätige Klimaprotestaktion (Camp für Klimagerechtigkeit) ab dem 01.07. an. Er benannte Veranstaltungsort (As Rathausplatz), Kundgebungsmittel und Programmaktionen. Das Bürgeramt von A stellte am 10.07. per Bescheid fest, das Camp stelle keine Versammlung dar.

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Einordnung des Falls

VGH München, Urteil v. 08.03.2022 – 10 B 21.1694 "Augs­burger Kli­ma­camp" zählt als Ver­samm­lung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hält den negativen Feststellungsbescheid der A für rechtswidrig und möchte vor dem Verwaltungsgericht dagegen vorgehen. Ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart?

Nein!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO). Die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) ist statthaft, wenn der Kläger die Feststellung über ein Rechtsverhältnis begehrt. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist statthaft für die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Sind beide Klagearten denkbar, ist die Feststellungsklage subsidiär (§ 43 Abs. 2 S. 1 VwGO), da die Anfechtungsklage in der Regel rechtsschutzintensiver ist. Die Feststellungsklage wäre die statthafte Klageart, wenn K die Feststellung begehrt, dass der Bescheid rechtswidrig ist. Begehrt K aber bereits seine Aufhebung, könnte die Anfechtungsklage statthaft sein. Entscheidend ist, ob As Feststellungsbescheid ein Verwaltungsakt ist. Der Bescheid ist rechtsgestaltend und entfaltet damit Reglungswirkung. Er ist ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG). Die Anfechtungsklage ist statthaft (RdNr. 35). Es ist die Anfechtungsklage und nicht die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) statthaft, da die (negative) Feststellung über das Klimacamp nicht erledigt ist, sondern weiterhin belastende Wirkung entfaltet (RdNr. 35).
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2. K ist klagebefugt.

Genau, so ist das!

Damit die Klage zulässig ist, muss der Kläger klagebefugt sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). K ist klagebefugt, wenn er durch den Verwaltungsakt möglicherweise in eigenen Rechten verletzt ist. Nach der Adressatentheorie ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts immer klagebefugt, da er mindestens in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingeschränkt wird. Besondere Grundrechte gehen aber der pauschalen Annahme der Adressatentheorie vor: Hier erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass K durch den Verwaltungsakt in seiner Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) verletzt ist. Weiterhin erscheint eine Verletzung von Ks Rechten aus dem Landesversammlungsrecht möglich. Im Originalfall waren dies Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 BayVersG. Die Normen entsprechen z.B. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3 VersG NRW oder § 1 Abs. 1, 2 NVersG. Alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen unproblematisch vor. Ks Klage ist zulässig.

3. Ks Klage ist begründet, soweit der Bescheid rechtswidrig und K in seinen Rechten verletzt ist. Hat mit dem Bürgeramt von A die zuständige Behörde gehandelt (Art. 24 BayVersG), sodass der Bescheid formell rechtmäßig ist?

Ja, in der Tat!

Der Feststellungsbescheid ist formell rechtmäßig, wenn die zuständige Behörde gehandelt und dabei Verfahren und Form eingehalten hat. Gemäß Art. 24 Abs. 2 S. 1 BayVersG ist grundsätzlich die Kreisverwaltungsbehörde zuständig, gemäß Art. 24 Abs. 2 S. 2 BayVersG aber nach Versammlungsbeginn auch die Polizei. Die Kreisverwaltungsbehörde, die in Bayern die Aufgabe der Versammlungsbehörde wahrnimmt, ist das Bürgeramt (Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO, Art. 9 Abs. 1 GO, § 3 Abs. 1 BayVwVfG). Der Verwaltungsakt erging am 10.07. und damit nach Versammlungsbeginn, sodass auch die Polizei zuständig wäre. Das Bürgeramt bleibt aber nach Versammlungsbeginn neben der Polizei zuständig (RdNr. 38). Also hat die zuständige Behörde gehandelt und der Verwaltungsakt war formell rechtmäßig. In anderen Bundesländern ist allein die Polizei die zuständige Versammlungsbehörde (z.B. § 32 VersG NRW oder § 31 VersFG BE).

4. As Bescheid, das Camp sei keine Versammlung, ist materiell rechtswidrig, da es für einen solchen negativen Feststellungsbescheid keine Ermächtigungsgrundlage im Versammlungsgesetz gibt.

Nein!

Nach der Wesentlichkeitstheorie muss eine staatliche Maßnahme, die für die Grundrechtsausübung des Adressaten wesentlich ist (zum Beispiel die Grundrechte einschränkt), auf einer Rechtsgrundlage beruhen. Für die Feststellung, eine Veranstaltung sei keine Versammlung, gibt es keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage. Der Bescheid spricht Ks Klimacamp die Versammlungsqualität ab, zieht aber keine anderen Rechtsfolgen nach sich (RdNr. 41). Allerdings ergibt die Auslegung der versammlungsrechtlichen Generalklausel die behördliche Befugnis für eine negative Feststellung (RdNr. 40): Wenn die Behörde eine Versammlung verbieten kann, muss sie das Recht haben, zu überprüfen, ob eine Veranstaltung eine Versammlung ist, und das Prüfungsergebnis entsprechend verbindlich feststellen können (RdNr. 42) (sog. Minusmaßnahme). Die versammlungsrechtliche Generalklausel ist die hinreichende Ermächtigungsgrundlage. Zur Rechtsgrundlage sogenannter „Minusmaßnahmen“ im Versammlungsrecht wird Unterschiedliches vertreten: (1) es sei die Generalklausel heranzuziehen und auszulegen (wie hier BayVGH), (2) es sei das Polizeirecht heranzuziehen.

5. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides ist die letzte mündliche Verhandlung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der entscheidungserhebliche Zeitpunkt ist bei Anfechtungsklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Ausnahmsweise kommt es dagegen insbesondere dann auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an, wenn das materielle Recht anderes anordnet oder es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt (RdNr. 44). Aus dem bayrischen materiellen Recht ergibt sich, dass der Zeitpunkt der Behördenentscheidung relevant ist: (1) Art. 15 Abs. 1 BayVersG stellt auf die „zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umstände“ ab, (2) aus der Anzeigepflicht (Art. 13 BayVersG) ergibt sich, dass die Rechtmäßigkeit von behördlichen Maßnahmen von den ihr mitgeteilten aktuellen Informationen abhängt (RdNr. 45ff). Der Bescheid ist auch kein Dauerverwaltungsakt, da ein feststellender Verwaltungsakt zur Klärung eines rechtlichen Status kein dauerhaftes Rechtsverhältnis begründet (RdNr. 51). Folglich ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der 10.07.

6. Der Feststellungsbescheid der A ist rechtswidrig, wenn es sich bei Ks Klimacamp um eine Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 BayVersG) handelt.

Ja, in der Tat!

Bei einem negativen Feststellungsbescheid auf Grundlage der versammlungsrechtlichen Generalklausel, der eine Veranstaltung verbindlich als „keine Versammlung“ klassifiziert, handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (RdNr. 84). Liegen die Voraussetzungen einer Versammlung vor, darf die Versammlungsbehörde keinen negativen Feststellungsbescheid erlassen. Liegen die Versammlungsvoraussetzungen nicht vor, muss die Behörde – statt Maßnahmen aus dem Versammlungsgesetz zu ergreifen – feststellen, dass keine Versammlung vorliegt. Der Feststellungsbescheid ist also rechtswidrig, wenn das Klimacamp eine Versammlung ist: ein örtliches Zusammenkommen von mindestens zwei Personen in innerer Verbundenheit zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.

7. Zum Programm des Klimacamps zählten auch Nachhilfeunterricht, IT-Workshops, Spiele und Sport. Sprechen diese Aktivitäten für eine kollektive öffentliche Meinungsbildung?

Nein!

Um Versammlungen von reinen Ansammlungen und kommerziellen- oder Spaßveranstaltungen abgrenzen zu können, ist nach dem hier vertretenen engen Versammlungsbegriff notwendig, dass der gemeinsam verfolgte Zweck eine öffentliche Angelegenheit betrifft. Das macht die Versammlungsfreiheit zu einem politischen Grundrecht. Einige Spiel- und Sportaktionen verfolgten nicht die kollektive Meinungsbildung zum Thema Klimagerechtigkeit (RdNr. 79). Die Aktionen waren auch nach außen für ein Publikum wahrnehmbar. Dies spricht gegen die Einordnung als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Die öffentlich angekündigten IT-Workshops und manche Sportveranstaltungen haben im Originalfall nach einem Kooperationsgespräch zwischen K und A tatsächlich nicht stattgefunden. Problematisch war aber, dass K die Absage dieser Aktivitäten nicht öffentlich gemacht hatte (RdNr. 72). Folglich existierte nach außen weiterhin der Event- und Spaßcharakter des Camps.

8. Das Klimacamp hatte aufgrund seines Veranstaltungsthemas und seiner Protestaktionen auch zahlreiche Elemente, die auf kollektive öffentliche Meinungsbildung gerichtet waren.

Genau, so ist das!

Das Klimacamp trägt zur öffentlichen Meinungsbildung bei durch das Veranstaltungsthema „Klimagerechtigkeit“ (RdNr. 61), die Protestaktionen zur Bekämpfung des Klimawandels, sowie durch die Wahl des Ortes des Protests vor dem Rathaus, um lokale Entscheidungsträger zu konfrontieren (RdNr. 62). Das Klimacamp trägt ferner zur öffentlichen Meinungsbildung bei durch die angekündigten und eingesetzten Kundgebungsmittel wie Spruchbänder, Plakate und einer Anschlagtafel mit einem Forderungskatalog (RdNr. 63). K veranstaltete auch Workshops u.a. zu Demokratie und Klima (RdNr. 65). Außerdem wurden für ein Bürgerbegehren Unterschriften gesammelt und Diskussionen mit Politikern veranstaltet. Passanten wurde die klimapolitische Botschaft des Camps deutlich (RdNr. 63). Diese mannigfaltigen Elemente erfüllen das Erfordernis der gemeinsamen öffentlichen Meinungsbildung. Im Originalfall hatte A vorgebracht, manche Aktionen wie das Malen von Plakaten sprächen nicht für den Versammlungscharakters des Klimacamps, sondern würden lediglich zukünftige Versammlungen vorbereiten (RdNr. 18). Dem folgte der VGH nicht: Es handle sich um eine eigenständige Aktivität der konkreten Versammlung, die auf die öffentliche Meinungsbildung ziele (RdNr. 66).

9. Die an den Veranstaltungsort verbrachten Hilfsmittel und Gegenstände wie Sofas, Schränke, Zelte, Autoreifen, Tische und Stühle stehen der Versammlungseigenschaft der Veranstaltung entgegen.

Nein, das trifft nicht zu!

Gegenstände und Hilfsmittel, die der Infrastruktur der Veranstaltung dienen, widersprechen dem Versammlungscharakter nicht, soweit sie der Verwirklichung des Versammlungszwecks und der kollektiven Meinungskundgabe funktional, symbolisch oder konzeptionell dienen (RdNr. 73). Der größte Teil der verbrachten Hilfsmittel und Gegenstände (Stühle, Tische, Autoreifen) diente allein der konkreten kollektiven Meinungsbildung und -äußerung zur Klimagerechtigkeit, da sie für die meinungsrelevanten Aktivitäten, Veranstaltungen und Diskussionen genutzt wurden (RdNr. 75). Folglich waren sie funktional und konzeptionell versammlungsspezifisch und sprechen für den Versammlungscharakter. Anderen Gegenständen wie Zelten kam eine Doppelfunktion zu: Sie wurden für die Meinungsäußerung (Plakate), aber auch für nicht versammlungsspezifische Aktivitäten genutzt (RdNr. 77). Da aber Plakatslogans lauteten „Wir campen bis Ihr handelt!“, gab es einen Bezug zwischen Protest und Zelten, sodass sie dem Versammlungscharakter nicht widersprechen (RdNr. 78).

10. Nach dem Gesamtgepräge der Veranstaltung steht der Event- und Spaßcharakter im Vordergrund, sodass das Klimacamp keine Veranstaltung und der negative Feststellungsbescheid rechtmäßig war.

Nein!

Ob das Klimacamp eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG war, ist anhand einer Gesamtschau der Veranstaltung zu bestimmen (RdNr. 80). Dabei kommt es nicht auf die quantitative Verteilung von meinungsrelevanten und nichtmeinungsrelevanten Veranstaltungsinhalten an, sondern auf eine qualitative Gewichtung der einzelnen Veranstaltungsinhalte (RdNr. 81). Die meinungsrelevanten Veranstaltungsinhalte waren breit gefächert, ergänzten sich gegenseitig und waren aufgrund der Stoßrichtung des Klimacamps und seiner öffentlichen Wahrnehmung besonders gewichtig (RdNr. 81). Diese Elemente prägten die Veranstaltung qualitativ und überwogen gegenüber den nicht-versammlungsspezifischen. Diese fanden lediglich vereinzelt statt, teilweise wurden sie abgesagt. Das Camp war in der Gesamtbetrachtung eine Versammlung. Da es sich bei dem Klimacamp um eine Versammlung handelte, war As Feststellungsbescheid rechtswidrig. Ks Klage ist begründet und hat Erfolg.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daniel (blabab45)

Daniel (blabab45)

12.12.2023, 08:32:57

In der Antwort zur 4. Frage wird als Maßstab, ob eine Rechtsgrundlage für den VA erforderlich ist die

Wesentlichkeitstheorie

herangezogen, mit der Behauptung, diese würde besagten, dass Eingriffe, die für die Ausübung eines Grundrechts wesentlich sind, eine Rechtsgrundlage erfordern. (Ich muss den Text leider aus technischen Gründen aufteilen)

Daniel (blabab45)

Daniel (blabab45)

12.12.2023, 08:34:43

Das ist nach meinen Verständnis nicht richtig. Der Grundsatz, demnach ein (

belastender

) VA einer Rechtsgrunde bedarf ist der Gesetzesvorbehalt. Die

Wesentlichkeitstheorie

(insbesondere aus Coronazeiten bekannt) besagt nur, in welchem Umfang der parlamentarische Gesetzgeber den Inhalt nachfolgender, ausführender Rechtsakte bestimmen muss. M.a.W.: Die

Wesentlichkeitstheorie

besagt nur, dass der Gesetzgeber die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und sie nicht der Exekutive überlassen darf. Das betrifft aber die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und nicht die Rechtmäßigkeit von VA (außer natürlich die Verfassungsmäßigkeit der RGL des VA wird mit diesem Argument angegriffen)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.12.2023, 13:05:23

Hallo Daniel, vielen Dank für Deinen Hinweis und die Nachfrage. Die

Wesentlichkeitstheorie

und Gesetzesvorbehalt schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr stellt die Wesentlichkeitslehre eine vom BVerfG entwickelte Konkretisierung des Umfangs und der Grenzen des Gesetzesvorbehaltes dar, der aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet wird. Der Gesetzgeber muss staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren UND alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen(vgl. zB BVerfGE 83, 130 - Josefine Mutzenbacher RdNr. 38,https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv083130.html#142). Enthalten sind insoweit zwei Elemente: (1) es muss überhaupt ein förmliches Gesetz vorliegen und (2) muss dieses auch alle wesentlichen Entscheidungen treffen. Du hast aber völlig recht, dass die

Wesentlichkeitstheorie

vor allem bei der Frage relevant wird, inwieweit die

Ermächtigungsgrundlage

verfassungsgemäß ist. Hintergrund dessen ist, dass bei belastenden Maßnahmen unstreitig ist, dass diese auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen müssen. Zum Einsatz gelangt die Wesentlichkeitslehre aber zB auch bei der Frage, ob und inwieweit es für begünstigende

Verwaltungsakt

e (zB Subventionen) einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Während das Spektrum in der Literatur von nie (=Lehre vom Eingriffsvorbehalt) bis immer (=Lehre vom Totalvorbehalt) reicht, nimmt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hier einen vermittelnden Standpunkt ein und lässt idR die Bereitstellung im Haushaltsplan genügen. Nach der Wesentlichkeitslehre kommt es dagegen auf die "Wesentlichkeit" der Subvention an, insb. bei Beeinträchtigung von Rechten Dritter (zB bei staatlicher Förderung politischer Stiftung --> wegen Chancengleichheit politischer Parteien aus Art. 21 abs. 1 S. 1 GG bedarf es hier eines förmlichen Gesetzes, BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 22. Februar 2023 – 2 BvE 3/19 – Ls. 1.? Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/02/es20230222_2bve000319.html). Ich hoffe, jetzt ist es noch etwas klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EN

Entenpulli

12.12.2023, 16:46:56

Vielen Dank für diese Aufgaben. Eng damit verbunden und daher sicher auch höchst interessant und relevant wäre die Entscheidung aus Freiburg zum Thema "Klimacamp vs Weihnachtsmarkt". Wäre super, wenn ihr dazu auch Fragen machen könntet :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.12.2023, 20:09:13

Vielen Dank, Entenpulli! Schauen wir uns gerne an :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

12.12.2023, 19:48:36

Danke für den interessanten Fall! Bei Frage 1 geht die Subsumtion etwas am Thema vorbei. Die ersten beiden Sätze gehören eher zum Maßstab. Dann ist entscheidend für die Unterscheidung von Anfechtungsklage und

Feststellungsklage

nicht, ob der Bescheid ein

Verwaltungsakt

ist. Entscheidend für die Statthaftigkeit der

Feststellungsklage

ist, ob der

Verwaltungsakt

sich bereits erledigt hat. Das müsste in der Subsumtion untersucht und nicht erst in der Vertiefung erwähnt werden.

KI

kithorx

28.2.2024, 13:43:19

Verwechselst du am Ende die FK mit der FFK? Wenn das Klägerbegehren darauf gerichtet ist, eine Maßnahme wegzuschaffen, und diese einen VA darstellt, ist die AK oder FFK statthaft, aber doch in keinem Fall die FK, oder?

Whale

Whale

12.7.2024, 10:37:53

Die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA ist ja im Prinzip sowieso nicht direkt von der FK erfasst. Jedenfalls spricht der § 43 II Satz 2 VwGO nur von einer Nichtanwendung der Subsidiaritätsregelung bei der Feststellung der Nichtigkeit eines VA, sodass geschlussfolgert werden kann, dass - sollte die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA relevant werden - sowieso immer die AK Vorrang hat und das innerhalb der Statthaftigkeit der FK nicht diskutiert zu werden braucht.

QUIG

QuiGonTim

13.12.2023, 00:30:24

Liebe Jurafuchs-Team, vielen Dank für die ansprechende und verständliche Aufbereitung der Entscheidung. Für mich ergeben sich daraus zwei Fragen sind zwei Fragen: (1) Ihr schreibt bezüglich der statthaften Klageart, dass die

Feststellungsklage

nicht statthaft sei, da sich der VA noch nicht erledigt habe. Hatte K geklagt, während das Protestcamp noch stattfand, oder warum hat sich der VA noch nicht erledigt? (2) In der Entscheidung hat der VGH das mehrtägige Campieren auf einem öffentlichen Platz als Versammlung angesehen. Ist der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit überhaupt zeitlichen (Ober-)Grenzen unterworfen?

KI

kithorx

28.2.2024, 13:39:40

(1) Ja, das nehme ich an. (2) Grundsätzlich nein, jedenfalls dürfte es keine festen Grenzen geben. Die Dauer wird aber das Gesamtgepräge einer Veranstaltung beeinflussen können.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.8.2024, 16:32:05

Hallo, danke für die Nachfrage. Hier noch eine kurze Ergänzung: Die

FESTSTELLUNGSKLAGE

, war hier nicht statthaft, weil es um die Aufhebung eines

Verwaltungsakt

s ging und somit die Subsidiaritätsklausel aus § 43 Abs. 2 VwGO greift. Im zweiten Schritt stellt sich dann die Frage: Ist der

Verwaltungsakt

noch wirksam (= Anfechtungsklage) oder hat er sich erledigt (= Fortsetzungs

feststellungsklage

)? Hier ist mangels anderer Angaben im Sachverhalt davon auszugehen, dass sich der

Verwaltungsakt

nicht erledigt hat. :) Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

FLA

flaschenmaster

15.1.2024, 23:09:54

Für die Beantwortung einiger Fragen, fehlten mE manche Sachverhaltsinformationen. So war es gerade bei den Fragen zur Gesamtbewertung eher ein wildes Raten. Die gegebenen Erklärungen waren aber durchaus hilfreich.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 12:27:25

Hallo flaschenmaster, vielen Dank für Deine Rückmeldung! Um den Sachverhalt nicht zu überfrachten, haben wir die weiteren Informationen in die Fragen integriert, sodass dadurch dann auch die Gesamtbewertung möglich sein soll. Zumindest in der Klausur ist das Ergebnis aber auch von untergeordneter Bedeutung. Im Fokus steht die strukturierte Vorgehensweise sowie die Auswertung aller wesentlichen Sachverhaltsinformationen. Ich hoffe, dass der Fall Dir hierfür geholfen hat :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

suessmaus

suessmaus

13.3.2024, 19:24:56

ich verstehe nicht, wieso das eine Minusmaßnahme sein soll. Das würde doch voraussetzen, dass ein Versammlungsverbot grds. möglich wäre.

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

15.3.2024, 11:50:55

@[Lukas_Mengestu](136780) Hallo suessmaus, die Ausführungen zur Minusmaßnahme betreffen ganz abstrakt die Frage "Existiert eine

Ermächtigungsgrundlage

für einen negativen Feststellungsbescheid, wie er hier vorliegt?" (erster Prüfungspunkt bei der materiellen Rechtmäßigkeit). Die Antwort darauf ist: Ja, denn aus der eingriffsintensiveren EGL Art. 15 BayVersG (Versammlungsverbot) kann geschlossen werden, dass allgemein erst recht eine Befugnis der Behörde bestehen muss, niedrigschwelliger festzustellen, dass es sich bei einer Veranstaltung gar nicht um eine Versammlung handelt (sog. Minusmaßnahme gegenüber dem Verbot). Erst danach kommt es darauf an, ob konkret die Voraussetzungen dieser (durch Auslegung ermittelten) EGL vorliegen, nämlich: "Liegt tatsächlich keine (!) Versammlung vor?". Das war hier zu verneinen, daher war die Feststellung rechtswidrig. Von dem Tatbestand eines Versammlungsverbots (Art. 15 BayVersG) ist diese weitere Prüfung unabhängig. Ich hoffe, ich konnte Dir helfen! Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team

Joshua

Joshua

6.4.2024, 20:38:16

Aber nach meinem Verständnis ist eine Minusmaßnahme doch nur zulässig, wenn die “Plusmaßnahme” also die Auflösung zulässig wäre, da ja erst dann der Erst-Recht Schluss greift, dass es verhältnismäßiger ist Minusmaßnahmen zu ergreifen, statt die Versammlung aufzulösen. Ob die Auflösung rechtmäßig wäre, wird hier allerdings gar nicht angesprochen…

CAN

cann1311

26.4.2024, 23:45:57

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Minusmaßnahme ist etwas unglücklich formuliert. Ein anderes Beispiel aus dem Versammlungsrecht ist der kamerawagen. Diesen aufzustellen reicht schon als Eingriff (mögliche Aufzeichnung = Eingriff ist ein Klassiker) es gibt aber nur eine EGL fürs Filmen, nicht zum aufstellen. Es ist aber klar dass wenn das Filmen schon erlaubt sein kann (!) (Bei der prüfung der EGL geht's ja erstmal nicht um RW + oder -) das aufstellen *erst recht* erlaubt sein muss. So hier: Wenn es erlaubt ist eine rechtswidrige Versammlung aufzulösen, dann muss es erst recht möglich sein, die Rechtswidrigkeit der Versammlung zu prüfen (und diese dem Veranstaltungsleiter mitzuteilen)

Whale

Whale

16.8.2024, 14:19:26

Am Ende wird in die Gewichtung (Gesamtschau) miteinbezogen, dass einige der Spiel- und Spaßaktionen abgesagt worden sind, obwohl weiter vorne festgestellt wird, dass trotz Absage dieser Veranstaltungsinhalte der nach außen tretende Charakter (es wurde ja nicht kundgegeben, dass diese Inhalte nun nicht mehr stattfinden) maßgeblich ist. Dies erweckt den Eindruck, dass man dann in der Gewichtung dieses Argument der Absage nicht heranziehen darf. Widerspricht sich hier die Lösung?

BE

Bioshock Energy

11.9.2024, 15:12:09

-Gemeinden unter 7.500 Einwohnern: Landrat als Kreisordnungsbehörde gem. § 1 S. 1 Nr. 2 HSOG-DVO i.V.m. § 85 I Nr. 3 HSOG -Gemeinden ab 7.500 Einwohnern: Bürgermeister/OB als örtliche Ordungsbehörde gem. § 1 S. 1 Nr. 2 HSOG-DVO i.V.m. §§ 85 I Nr. 4, 89 II 1 HSOG


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