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Verletzter Huf – Haftung des Reitvereins? (OLG Frankfurt, 12.11.2024 – 26 U 24/23)
Verletzter Huf – Haftung des Reitvereins? (OLG Frankfurt, 12.11.2024 – 26 U 24/23)
21. Mai 2025
11 Kommentare
4,4 ★ (22.404 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Ks Pferd ist in einer Box auf dem Gelände des Reitvereins V untergebracht. Nach dem „Einstellvertrag” stellt V einerseits die Box zur Verfügung, übernimmt aber auch gewisse Pflegetätigkeiten. Eines Morgens entdeckt K, dass das Pferd sich einen herumliegenden Hufnagel eingetreten und sich verletzt hat.
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Einordnung des Falls
Verletzter Huf – Haftung des Reitvereins? (OLG Frankfurt, 12.11.2024 – 26 U 24/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ks Pferd muss operiert werden. K verlangt Ersatz der Heilbehandlungskosten von V. Könnte ihr ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gegen V zustehen?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. V ist einerseits dazu verpflichtet, das Pferd mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Pflegers zu füttern, zu misten und Krankheiten unverzüglich zu melden. Kann man den Vertrag zwischen V und K als reinen Mietvertrag einordnen (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der Einstellvertrag ist ein typengemischter Vertrag. Sind auf diesen sämtliche Normen aller enthaltenen Vertragstypen anwendbar?
Nein!
4. V schuldet nicht nur die Bereitstellung einer Box, sondern auch die Fütterung, das Misten und das Melden von Krankheiten. Ist der Vertrag seinem Schwerpunkt nach ein Verwahrungsvertrag (§ 688 BGB)?
Genau, so ist das!
5. K ist der Meinung, ihr Pferd sei im Stall auf einen Hufnagel getreten und habe sich dadurch verletzt. Könnte darin eine Verletzung von Vs Pflichten aus dem Einstellvertrag liegen (§ 280 Abs. 1 BGB)?
Ja, in der Tat!
6. Zwischen K und V ist streitig, ob der Nagel tatsächlich in der Box des Pferdes lag. Muss grundsätzlich der Gläubiger das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Schuldners beweisen (§ 280 Abs. 1 BGB)?
Ja!
7. Wenn die Ursache des Schadens allein aus dem Gefahrenbereich des Schuldners stammt, ist es interessengerecht, dass der Gläubiger die Pflichtverletzung beweisen muss.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. K ist kurz vor der Verletzung des Pferdes noch mit diesem ausgeritten. Liegen die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen damit allein im Gefahrenbereich des V?
Nein, das trifft nicht zu!
9. K konnte nicht beweisen, dass der Nagel in der Box ihres Pferdes lag. Sie meint, V müsse aber auch dann haften, wenn der Nagel auf Vs Reitplatz lag. Umfasst Vs Obhutspflicht jede denkbare Vorkehrung, um Schadensfälle auf der gesamten Reitanlage zu vermeiden?
Nein!
10. V hat alle zumutbaren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit vorgenommen. Hat K somit einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten (§ 280 Abs. 1 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Es kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Hat K eine Rechtsgutsverletzung erlitten?
Ja, in der Tat!
12. Beruht die Rechtsgutsverletzung (bewiesenermaßen) auf einer Verletzungshandlung des V?
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Simon172
13.4.2025, 16:54:33
Vielleicht habe ich es auch überlesen, aber mir scheint es zweckmäßig hier nochmal eindeutig zu unterstreichen, dass dies ein Fall einer Beweislastumkehr ist. So zumindest der BGH in gleichgelagerten Fällen: BGH, Urteil vom 22.10.2008 - XII ZR 148/06, Rn. 19 und Rn. 20: Grundsätzlich hat allerdings der Mieter als
Schadensersatzgläubiger darzulegen und zu beweisen, dass den Vermieter eine Pflichtverletzung trifft und diese für den entstandenen
Schadenursächlich war (BGH Urteil vom 31. Mai 1978 - VIII ZR 263/76 - NJW 1978, 2197). Allerdings bestimmt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (ähnlich
§ 282 BGBa. F.) eine Beweislastumkehr, soweit es um das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung geht. Die Grenze dieser Beweislastumkehr, die nicht nur das Ver
schulden im engeren Sinne, sondern auch die (objektive) Pflichtverletzung ergreift (Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - XII ZR 216/02 - ZMR 2005, 520, 522), ist nach der Rechtsprechung des Senats danach zu bestimmen, in wessen Obhuts- und Gefahrenbereich die
Schadensursache lag (Senatsurteile BGHZ 126, 124, 129; vom 27. April 1994 - XII ZR 16/93 - NJW 1994, 1880, 1881; vgl. auch MünchKomm/Ernst BGB 5. Aufl. § 280 Rdn. 141). Nach denselben Grundsätzen ist der Senat auch bei einer
Schadensersatzhaftung unter Mietern verfahren, wenn die genaue Ursache eines Brandes nicht aufgeklärt werden konnte (Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - XII ZR 216/02 - ZMR 2005, 520, 522). Steht demnach fest, dass als
Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des
Schuldners in Betracht kommt, muss dieser sich nicht nur hinsichtlich der subjektiven Seite, sondern auch hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten (Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - XII ZR 216/02 - ZMR 2005, 520, 522).

Alv Tny Km
4.5.2025, 16:51:44
@[Simon172](297126) kannst du bitte erklären, weshalb das hier ein Fall der Beweislastumkehr darstellt? Wir fallen doch innerhalb der Prüfung "Pflichtverletzung" bereits heraus, sodass wir gar nicht zum Vertretenmüssen kommen und §
280 I 2 BGBkeine Rolle spielt? Dieser bezieht sich auf das VERTRETENMÜSSEN der Pflichtverletzung, die Pflichtverletzung als solche muss trotzdem die Gläubigerin beweisen. Danke :)
Simon172
5.5.2025, 06:33:03
Der BGH scheint 280 I 2 auch auf die Pflichtverletzung zu erstrecken, wenn ich als Gläubiger darlege und im bestreitensfall beweise, dass die
Schadensursache nur aus dem Risikobereich des
Schuldners kommen kann. In diesem Fall kehrt sich dann die Beweislast auch für die Pflichtverletzung um. So verstehe ich die BGH-Fundstellen, die ich finden konnte (s.o.).
jc1909
21.4.2025, 09:48:33
Verstehe ich das also richtig, dass grundsätzlich die Beweislastumkehr nach § 280 I 2 gilt, diese wiederum aber nicht gilt, wenn die Gefahr auch im verantwortungsbereich des
schadensersatzgläubigers gab. Ist das dann quasi eine teleologische Reduktion des § 280 I 2?

Linne_Karlotta_
22.4.2025, 10:17:00
Hallo @[jc1909](167873), danke für Deine Frage. Achtung! Hier musst Du besonders sauber differenzieren: Die Beweislatsumkehr aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bezieht sich nur auf das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung. Sie hilft dir also bei der Frage, ob der
Schuldner überhaupt eine Pflichtverletzung i.S.v. § 280 Abs. 1 BGB begangen hat, nicht weiter. Du darfst also unter dem Prüfungspunkt „Pflichtverletzung“ niemals auf § 280 Abs. 1 S. 2 BGB abstellen, sondern musst die Pflichtverletzung positiv feststellen. Erst i.R.d. „Vertretenmüssen“ greift grundätzlich § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Der
Schuldner muss dann beweisen, dass er die Pflichtverletzung – entgegen der gesetzlichen Vermutung – nicht zu vertreten hat. I.R.d. „Pflichtverletzung“ müsste der Gläubiger – mangels gesetzlich geregelter Beweislastumkehr – grundsätzlich beweisen, dass der Anspruchsgegner eine Pflicht aus dem
Schuldverhältnis verletzt hat. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung eine Ausnahme entwickelt. Und zwar für die Fälle, in denen der Gläubiger beweisen kann, dass die Gefahrenquelle allein im Verantwortungsbereich des
Schuldners liegt. Diese Konstellation beruht auf der Überlegung, dass es für den Gläubiger oft unmöglich ist, nachzuweisen, welche konkrete Pflichtverletzung vorliegt, wenn sich der
Schadenin einem Bereich ereignet hat, den allein der
Schuldner beherrscht. Gelingt dem Gläubiger der Beweis, dass die Gefahr nur aus einem allein vom
Schuldner beherrschten Bereich stammen kann, dann muss der
Schuldner beweisen, dass er keine Pflicht verletzt hat. Diese Beweislastumkehr beruht allein auf der richterlichen Rechtsfortbildung und hat dementsprechend keine normative Anknüpfung, sondern muss in der Klausur mit der o.g. Begründung und dem Verweis auf die Rspr. kurz hergeleitet werden. In unserem Fall konnte die Anspruchsstellerin – wegen ihres Ausritts – nicht beweisen, dass der
Schadennur aus dem Verantwortungsbereich des Anspruchgegners stammen konnte. Die Beweislastumkehr i.R.d. Pflichtverletzung greift daher nicht, sondern sie musste diese positiv darlegen und beweisen. Auch das ist ihr nicht gelungen, V ist seinen bestehenden Pflichten ausreichend nachgekommen. Es ist extrem wichtig, dass Du die beiden Institute unterscheiden und anwenden kannst. Mache Dir noch einmal die Unterschiede bewusst. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team