Gewalt durch Unterlassen

14. Juli 2025

21 Kommentare

4,8(17.167 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

T ist im Rahmen ihres freiwilligen sozialen Jahres allein für die Versorgung des größtenteils bewegungsunfähigen O zuständig. Sie findet die Bezahlung dafür zu gering. T unterlässt es deshalb, O zu versorgen, um ihn zum Unterschreiben eines Schecks zu veranlassen. Mit Erfolg.

Diesen Fall lösen 87,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Gewalt durch Unterlassen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat gegen O Gewalt durch aktives Tun ausgeübt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

T hat O nicht versorgt. Sie hat also gerade nichts aktiv getan. Eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB durch aktives Tun scheidet damit aus. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit nach §§ 240 Abs. 1, 13 StGB (Nötigung durch Unterlassen).
BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Könnte auch im Unterlassen der Versorgung eine Gewaltanwendung im Sinne des §§ 240 Abs. 1, 13 StGB liegen?

Ja!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.Nach den allgemeinen Voraussetzungen des § 13 StGB kann der Täter die Gewalt auch durch Unterlassen begehen.Durch das Unterlassen der Versorgung löst T bei O physisch wirkender Zwang (Hunger, Durst, Schmerzen, …) aus. Ts Unterlassen fällt damit unter den Begriff der Gewalt i.S.v. §§ 240 Abs. 1, 13 StGB.Zwar handelt T hier gerade nicht aktiv. Mithin entfaltet sie auch keine körperliche Kraft. Die st.Rspr. bejaht dennoch die Möglichkeit der Gewalt durch Unterlassen. Grund dafür ist der Telos der Norm: Bestraft werden soll die Einwirkung auf den Körper eines anderen, um dessen freie Willensentschließung zu beeinträchtigen. Auch bei einem Unterlassen könne körperliche Zwangswirkung auf Seiten des Opfers entstehen.

3. Wegen einer unterlassenen Handlung kann sich nach § 13 Abs. 1 StGB nur strafbar machen, wer eine Garantenstellung inne hat. Scheidet eine Strafbarkeit von T deswegen aus?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die nach § 13 StGB erforderliche Garantenstellung meint die rechtliche Pflicht zur Überwachung einer Gefahr (Überwachergarant) oder zur Bewahrung eines bestimmten Gutes vor beliebigen Gefahren (Beschützergarant).T befindet sich im freiwilligen sozialen Jahr und hat in diesem Zuge freiwillig die Versorgung des größtenteils bewegungsunfähigen O übernommen. Diese tatsächliche Übernahme begründet eine Beschützergarantenpflicht.Das Unterlassen der Versorgung entspricht auch einem aktiven Tun (Entsprechungsklausel, § 13 Abs. 1 Hs. 2 StGB).

4. Es fehlt ein Nötigungserfolg i.S.v. § 240 Abs. 1 StGB.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 240 StGB ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Handlung meint dabei ein positives Tun.O hat den Scheck unterschrieben. Ein Nötigungserfolg ist somit gegeben.O hat den Scheck auch gerade deshalb unterschrieben, weil T ihm die Versorgung verweigert hat. Auch der nötigungsspezifische Zusammenhang liegt damit vor.
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

23.6.2022, 21:14:43

Müsste man in einer Klausur auch den 225 (v3 böswillige Vernachlässigung) anprüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.6.2022, 10:52:47

Hallo Burumar, anprüfen könntest Du es natürlich. Allerdings gibt der Sachverhalt hier letztlich nicht genügend Hinweise dafür, dass hier eine

Gesundheitsschädigung

infolge der Vernachlässigung eingetreten ist. Im Ergebnis müsstet Du dies deshalb ablehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MO

Momme

30.6.2023, 21:39:33

Wie sieht es hier mit §§ 253, 2

55 StGB

aus?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

30.4.2025, 21:04:20

Hallo @[Momme](139284), auch diese Normen dürften hier erfüllt sein. Es gilt insofern hinsichtlich der

Gewalt durch Unterlassen

nichts anderes. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

JO

JohnnyLbd

21.6.2024, 10:01:50

Hey ich hab ne frage bzgl. des nötigungsspezifischen Zusammenhangs von Mittel und Erfolg. Dieser geht ja nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit. Dennoch ist immer wie ich gesehen habe auch von Kausalität gesprochen. Geht der Zusammenhang dann nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit aber hat noch ein Kausalitätselement zusätzlich mit drinne ?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

30.4.2025, 20:48:41

Hallo @[JohnnyLbd](158031), ja, für den nötigungsspezifischen Zusammenhang ist auch Kausalität erforderlich. Vergleiche dazu auch diesen Fall: https://applink.jurafuchs.de/JxvQwYILZSb Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen