Gewalt durch Unterlassen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die 20-jährige T ist im Rahmen ihres freiwilligen sozialen Jahres allein für die Versorgung des größtenteils bewegungsunfähigen und ans Bett gefesselten O zuständig. T unterlässt es, den O zu versorgen, um ihn zur Unterschreibung eines Schecks zu veranlassen, da sie der Meinung ist, chronisch unterbezahlt zu sein. Mit Erfolg.
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Einordnung des Falls
Gewalt durch Unterlassen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht sie den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Unterlassen der Versorgung ist eine Gewaltanwendung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
3. T hat O zu einer Handlung genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja!
4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt die Handlung des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Burumar🐸
23.6.2022, 21:14:43
Müsste man in einer Klausur auch den 225 (v3 böswillige Vernachlässigung) anprüfen?
Lukas_Mengestu
24.6.2022, 10:52:47
Hallo Burumar, anprüfen könntest Du es natürlich. Allerdings gibt der Sachverhalt hier letztlich nicht genügend Hinweise dafür, dass hier eine
Gesundheitsschädigunginfolge der Vernachlässigung eingetreten ist. Im Ergebnis müsstet Du dies deshalb ablehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Momme
30.6.2023, 21:39:33
Wie sieht es hier mit §§ 253, 255 StGB aus?
Dominic
27.7.2023, 08:52:12
Wo liegt denn hier die körperliche Kraftentfaltung? Praktisch wird darauf abgestellt, dass die T sich nicht bewegt. Wer sich nicht bewegt, bewirkt doch auch keine körperliche Kraftentfaltung. Dass auf der Opferseite körperlicher Zwang entsteht sehe ich auch so. Aber auf Täterseite liegt doch hier keine Körperlichkeit vor. Das ist doch Element der Definition des Gewaltbegriffs
Lukas_Mengestu
31.7.2023, 19:19:21
Hallo Dominic, in der Tat passt die klassische Definition der aktiven Gewalt nur bedingt auf "
Gewalt durch Unterlassen". Dass Gewalt aber auch durch bloßes Unterlassen möglich ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung, die noch auf das Reichsgericht zurückgeht (vgl. RG, Urteil vom 30. Oktober 1885 – 2317/85 –, RGSt 13, 49-52). Maßgeblich wird hierbei auf den Gesetzeszweck abgestellt. Verhindert werden soll durch die Nötigung jede unmittelbare bzw. mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentschließung desselben zu beeinträchtigen und ihn hierdurch zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bewegen. Unerheblich soll hierfür sein, ob die Einwirkung durch
aktives Tunoder Unterlassen bewirkt wird. Maßgeblich ist also weniger die körperliche Kraftentfaltung auf Täterseite als vielmehr die körperliche Zwangswirkung auf Seiten des Opfers (rein psychische Zwänge genügen indes nicht, vgl. Sitzblockadeentscheidung des BVerfG & Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Natze
13.1.2024, 10:36:27
Also prüft man es als unechtes Unterlassungsdelikt? 🙈
L.Goldstyn
31.7.2024, 11:45:39
Hallo Natze, genau so ist es, §§ 240 Abs. 1, 13 StGB. Das wird in den Fragen leider nicht hinreichend deutlich.
Natze
31.7.2024, 12:23:46
Merci :)
sy
4.10.2024, 23:15:18
gut dass man erst die feads lesen muss um die aufgabe zu verstehen..
JohnnySpecter69
21.6.2024, 10:01:50
Hey ich hab ne frage bzgl. des nötigungsspezifischen Zusammenhangs von Mittel und Erfolg. Dieser geht ja nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit. Dennoch ist immer wie ich gesehen habe auch von Kausalität gesprochen. Geht der Zusammenhang dann nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit aber hat noch ein Kausalitätselement zusätzlich mit drinne ?