Gewalt durch Unterlassen
12. April 2025
13 Kommentare
4,8 ★ (13.684 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die 20-jährige T ist im Rahmen ihres freiwilligen sozialen Jahres allein für die Versorgung des größtenteils bewegungsunfähigen und ans Bett gefesselten O zuständig. T unterlässt es, den O zu versorgen, um ihn zur Unterschreibung eines Schecks zu veranlassen, da sie der Meinung ist, chronisch unterbezahlt zu sein. Mit Erfolg.
Diesen Fall lösen 92,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat gegen O Gewalt durch aktives Tun ausgeübt (§§ 240 Abs. 1, 13 StGB), indem sie ihn nicht versorgt hat.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte auch im Unterlassen der Versorgung eine Gewaltanwendung im Sinne des §§ 240 Abs. 1, 13 StGB liegen?
Ja!
3. Wegen einer unterlassenen Handlung kann sich nach § 13 Abs. 1 StGB nur strafbar machen, wer eine Garantenstellung inne hat. Scheidet eine Strafbarkeit von T deswegen aus?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Es fehlt ein Nötigungserfolg i.S.v. § 240 Abs. 1 StGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸
23.6.2022, 21:14:43
Müsste man in einer Klausur auch den 225 (v3 böswillige Vernachlässigung) anprüfen?

Lukas_Mengestu
24.6.2022, 10:52:47
Hallo Burumar, anprüfen könntest Du es natürlich. Allerdings gibt der Sachverhalt hier letztlich nicht genügend Hinweise dafür, dass hier eine
Gesundheitsschädigunginfolge der Vernachlässigung eingetreten ist. Im Ergebnis müsstet Du dies deshalb ablehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Momme
30.6.2023, 21:39:33
Wie sieht es hier mit §§ 253, 255 StGB aus?
Dominic
27.7.2023, 08:52:12
Wo liegt denn hier die körperliche Kraftentfaltung? Praktisch wird darauf abgestellt, dass die T sich nicht bewegt. Wer sich nicht bewegt, bewirkt doch auch keine körperliche Kraftentfaltung. Dass auf der Opferseite körperlicher Zwang entsteht sehe ich auch so. Aber auf Täterseite liegt doch hier keine Körperlichkeit vor. Das ist doch Element der Definition des
Gewaltbegriffs

Lukas_Mengestu
31.7.2023, 19:19:21
Hallo Dominic, in der Tat passt die klassische Definition der aktiven Gewalt nur bedingt auf "
Gewalt durch Unterlassen". Dass Gewalt aber auch durch bloßes Unterlassen möglich ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung, die noch auf das Reichsgericht zurückgeht (vgl. RG, Urteil vom 30. Oktober 1885 – 2317/85 –, RGSt 13, 49-52). Maßgeblich wird hierbei auf den Gesetzeszweck abgestellt. Verhindert werden soll durch die
Nötigungjede unmittelbare bzw. mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentschließung desselben zu beeinträchtigen und ihn hierdurch zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bewegen. Unerheblich soll hierfür sein, ob die Einwirkung durch
aktives Tunoder Unterlassen bewirkt wird. Maßgeblich ist also weniger die körperliche Kraftentfaltung auf Täterseite als vielmehr die körperliche Zwangswirkung auf Seiten des Opfers (rein psychische Zwänge genügen indes nicht, vgl. Sitzblockadeentscheidung des BVerfG & Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Natze
13.1.2024, 10:36:27
Also prüft man es als unechtes Unterlassungsdelikt? 🙈
L.Goldstyn
31.7.2024, 11:45:39
Hallo Natze, genau so ist es, §§ 240 Abs. 1, 13 StGB. Das wird in den Fragen leider nicht hinreichend deutlich.

Natze
31.7.2024, 12:23:46
Merci :)

sy
4.10.2024, 23:15:18
gut dass man erst die feads lesen muss um die aufgabe zu verstehen..
JohnnyLbd
21.6.2024, 10:01:50
Hey ich hab ne frage bzgl. des
nötigungsspezifischen Zusammenhangs von Mittel und Erfolg. Dieser geht ja nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit. Dennoch ist immer wie ich gesehen habe auch von Kausalität gesprochen. Geht der Zusammenhang dann nach den Regeln der Obj. Zurechenbarkeit aber hat noch ein Kausalitätselement zusätzlich mit drinne ?