Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Raub (§ 249 StGB)

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T hat die O zunächst zur Vergewaltigung gefesselt. Sodann entschließt er sich, der O Schmuck wegzunehmen, wobei er sie nicht befreit.

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Einordnung des Falls

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Folgt man der Rechtsprechung ist ein Raub auch durch Unterlassen möglich. T erfüllt damit vorliegend den Raubtatbestand (§ 249 StGB).

Ja, in der Tat!

Umstritten ist, ob der Finalzusammenhang auch in Verbindung mit einer Gewaltanwendung durch Unterlassen gegeben sein kann: Von der Rechtsprechung wird ein Raub durch Unterlassen bejaht, sofern der Täter dem bereits bestehenden Zwang nicht aufhebt, um Widerstand gegen die Wegnahme auszuschalten. Indem T die O zum Zweck der Vergewaltigung gefesselt hat, ist er Garant aus Ingerenz für deren Befreiung geworden. Da T diese Situation nun ausnutzt, um die O zu bestehlen, setzt er das pflichtwidrige Unterlassen der Befreiung als Gewaltmittel zur Wegnahme ein.
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2. Laut Mindermeinung fehlt die Modalitätenäquivalenz (Gleichwertigkeit mit einem positiven Tun), weshalb T sich nicht wegen eines Raubes durch Unterlassen strafbar machen würde.

Ja!

Die Mindermeinung führt neben der fehlenden Gleichwertigkeit von Unterlassen und positiven Tun (§ 13 Abs. 1 aE StGB) an, dass die Möglichkeit eines Raubes durch Unterlassen den brutaleren Täter, der zunächst sein Opfer niederschlägt und infolgedessen die Zwangswirkung nicht beseitigen konnte, privilegiere. Dagegen spricht jedoch, dass auch im Rahmen des § 240 Abs. 1 StGB anerkannt ist, dass Gewalt auch durch Unterlassen verübt werden kann, und dass aus höherer Vermeidemacht auch eine gesteigerte Verantwortlichkeit resultiert.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Carolin Hartmann

Carolin Hartmann

22.6.2022, 18:24:43

Ich verstehe diese Argumentation nicht. Er jagt doch schon durch das Fesseln Gewalt angewendet, die er dann ausnutzt um sie zu bestehlen. Wieso denn Unterlassen? Er unterlässt doch nichts…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.6.2022, 11:24:37

Liebe Carolin, vielen Dank für die gute Frage! Richtig ist, dass die vorgenommene Fesselung eine Gewalthandlung darstellt. Das Motiv für die Fesselung ist indes zunächst die Vergewaltigung gewesen, nicht die Wegnahme. Zwischen der Nötigungshandlung und der Wegnahme muss indes ein

Finalzusammenhang

bestehen. Umstritten ist insoweit, ob in solchen ein Fortwirken der Gewalthandlung vorliegt, bei dem ein

Finalzusammenhang

zu bejahen ist oder der Täter lediglich die andauernde faktische Wirkung ausnutzt, was für den

Finalzusammenhang

nicht genügt (vgl. BGHSt 48, 365 = https://www.servat.unibe.ch/dfr/bs048365.html RdNr. 10). Der BGH hat sich bei der Fesselung für die Fortwirkung der Gewalt entschieden (vgl. hierzu auch Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 249 Rn. 6b), wobei er offengelassen hat, ob dieses Verhalten nun schwerpunktmäßig ein positives Tun oder das Unterlassen einer Garantenpflicht darstellt (Lösen der Fesseln). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HUG

Hugo

5.4.2023, 21:03:05

Mir ist nicht ganz klar, was hier geprüft wird, 249 I (durch das Fesseln + Entwenden) oder 249 I, 13 I (durch das ausbleibende Entfesseln + Entwenden)? Und wo ist die Problematik anzusprechen, iRd Nötigungselementes (ob Gewalt vorliegt) oder iRd

Finalzusammenhang

s? Danke und LG

JOA

Joana

29.3.2024, 13:25:02

Zunächst prüfst du § 249 I durch aktives Tun (Fesseln): (–), mangels

Finalzusammenhang

s. Den Entschluss zur Wegnahme hat der Täter erst nach der Fesselung gefasst. Geprüft wird anschließend, ob sich der Täter wegen eines Raubes durch Unterlassen gem. §§ 249 I, 13 I strafbar gemacht hat, indem er es unterlassen hat das Opfer zu befreien um die Wegnahme zu ermöglichen. Die Problematik ist an zwei Prüfungspunkten anzusprechen: 1. Entsprechungsklausel § 13 I a.E. Hier ist zu prüfen, ob eine Begehung durch Unterlassen und eine Begehung durch aktives Tun gleichwertig sind. Die Mindermeinung verneint dies, weil Gewalt ein aktives Verhalten voraussetze. § 249 soll Aggressionshandlungen verhindern und nicht bewirken, dass Zwangswirkungen aufgehoben werden. Hier fehlt also die Modalitätenäquivalenz. –> Gleichwertigkeit (–) Die Rechtsprechung sieht in der pflichtwidrigen Unterlassung der Befreiung eine gleichwertige

Gewaltanwendung

. Auch i.R.d. § 240 ist anerkannt, dass Gewalt auch durch Unterlassen begangen werden kann. Für § 249 kann dies nicht anders gewertet werden. –> Gleichwertigkeit (+) Vgl. Streitigkeit i.R.d. § 240 2.

Finalzusammenhang

Nach der Rechtsprechung nutzt der Täter die zuvor geschaffene Lage aus um den Widerstand gegen die Wegnahme auszuschließen. Das Unterlassen diene aus der Sicht des Täters der Ermöglichung der Wegnahme. –>

Finalzusammenhang

(+)

Zogoy

Zogoy

7.6.2024, 15:34:50

Könnte man die ganze Problematik mit der fortdauernden Gewalt und Abgrenzung zwischen Unterlassen und aktives Tun nicht umgehen indem man sagt das der Täter dem Opfer konkludent droht, dass wenn es sich zur wer setzt er erneut Gewalt anwendet? Zuvor hat er ja schon zweimal Gewalt angewandt (Fesseln+Vergewaltigen), dann liegt es nicht allzu fern, dass er das erneut tut. Oder gibt es gar keine "konkludent

Drohung

" ?

AG

agi

12.10.2024, 17:28:27

@[Zogoy](226437) ich hätte tatsächlich auch darauf abgestellt, dass das Opfer,aufgrund des Vorverhaltens des Täters, eine erneute körperliche Zwangseinwirkung befürchten könnte. Somit wäre eine konkludente

Drohung

gegeben. Die Google Recherche hat ergeben, dass es tatsächlich auch vom BGH so gesehen wird bzw. Es je nach Einzelfall auch aus BGH Sicht genügt


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