Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Raub (§ 249 StGB)

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

20. Mai 2025

13 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T hat die O zunächst zur Vergewaltigung gefesselt. Sodann entschließt er sich, der O Schmuck wegzunehmen, wobei er sie nicht befreit.

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Einordnung des Falls

Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Folgt man der Rechtsprechung ist ein Raub auch durch Unterlassen möglich. T erfüllt damit vorliegend den Raubtatbestand (§ 249 StGB).

Ja, in der Tat!

Umstritten ist, ob der Finalzusammenhang auch in Verbindung mit einer Gewaltanwendung durch Unterlassen gegeben sein kann: Von der Rechtsprechung wird ein Raub durch Unterlassen bejaht, sofern der Täter dem bereits bestehenden Zwang nicht aufhebt, um Widerstand gegen die Wegnahme auszuschalten. Indem T die O zum Zweck der Vergewaltigung gefesselt hat, ist er Garant aus Ingerenz für deren Befreiung geworden. Da T diese Situation nun ausnutzt, um die O zu bestehlen, setzt er das pflichtwidrige Unterlassen der Befreiung als Gewaltmittel zur Wegnahme ein.
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2. Laut Mindermeinung fehlt die Modalitätenäquivalenz (Gleichwertigkeit mit einem positiven Tun), weshalb T sich nicht wegen eines Raubes durch Unterlassen strafbar machen würde.

Ja!

Die Mindermeinung führt neben der fehlenden Gleichwertigkeit von Unterlassen und positiven Tun (§ 13 Abs. 1 aE StGB) an, dass die Möglichkeit eines Raubes durch Unterlassen den brutaleren Täter, der zunächst sein Opfer niederschlägt und infolgedessen die Zwangswirkung nicht beseitigen konnte, privilegiere. Dagegen spricht jedoch, dass auch im Rahmen des § 240 Abs. 1 StGB anerkannt ist, dass Gewalt auch durch Unterlassen verübt werden kann, und dass aus höherer Vermeidemacht auch eine gesteigerte Verantwortlichkeit resultiert.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Carolin Hartmann

Carolin Hartmann

22.6.2022, 18:24:43

Ich verstehe diese Argumentation nicht. Er jagt doch schon durch das Fesseln Gewalt angewendet, die er dann ausnutzt um sie zu bestehlen. Wieso denn Unterlassen? Er unterlässt doch nichts…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.6.2022, 11:24:37

Liebe Carolin, vielen Dank für die gute Frage! Richtig ist, dass die vorgenommene Fesselung eine Gewalthandlung darstellt. Das Motiv für die Fesselung ist indes zunächst die Vergewaltigung gewesen, nicht die

Wegnahme

. Zwischen der

Nötigung

shandlung und der

Wegnahme

muss indes ein

Finalzusammenhang

bestehen. Umstritten ist insoweit, ob in solchen ein Fortwirken der Gewalthandlung vorliegt, bei dem ein

Finalzusammenhang

zu bejahen ist oder der Täter lediglich die andauernde faktische Wirkung ausnutzt, was für den

Finalzusammenhang

nicht genügt (vgl. BGHSt 48, 365 = https://www.servat.unibe.ch/dfr/bs048365.html RdNr. 10). Der BGH hat sich bei der Fesselung für die

Fortwirkung

der Gewalt entschieden (vgl. hierzu auch Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 249 Rn. 6b), wobei er offengelassen hat, ob dieses Verhalten nun schwerpunktmäßig ein positives Tun oder das Unterlassen einer

Garantenpflicht

darstellt (Lösen der Fesseln). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HUG

Hugo

5.4.2023, 21:03:05

Mir ist nicht ganz klar, was hier geprüft wird, 249 I (durch das Fesseln + Entwenden) oder 249 I, 13 I (durch das ausbleibende Entfesseln + Entwenden)? Und wo ist die Problematik anzusprechen, iRd

Nötigung

selementes (ob Gewalt vorliegt) oder iRd

Finalzusammenhang

s? Danke und LG

JOA

Joana

29.3.2024, 13:25:02

Zunächst prüfst du § 249 I durch aktives Tun (Fesseln): (–), mangels

Finalzusammenhang

s. Den Entschluss zur

Wegnahme

hat der Täter erst nach der Fesselung gefasst. Geprüft wird anschließend, ob sich der Täter wegen eines Raubes durch Unterlassen gem. §§ 249 I, 13 I strafbar gemacht hat, indem er es unterlassen hat das Opfer zu befreien um die

Wegnahme

zu ermöglichen. Die Problematik ist an zwei Prüfungspunkten anzusprechen: 1.

Entsprechungsklausel

§ 13 I a.E. Hier ist zu prüfen, ob eine Begehung durch Unterlassen und eine Begehung durch aktives Tun gleichwertig sind. Die Mindermeinung verneint dies, weil Gewalt ein aktives Verhalten voraussetze. § 249 soll Aggressionshandlungen verhindern und nicht bewirken, dass Zwangswirkungen aufgehoben werden. Hier fehlt also die Modalitätenäquivalenz. –> Gleichwertigkeit (–) Die Rechtsprechung sieht in der pflichtwidrigen Unterlassung der Befreiung eine gleichwertige

Gewaltanwendung

. Auch i.R.d. § 240 ist anerkannt, dass Gewalt auch durch Unterlassen begangen werden kann. Für § 249 kann dies nicht anders gewertet werden. –> Gleichwertigkeit (+) Vgl. Streitigkeit i.R.d. § 240 2.

Finalzusammenhang

Nach der Rechtsprechung nutzt der Täter die zuvor geschaffene Lage aus um den Widerstand gegen die

Wegnahme

auszuschließen. Das Unterlassen diene aus der Sicht des Täters der Ermöglichung der

Wegnahme

. –>

Finalzusammenhang

(+)

Zogoy

Zogoy

7.6.2024, 15:34:50

Könnte man die ganze Problematik mit der fortdauernden Gewalt und Abgrenzung zwischen Unterlassen und aktives Tun nicht umgehen indem man sagt das der Täter dem Opfer

konkludent

droht, dass wenn es sich zur wer setzt er erneut Gewalt anwendet? Zuvor hat er ja schon zweimal Gewalt angewandt (Fesseln+Vergewaltigen), dann liegt es nicht allzu fern, dass er das erneut tut. Oder gibt es gar keine "

konkludent

Drohung

" ?

AG

agi

12.10.2024, 17:28:27

@[Zogoy](226437) ich hätte tatsächlich auch darauf abgestellt, dass das Opfer,aufgrund des Vorverhaltens des Täters, eine erneute körperliche Zwangseinwirkung befürchten könnte. Somit wäre eine

konkludent

e

Drohung

gegeben. Die Google Recherche hat ergeben, dass es tatsächlich auch vom BGH so gesehen wird bzw. Es je nach Einzelfall auch aus BGH Sicht genügt

sa

sa

11.4.2025, 06:44:30

ich denke bei mehr Hinweisen dazu im SV ist das durchaus auch so gewollt

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

14.4.2025, 16:31:28

Hallo @[Zogoy](226437), eine

konkludent

e

Drohung

ist grundsätzlich möglich. Hier ist allerdings zu beachten, dass einerseits eine Vergewaltigung nicht passiert ist. Vielmehr war das nur der Zweck, zu dem die Fesselung stattfand. Bereits nach dem Fesseln hat sich der Täter überlegt, dass er doch lieber den Schmuck wegnehmen will. Andererseits liegt hier klar der Schwerpunkt auf dem Unterlassen der Befreiung der O. Die

Wegnahme

ist für den T ja nicht möglich, weil die O damit rechnet, erneut gefesselt zu werden (das ergibt auch wenig Sinn, solange sie ohnehin noch gefesselt ist). Sondern die

Wegnahme

ist möglich, weil die O weiterhin gefesselt ist und der T diesen Zustand nicht aufhebt. Unabhängig von einer möglichen

Drohung

könnte die O aufgrund der Fesselung so oder so nichts tun, um den T aufzuhalten. Daher würde ich, selbst wenn man hierin eine

konkludent

e

Drohung

sehen sollte, jedenfalls den

Finalzusammenhang

ablehnen. Dieser besteht nur zwischen dem Unterlassen der Befreiung der O und der

Wegnahme

, nicht dagegen zwischen einer möglichen

konkludent

en

Drohung

, die jedenfalls aus Sicht des Täters anders als das Aufrechthalten des Fesselns nicht gerade zur Ermöglichung der

Wegnahme

vorgenommen wird. Die Fallgruppe der

konkludent

en

Drohung

wird dagegen eher bei Fällen relevant, wo gerade nicht eine "Dauergewalt" wie bei der Fesselung vorliegt, sondern die Gewalt im Moment der

Wegnahme

beendet ist. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

8.1.2025, 21:03:41

Ahoi, die Begründung der Mindermeinung, die einen

Raub durch Unterlassen

deshalb ablehnt, weil der Raubtatbestand den „brutaleren“ Täter begünstigen würde, ist mir nicht ganz verständlich. Statt einer Bestrafung nach

§ 249 StGB

wäre eine (vermutlich) schwere Körperverletzung nach

§ 226 StGB

in Betracht zu ziehen. Ist es nicht so, dass der Raub im Mindestmaß 1 Jahr und als Obergrenze 15 Jahre vorsieht und der „brutalere“ Täter - bei angenommener schwerer Körperverletzung - im Mindestmaß ebenfalls 1 Jahr, aber als Obergrenze 10 Jahre vorsieht. Wo sieht die Mindermeinung eine Begünstigung? Stehe hier irgendwie auf dem Schlauch 🥺

LOU

louisaamaria

8.1.2025, 22:38:27

Ich kann auch nur Vermutungen anstellen, aber durch dieses Verlängern der Tat ist von einer erhöhten

Grausam

kleit für das Opfer auszugehen. Verneint man den Raub aufgrund der Finalität kommen natürlich wie du schon meintest §§ 223 ff., § 239 in Betracht. Indem der Täter das Opfer aber gefesselt hat (ohne einen Raub zu begehen), hat er sich an diesem bemächtigt. Je nach Sachverhalt kann man dann mMn auch von einer stabilen Zwischenlage ausgehen, sodass eine Strafe nach den § 239a oder § 239 b in Betracht kämen. Diese sehen mit einer Mindestrafe von 5 Jahren eine höhere Strafan

drohung

als der Raub vor.

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

9.1.2025, 20:13:29

Cool 🥰 An § 239 hatte ich gar nicht gedacht n

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

14.4.2025, 16:40:10

Hallo @[Rüsselrecht 🐘](133697) und @[louisaamaria](249303), ich halte eure Annahmen von Strafbarkeiten nach § 226 Abs. 1 StGB und §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB für eher abwegig. In der Regel wird auch das Niederschlagen eines Täters nicht mit Folgen einhergehen, die den Tatbestand des

§ 226 StGB

erfüllen. Und auch beim Fesseln wird §§ 239a, 239b StGB in aller Regel nicht einschlägig sein. § 239a StGB greift nur bei der Erpressung eines Dritten (Löse

geld

) und § 239b StGB setzt die

Drohung

mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung oder mit Freiheitsentziehung von über einer Woche voraus. Das ist typischerweise bei Fällen wie diesem hier nicht einschlägig. Die Problematik, die die Literatur sieht, ist vielmehr folgende: Wenn der Täter sein Opfer ohne

Wegnahmevorsatz

bewusstlos schlägt und sich dann überlegt, dass er ihm doch etwas wegnehmen könnte, macht er sich mangels Finalität nicht des Raubes strafbar. Daran ändert auch eine Annahme des Raubes durch Unterlassen nichts, weil es dem Täter nicht physisch-real möglich ist, die Bewusstlosigkeit des Opfers zu beheben. Er macht sich daher nur wegen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB sowie §§ 223 ff. StGB strafbar, was jedoch allesamt Vergehen sind. Derjenige Täter, der dagegen wie hier zunächst eine weniger gravierende Handlung vornimmt, wie beispielsweise das Fesseln, macht sich nach der Rechtsprechung wie im Fall dargestellt des Raubes durch Unterlassen strafbar. Darin liegt nach Ansicht der Literatur ein Wertungswiderspruch, der dahingehend aufgelöst wird, dass auch der zweite Fall nicht als

Raub durch Unterlassen

strafbar sein soll. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

14.4.2025, 21:52:18

Verstanden. Danke dir 🥳 Und ich sollte mich wohl mal mit der Modalitätenäquivalenz beschäftigen 🫣


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