Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Raub (§ 249 StGB)
Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen
Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen
20. Mai 2025
13 Kommentare
4,8 ★ (12.158 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

T hat die O zunächst zur Vergewaltigung gefesselt. Sodann entschließt er sich, der O Schmuck wegzunehmen, wobei er sie nicht befreit.
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Einordnung des Falls
Finalzusammenhang: Nötigung durch Unterlassen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Folgt man der Rechtsprechung ist ein Raub auch durch Unterlassen möglich. T erfüllt damit vorliegend den Raubtatbestand (§ 249 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Laut Mindermeinung fehlt die Modalitätenäquivalenz (Gleichwertigkeit mit einem positiven Tun), weshalb T sich nicht wegen eines Raubes durch Unterlassen strafbar machen würde.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Carolin Hartmann
22.6.2022, 18:24:43
Ich verstehe diese Argumentation nicht. Er jagt doch schon durch das Fesseln Gewalt angewendet, die er dann ausnutzt um sie zu bestehlen. Wieso denn Unterlassen? Er unterlässt doch nichts…

Lukas_Mengestu
23.6.2022, 11:24:37
Liebe Carolin, vielen Dank für die gute Frage! Richtig ist, dass die vorgenommene Fesselung eine Gewalthandlung darstellt. Das Motiv für die Fesselung ist indes zunächst die Vergewaltigung gewesen, nicht die
Wegnahme. Zwischen der
Nötigungshandlung und der
Wegnahmemuss indes ein
Finalzusammenhangbestehen. Umstritten ist insoweit, ob in solchen ein Fortwirken der Gewalthandlung vorliegt, bei dem ein
Finalzusammenhangzu bejahen ist oder der Täter lediglich die andauernde faktische Wirkung ausnutzt, was für den
Finalzusammenhangnicht genügt (vgl. BGHSt 48, 365 = https://www.servat.unibe.ch/dfr/bs048365.html RdNr. 10). Der BGH hat sich bei der Fesselung für die
Fortwirkungder Gewalt entschieden (vgl. hierzu auch Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 249 Rn. 6b), wobei er offengelassen hat, ob dieses Verhalten nun schwerpunktmäßig ein positives Tun oder das Unterlassen einer
Garantenpflichtdarstellt (Lösen der Fesseln). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Hugo
5.4.2023, 21:03:05
Mir ist nicht ganz klar, was hier geprüft wird, 249 I (durch das Fesseln + Entwenden) oder 249 I, 13 I (durch das ausbleibende Entfesseln + Entwenden)? Und wo ist die Problematik anzusprechen, iRd
Nötigungselementes (ob Gewalt vorliegt) oder iRd
Finalzusammenhangs? Danke und LG
Joana
29.3.2024, 13:25:02
Zunächst prüfst du § 249 I durch aktives Tun (Fesseln): (–), mangels
Finalzusammenhangs. Den Entschluss zur
Wegnahmehat der Täter erst nach der Fesselung gefasst. Geprüft wird anschließend, ob sich der Täter wegen eines Raubes durch Unterlassen gem. §§ 249 I, 13 I strafbar gemacht hat, indem er es unterlassen hat das Opfer zu befreien um die
Wegnahmezu ermöglichen. Die Problematik ist an zwei Prüfungspunkten anzusprechen: 1.
Entsprechungsklausel§ 13 I a.E. Hier ist zu prüfen, ob eine Begehung durch Unterlassen und eine Begehung durch aktives Tun gleichwertig sind. Die Mindermeinung verneint dies, weil Gewalt ein aktives Verhalten voraussetze. § 249 soll Aggressionshandlungen verhindern und nicht bewirken, dass Zwangswirkungen aufgehoben werden. Hier fehlt also die Modalitätenäquivalenz. –> Gleichwertigkeit (–) Die Rechtsprechung sieht in der pflichtwidrigen Unterlassung der Befreiung eine gleichwertige
Gewaltanwendung. Auch i.R.d. § 240 ist anerkannt, dass Gewalt auch durch Unterlassen begangen werden kann. Für § 249 kann dies nicht anders gewertet werden. –> Gleichwertigkeit (+) Vgl. Streitigkeit i.R.d. § 240 2.
FinalzusammenhangNach der Rechtsprechung nutzt der Täter die zuvor geschaffene Lage aus um den Widerstand gegen die
Wegnahmeauszuschließen. Das Unterlassen diene aus der Sicht des Täters der Ermöglichung der
Wegnahme. –>
Finalzusammenhang(+)
Zogoy
7.6.2024, 15:34:50
Könnte man die ganze Problematik mit der fortdauernden Gewalt und Abgrenzung zwischen Unterlassen und aktives Tun nicht umgehen indem man sagt das der Täter dem Opfer
konkludentdroht, dass wenn es sich zur wer setzt er erneut Gewalt anwendet? Zuvor hat er ja schon zweimal Gewalt angewandt (Fesseln+Vergewaltigen), dann liegt es nicht allzu fern, dass er das erneut tut. Oder gibt es gar keine "
konkludentDrohung
" ?
agi
12.10.2024, 17:28:27
@[Zogoy](226437) ich hätte tatsächlich auch darauf abgestellt, dass das Opfer,aufgrund des Vorverhaltens des Täters, eine erneute körperliche Zwangseinwirkung befürchten könnte. Somit wäre eine
konkludente
Drohunggegeben. Die Google Recherche hat ergeben, dass es tatsächlich auch vom BGH so gesehen wird bzw. Es je nach Einzelfall auch aus BGH Sicht genügt

sa
11.4.2025, 06:44:30
ich denke bei mehr Hinweisen dazu im SV ist das durchaus auch so gewollt

Tim Gottschalk
14.4.2025, 16:31:28
Hallo @[Zogoy](226437), eine
konkludente
Drohungist grundsätzlich möglich. Hier ist allerdings zu beachten, dass einerseits eine Vergewaltigung nicht passiert ist. Vielmehr war das nur der Zweck, zu dem die Fesselung stattfand. Bereits nach dem Fesseln hat sich der Täter überlegt, dass er doch lieber den Schmuck wegnehmen will. Andererseits liegt hier klar der Schwerpunkt auf dem Unterlassen der Befreiung der O. Die
Wegnahmeist für den T ja nicht möglich, weil die O damit rechnet, erneut gefesselt zu werden (das ergibt auch wenig Sinn, solange sie ohnehin noch gefesselt ist). Sondern die
Wegnahmeist möglich, weil die O weiterhin gefesselt ist und der T diesen Zustand nicht aufhebt. Unabhängig von einer möglichen
Drohungkönnte die O aufgrund der Fesselung so oder so nichts tun, um den T aufzuhalten. Daher würde ich, selbst wenn man hierin eine
konkludente
Drohungsehen sollte, jedenfalls den
Finalzusammenhangablehnen. Dieser besteht nur zwischen dem Unterlassen der Befreiung der O und der
Wegnahme, nicht dagegen zwischen einer möglichen
konkludenten
Drohung, die jedenfalls aus Sicht des Täters anders als das Aufrechthalten des Fesselns nicht gerade zur Ermöglichung der
Wegnahmevorgenommen wird. Die Fallgruppe der
konkludenten
Drohungwird dagegen eher bei Fällen relevant, wo gerade nicht eine "Dauergewalt" wie bei der Fesselung vorliegt, sondern die Gewalt im Moment der
Wegnahmebeendet ist. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘
8.1.2025, 21:03:41
Ahoi, die Begründung der Mindermeinung, die einen
Raub durch Unterlassendeshalb ablehnt, weil der Raubtatbestand den „brutaleren“ Täter begünstigen würde, ist mir nicht ganz verständlich. Statt einer Bestrafung nach
§ 249 StGBwäre eine (vermutlich) schwere Körperverletzung nach
§ 226 StGBin Betracht zu ziehen. Ist es nicht so, dass der Raub im Mindestmaß 1 Jahr und als Obergrenze 15 Jahre vorsieht und der „brutalere“ Täter - bei angenommener schwerer Körperverletzung - im Mindestmaß ebenfalls 1 Jahr, aber als Obergrenze 10 Jahre vorsieht. Wo sieht die Mindermeinung eine Begünstigung? Stehe hier irgendwie auf dem Schlauch 🥺
louisaamaria
8.1.2025, 22:38:27
Ich kann auch nur Vermutungen anstellen, aber durch dieses Verlängern der Tat ist von einer erhöhten
Grausamkleit für das Opfer auszugehen. Verneint man den Raub aufgrund der Finalität kommen natürlich wie du schon meintest §§ 223 ff., § 239 in Betracht. Indem der Täter das Opfer aber gefesselt hat (ohne einen Raub zu begehen), hat er sich an diesem bemächtigt. Je nach Sachverhalt kann man dann mMn auch von einer stabilen Zwischenlage ausgehen, sodass eine Strafe nach den § 239a oder § 239 b in Betracht kämen. Diese sehen mit einer Mindestrafe von 5 Jahren eine höhere Strafan
drohungals der Raub vor.

Rüsselrecht 🐘
9.1.2025, 20:13:29
Cool 🥰 An § 239 hatte ich gar nicht gedacht n

Tim Gottschalk
14.4.2025, 16:40:10
Hallo @[Rüsselrecht 🐘](133697) und @[louisaamaria](249303), ich halte eure Annahmen von Strafbarkeiten nach § 226 Abs. 1 StGB und §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB für eher abwegig. In der Regel wird auch das Niederschlagen eines Täters nicht mit Folgen einhergehen, die den Tatbestand des
§ 226 StGBerfüllen. Und auch beim Fesseln wird §§ 239a, 239b StGB in aller Regel nicht einschlägig sein. § 239a StGB greift nur bei der Erpressung eines Dritten (Löse
geld) und § 239b StGB setzt die
Drohungmit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung oder mit Freiheitsentziehung von über einer Woche voraus. Das ist typischerweise bei Fällen wie diesem hier nicht einschlägig. Die Problematik, die die Literatur sieht, ist vielmehr folgende: Wenn der Täter sein Opfer ohne
Wegnahmevorsatzbewusstlos schlägt und sich dann überlegt, dass er ihm doch etwas wegnehmen könnte, macht er sich mangels Finalität nicht des Raubes strafbar. Daran ändert auch eine Annahme des Raubes durch Unterlassen nichts, weil es dem Täter nicht physisch-real möglich ist, die Bewusstlosigkeit des Opfers zu beheben. Er macht sich daher nur wegen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB sowie §§ 223 ff. StGB strafbar, was jedoch allesamt Vergehen sind. Derjenige Täter, der dagegen wie hier zunächst eine weniger gravierende Handlung vornimmt, wie beispielsweise das Fesseln, macht sich nach der Rechtsprechung wie im Fall dargestellt des Raubes durch Unterlassen strafbar. Darin liegt nach Ansicht der Literatur ein Wertungswiderspruch, der dahingehend aufgelöst wird, dass auch der zweite Fall nicht als
Raub durch Unterlassenstrafbar sein soll. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘
14.4.2025, 21:52:18
Verstanden. Danke dir 🥳 Und ich sollte mich wohl mal mit der Modalitätenäquivalenz beschäftigen 🫣