Zivilrechtliche Nebengebiete

Handelsrecht

Haftung bei Übertragung eines kaufmännischen Unternehmens

Unternehmenserwerb mit Firmenfortführung / Leistung an den Erwerber, § 25 Abs. 1 S. 2 HGB

Unternehmenserwerb mit Firmenfortführung / Leistung an den Erwerber, § 25 Abs. 1 S. 2 HGB

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V veräußert seine als e.K. betriebene Landschaftsgärtnerei an K, der diese unter der bisherigen Firma fortführt. Die in V‘s Betrieb begründeten Forderungen wurden nicht an K abgetreten. Vor Unternehmensübertragung hat S die Dienste der Landschaftsgärtnerei in Anspruch genommen. S hat den Werklohn noch nicht bezahlt.

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Einordnung des Falls

Unternehmenserwerb mit Firmenfortführung / Leistung an den Erwerber, § 25 Abs. 1 S. 2 HGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat von V ein Handelsgeschäft erworben (§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB).

Genau, so ist das!

Handelsgeschäft meint das Unternehmen eines Kaufmanns (§§ 1ff. HGB). Erwerb bedeutet Übernahme der Unternehmensträgerschaft in tatsächlicher Hinsicht. Umfasst sind jegliche Formen der Unternehmensübertragung und -überlassung. Die Landschaftsgärtnerei wurde von V als eingetragenem Kaufmann betrieben (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 S. 1 HGB) und ist damit Handelsgeschäft. V hat die Landschaftsgärtnerei an K veräußert, der das Unternehmen als funktionale Einheit und damit die tatsächliche Unternehmensträgerschaft erlangt. Eine (Landschafts-) Gärtnerei mit Schwerpunkt Eigenanbau ist ein landwirtschaftlicher Betrieb (§ 3 Abs. 1 HGB). K als neuer Inhaber erwirbt die Kaufmannseigenschaft durch Eintragung in das Handelsregister (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 S. 1 HGB).
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2. K führt das Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fort (§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Eine Unternehmensfortführung liegt vor, wenn zumindest der wesentliche Kern des Unternehmens beibehalten wird. Es muss sich für den Rechtsverkehr der Eindruck einer Kontinuität des Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand ergeben (etwa durch Übernahme der Räumlichkeiten, Kunden und Lieferanten). Für die Firmenfortführung ist maßgeblich, dass der Erwerber den Kern und die prägenden Zusätze übernimmt, sodass der Rechtsverkehr die neue Firma mit der alten identifiziert. Auf Zustimmung und firmenrechtliche Zulässigkeit kommt es nicht an. K führt die Landschaftsgärtnerei unverändert unter derselben Firma fort. Dadurch wird beim Rechtsverkehr der Eindruck erweckt, das Unternehmen sei mit dem des V identisch.

3. K hat einen Anspruch gegen S auf Zahlung des Werklohns.

Nein!

Ein Anspruch des K gegen S könnte sich aus einem Werkvertrag (§ 631 Abs. 1 BGB) oder aus abgetretener Werklohnforderung (§§ 631 Abs. 1, 398 S. 2 BGB) ergeben. K hat mit S keinen Werkvertrag geschlossen, und hat daher keinen originären Anspruch auf Zahlung des Werklohns (§ 631 Abs. 1 BGB). Der Werkvertrag wurde mit V geschlossen, der die Forderung nicht an K abgetreten hat. K hat demnach auch keinen derivativen Anspruch auf Zahlung (§§ 631 Abs. 1, 398 S. 2 BGB). Nach herrschender Meinung handelt es sich bei § 25 Abs. 1 S. 2 HGB um eine reine Schuldnerschutzvorschrift, die keinen Forderungsübergang begründet. Nur die befreiende Leistung an den Erwerber eines Handelsgeschäfts soll ermöglicht werden, wenn keine Forderungsabtretung stattgefunden hat.

4. S kann schuldbefreiend an K leisten (§ 362 Abs. 1 BGB i.V.m. § 25 Abs.1 S. 2 HGB).

Genau, so ist das!

Betriebsbezogene Forderungen, deren Rechtsgrund mit dem früheren Inhaber gelegt worden sind, gelten den Schuldnern gegenüber als auf den Erwerber eines Handelsgeschäfts übergegangen (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB). Voraussetzung ist, dass (1) die Forderung nicht abgetreten wurde und (2) das Handelsgeschäft mit Einwilligung des Veräußerers oder dessen Erben unter der bisherigen Firma fortgeführt wird. Leistet der Schuldner an den Erwerber, tritt Erfüllungswirkung ein (§ 362 Abs. 1 BGB i.V.m. § 25 Abs. 1 S. 2 HGB). K führt das Handelsgeschäft des V (mit Einwilligung) unter der bisherigen Firma fort. Die Forderung gegen S stammt aus dem mit V geschlossenen Werkvertrag (§ 631 BGB). Eine Abtretung an K hat nicht stattgefunden.

5. S kann schuldbefreiend an V leisten (§ 362 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Schuldnerschutzvorschrift des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB bewirkt keinen Forderungsübergang. Die Forderung gilt lediglich dem Schuldner gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, damit dieser befreiend an den Erwerber leisten kann. Der Schuldner kann sowohl an den Veräußerer als auch an den Erwerber des Handelsgeschäfts mit schuldbefreiender Wirkung leisten. Da die Forderung nicht an K abgetreten wurde und auch § 25 Abs. 1 S. 2 HGB keinen Forderungsübergang bewirkt, hat V sie nicht verloren und ist noch immer Gläubiger (§ 398 S. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

4.5.2022, 14:59:45

Das heißt die Abtretungsfiktion führt nicht dazu, dass der neue Inhaber die Forderung auch geltend machen kann?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.5.2022, 11:13:35

Hallo nomamo, so ist es in der Tat nach der wohl hM. Nach anderer Auffassung (u.a. Thiessen, in: MüKo-HGB, 5.A. 2021, § 25 RdNr. 72) wird dagegen vertreten, dass die Forderungen auch ohne Einzelabtretung übergehen, sofern der Veräußerer dies nicht explizit ausgeschlossen und diesen Ausschluss gem. § 25 Abs. 2 HGB publiziert hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SAUFE

Saufen_Fetzt

8.1.2023, 13:13:09

Aber welche Wertung steht denn dahinter? Es widerspricht sich doch etwas, zu sagen, dass der Erwerber für Altverbindlichkeiten haftet, aber noch offene Forderungen an den Verkäufer gehen? Von Gefühl her würde ich doch eher sagen, entweder übernehme ich das Geschäft “so wie es ist” (unter Firmenfortführung) mit allen dranhängenden Forderungen und Verbindlichkeiten oder ich mache einen “klaren cut” (und führe dementsprechend die Firma auch nicht weiter)?

Charliefux

Charliefux

21.3.2024, 14:02:28

Hallo @saufen_fetzt Bei dem § 25 I 2 HGB handelt es sich um eine Schuldnerschutzvorschrift. Die dahinter stehende Wertung ist, dass der Schuldner, der möglicherweise nichtmal etwas von dem Erwerb des Handelsgewerbes des K weiß, geschützt wird. Diese Vorschrift ermöglicht ihm, auch schuldbefreiend an K (Erwerber) zu leisten. Gäbe es diese Vorschrift nicht, müsste S erneut zahlen, damit Erfüllung eintritt („Wer falsch zahlt, zahlt doppelt“). Dann müsste der Schuldner sich vor seiner Leistung dahingehend erkundigen, wer das Handelsgewerbe unter welchen Voraussetzungen erworben hat und bei doppelter Zahlung das Insolvenzrisiko des K tragen (812ff. BGB). S kann demnach schuldbefreiend sowohl an K als auch an V leisten. Aber nur weil für S Erfüllung durch die Leistung an K eintritt, heißt das nicht, dass K einen Anspruch auf die Leistung hat. (Siehe eine der ersten Fragen, ob K die Leistung von S fordern kann). Die Vorschrift begründet eben keinen Anspruch sondern schützt nur den Schuldner vor doppelter Zahlung. K darf die Leistung des auch nicht behalten, er muss sich an V herausgeben nach § 816 II BGB.

BL

Blotgrim

13.6.2023, 23:06:52

Müsste K dann den Werklohn an V herausgeben wenn an ihn geleistet wird und wenn ja was wäre die Rechtsgrundlage? Lg

SH

Showstehler

2.7.2023, 17:00:41

Ich denke hier kommt dann § 816 Abs. 2 BGB zum tragen. § 25 Abs. 1 S.2 HGB ist als Schuldberschutzvorschrift wohl als handelsrechtliche Komplementärvorschrift zu §

407 BGB

zu sehen.

Nils

Nils

28.1.2024, 05:04:05

Bei Leistung an den Erwerber des

Handelsgeschäft

s ist dieser Nichtberechtigter i.S.v. § 816 Abs. 2 BGB, sodass Herausgabe des Geleisteten an den Berechtigten (Veräußerer) geschuldet wird.


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