Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Täter rast unvermeidbar auf Polizeibeamte zu und handelt trotzdem nicht vorsätzlich?
Täter rast unvermeidbar auf Polizeibeamte zu und handelt trotzdem nicht vorsätzlich?
9. Mai 2023
12 Kommentare
4,6 ★ (21.944 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Raserin Renate (R) fährt am liebsten auf dem Seitenstreifen. Auf diesem steht die Polizistin Petra (P) und führt Radarkontrollen durch. R sieht die P zu spät, um auszuweichen. Sie freut sich aber über den Zusammenstoß, den P knapp überlebt.
Diesen Fall lösen 74,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Der BGH beschäftigt sich in diesem Beschluss mit dem maßgeblichen Zeitpunkt der Fassung des Vorsatzes. Hiernach müsse der Vorsatz vorliegen, wenn der Täter noch einen für die Tatbestandsverwirklichung kausalen Tatbeitrag leisten kann. Dies sei nicht der Fall, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr vermeiden kann. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Täter, der in einem Auto auf Polizeibeamte zurast und diese erst zu einem Zeitpunkt wahrnimmt, in dem er den Erfolgseintritt ohnehin nicht mehr abwenden kann, nicht vorsätzlich handelt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte R den objektiven Tatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte erfüllt haben (§ 114 Abs.1 StGB)?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Handelt es sich bei P um eine Vollstreckungsbeamtin?
Ja!
3. Müsste die Tathandlung der R erfolgt sein, als P eine Vollstreckungshandlung vornahm?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Hat R die P tätlich angegriffen?
Ja, in der Tat!
5. Handelte R beim Zufahren auf die P vorsätzlich?
Nein!
6. Handelte R vorsätzlich, da R den Zusammenstoß im Nachgang billigte?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Könnte R sich jedoch des fahrlässigen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte strafbar gemacht haben (§ 114 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Kommt aber eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung in Betracht, soweit sich P verletzt hat (§ 229 StGB)?
Ja!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
28.9.2022, 23:08:30

Lukas_Mengestu
29.9.2022, 10:56:46
Hallo Philipp, es handelt sich in der Tat um die richtige Verlinkung. Die für den vorliegenden Fall relevante Stelle im
Urteilfindest Du in Randnummer 7. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Nordisch
27.12.2022, 01:25:50
Hallo liebes Jurafuchs-Team, ob so von euch beabsichtigt weiß ich nicht, finde es aber eine elegante und übersichtliche Art, geschlechtergerechter zu formulieren, wechselweise im den Fragestellungen und Antworten eben von Täterin, Ärztin usw. zu sprechen. Viele Grüße Nordisch

Lukas_Mengestu
2.1.2023, 19:06:22
Vielen Dank, Nordisch! In der Tat ist es uns ein großes Anliegen, die Vielfalt der Gesellschaft in unseren Aufgaben wiederzuspiegeln und dennoch unserem Ansatz treu zu bleiben, kurz und kompakt zu formulieren. Aus diesem Grund haben wir uns für diese "Mischung" entschieden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi
7.4.2023, 21:32:52
§ 315 c und evt. § 315 b wäre hier aber auch noch zu prüfen oder? Haben ja nochmal einen höheren Strafrahmen

Sebastian Schmitt
18.12.2024, 10:09:14
Hallo @[Sambadi](136933), auf §
315b StGBkann man hier sicherlich kurz eingehen. Letztlich kommen wir allerdings auch dort schnell zur
Vorsatzfrage, denn konkret in Betracht kommt lediglich ein
verkehrsfremder Inneneingriffnach §
315bI Nr 3 StGB, für den wir ua Schädigungs
vorsatzbrauchen. Der Strafrahmen des §
315bI StGB ist milder als der des § 114 I StGB, sodass wir tendenziell ohnehin mit § 114 I StGB starten würden. Eine Qualifikation nach §§
315bIII, 315 III Nr 2 StGB geben die knappen Angaben in der Sachverhaltsdarstellung nicht her. Wir haben jetzt der Vollständigkeit halber zumindest einen kurzen Hinweis auf §
315b StGBin unserer Lösung ergänzt. §
315c StGBist eher fernliegend und müsste daher mE gar nicht mehr angesprochen werden. Einen Fall von § 315c I Nr 1 StGB haben wir offensichtlich nicht. Ich sehe auch nicht, welcher Fall aus dem Katalog des § 315c I Nr 2 StGB hier einschlägig sein sollte. Dass R den Seitenstreifen zB auch zum Überholen nach § 315c I 2 lit b StGB benutzt, ergibt sich aus der Sachverhaltsdarstellung nicht. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
IsiRider
29.9.2023, 20:56:20
Eine Vertiefung zu anderen einschlägigen Normen wäre schön.
Leo Lee
1.10.2023, 11:08:25
Hallo IsiRider, vielen Dank für den Vorschlag! Wie könntest du dir eine solche Vertiefung vorstellen :)? Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo