Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Mitursächlichkeit der Tatvollendungsverhinderung beim Rücktritt?
Mitursächlichkeit der Tatvollendungsverhinderung beim Rücktritt?
9. Mai 2023
10 Kommentare
4,7 ★ (23.031 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T will seine Kinder besuchen, die bei seiner Ex-Frau F und O leben. O verweigert T den Zutritt zur Wohnung. Als O ihm den Rücken zukehrt, sticht T lebensgefährlich auf O ein und flieht. F ruft die Polizei. T ruft auch die Polizei, um von sich abzulenken. Erst auf Nachfrage erwähnt er Os Verletzungen. Unklar bleibt, welcher der Anrufe kausal für das Eintreffen der Sanitäter ist, die Os Leben retten.
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Einordnung des Falls
Der BGH stellt in diesem Beschluss klar, dass das Ingangsetzen einer neuen Kausalkette für den Rücktritt vom beendeten Versuch genügt. Hierbei muss das Verhalten des Täters zumindest mitursächlich für die Verhinderung der Tatvollendung sein.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte T sich wegen versuchten Mordes strafbar gemacht haben, indem er mit dem Messer auf O einstach (§§ 211, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hatte T Tatentschluss bezüglich eines Heimtückemord, als er auf O einstach?
Ja!
3. Hat er unmittelbar zum Mordversuch angesetzt, indem T mit dem Messer auf O einstach?
Genau, so ist das!
4. Könnte T strafbefreiend zurückgetreten sein, indem er der Polizei den Vorfall meldete (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
5. Ist der Mordversuch des T fehlgeschlagen?
Nein!
6. War der Mordversuch war aus Sicht des T zum Zeitpunkt seines Anrufes unbeendet?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Hat T die Vollendung des Mordes verhindert (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
8. Hat T den Erfolgseintritt freiwillig verhindert?
Ja!
9. Bleibt T straflos?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
L123
2.8.2022, 19:29:52
Sowohl für den
Tötungsvorsatzals auch für die Abgrenzung beendet
unbeendeter Versuchist der SV etwas dünn.

Lukas_Mengestu
3.8.2022, 12:39:47
Vielen Dank für Deinen Hinweis, Louis. In der Tat ist der Sachverhalt hier recht knapp gehalten. Aus dem Umstand, dass T den O hier von hinten ersticht, lässt sich unserer Ansicht durchaus zumindest der bedingte
Tötungsvorsatzableiten. Da durch den Stich lebensgefährliche Verletzungen eingetreten sind, bedarf es zudem keiner weiteren Handlungen des T, sodass ein
beendeter Versuchvorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
5.8.2022, 23:38:17

Lukas_Mengestu
28.9.2022, 17:42:11
Hallo Philipp, nach der Lehre von der
Verbrechervernunfthandelt ein Täter dann unfreiwillig, wenn er aufgrund seiner abwägenden
Verbrechervernunftzu dem Resultat kommt, dass ein Weitermachen zwecklos ist oder mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Es müsste also aus Verbrechersicht unklug sein, aufgrund der veränderten Umstände oder sonstiger Nachteile die Ausführung der Tat fortzuführen. Solche Umstände liegen hier nicht vor. Zum Zeitpunkt des Anrufs bestand für T kein erhöhtes Entdeckungsrisiko, somit hätte er die Tat auch vollenden können. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper
15.8.2023, 22:37:41
Jetzt geh mir einer hin und sag mir das ist ein faires Ergebnis.
Jurista
4.9.2023, 11:45:10
Was genau findest du denn nicht fair an dem Ergebnis?
Erik_1995
3.3.2025, 14:51:53
@[Jurista](202483) Dass ein Täter privilegiert wird, der nur deswegen die Polizei verständigt, um von sich aus abzulenken? Also hier von einem intrinsichen Motiv zu sprechen ist doch erstens abwegig und zweitens unbillig? Denn Zweck des
Rücktritts ist: a) der Opferschutz b) die freiwillige G
esinnung des Täters wieder auf den Boden des Rechts zurückzukehren Einem Täter, der nur aus Angst bestraft zu werden, die Polizei verständigt, Freiwilligkeit zu attestieren, grenzt an Hohn. Ohne diesen äußeren Umstand hätte der Täter gerade nicht die Polizei gerufen, sodass sich mir wirklich nicht erschließt, weshalb das Motiv intrinisch und damit der
Rücktrittaus freiem Willen entstanden sein soll Liebe Grüße
QuiGonTim
12.9.2023, 07:16:54
Liebes Jurafuchs-Team, ihr seid in eurer Lösung nicht darauf eingegangen, dass T die Polizei anrief, um von sich abzulenken. Inwiefern beeinflusst dieser Umstand die Freiwilligkeit des
Rücktritts?
QuiGonTim
12.9.2023, 07:21:33
Liebes Jurafuchs-Team, beim ersten Lesen des Falls sind mir folgende kleinere, zusätzliche Probleme in den Sinn gekommen: Streit um die Notwendigkeit des besonders verwerflichen Vertrauensbruchs für das Merkmal der Heimtücke und rechtfertigender Notstand, weil O ja seine Kinder sehen wollte (scheitert spätestens an der Verhältnismäßigkeit). Wäre ich in der Klausur mit diesen beiden zusätzlichen Punkten auf dem Holzweg?

Lukas_Mengestu
15.9.2023, 17:52:47
Hallo QuiGonTIm, grundsätzlich ist die Reichweite des Heimtückemerkmals höchst problematisch, sodass Du zu den Versuche dieses einzuschränken (tatbestandlich bzw. auf Rechtsfolgenseite) stets etwas sagen kannst und auch solltest (also zB kurze Auseinandersetzung, ob besonders verwerflicher Vertrauensbruch notwendig ist). Schau Dir hierzu gerne auch das entsprechende Problemfeld im Kurs Strafrecht BT: 1 an. Die Idee mit dem rechtfertigenden Notstand ist grundsätzlich interessant. Als geschütztes Rechtsgut kommt zwar die elterliche Sorge (§ 1626 ff. BGB) in Betracht, welches eventuell gefährdet ist. Aber schon bei der
Erforderlichkeitdürftest Du hier scheitern. Insoweit wäre dessen Prüfung eher fernliegend. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team