Öffentliches Recht

Europarecht

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV – Vertiefung Keck („DocMorris I“)

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV – Vertiefung Keck („DocMorris I“)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die in den Niederlanden zugelassene Apotheke DocMorris verkauft über den Versandweg Medikamente nach Deutschland. Der deutsche Apothekerverband will dies untersagen und beruft sich auf § 43 AMG, der vorsieht, dass nur Medikamente versendet werden dürfen, die nicht der Apothekenpflicht unterliegen.

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Einordnung des Falls

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV – Vertiefung Keck („DocMorris I“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ist vorliegend eröffnet.

Ja, in der Tat!

Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV schützt in sachlicher Hinsicht die Ein- und Ausfuhr von Unionswaren. Waren sind alle beweglichen, körperlichen Güter, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Unionsware ist gemäß Art. 28 Abs. 2, 29 AEUV aus einem Mitgliedstaat stammende oder rechtmäßig eingeführte und verzollte „Drittware“, die sich im freien Verkehr befindet. Medikamente sind bewegliche, körperliche Güter, die einen Geldwert haben und somit Waren im Sinne der Warenverkehrsfreiheit sind.
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2. Bei der Untersagung des Medikamentenversandes nach Deutschland handelt es sich nach der Dassonville- Formel um eine Maßnahme gleicher Wirkung.

Ja!

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handeln unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen (sog. Dassonville-Formel). Es sind insoweit also nicht nur Maßnahmen gleicher Wirkung erfasst, die Waren aus anderen Mitgliedstaaten offen oder versteckt diskriminieren, sondern auch unterschiedslos wirkende Maßnahmen. Die Untersagung des Versandes von Medikamenten aus den Niederlanden nach Deutschland wäre unmittelbar und tatsächlich dazu geeignet den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern. Nach der Dassonville-Formel handelt es sich daher um eine Maßnahme gleicher Wirkung.

3. Nach der Keck-Rechtsprechung werden bestimmte Verkaufsmodalitäten nicht als Maßnahmen gleicher Wirkung angesehen, wenn sie zwei Voraussetzungen genügen.

Genau, so ist das!

Bei Regelungen zu Verkaufsmodalitäten handelt es sich nur dann nicht um Maßnahmen gleicher Wirkung, wenn (1) die Regelungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und (2) die Regelung den Absatz von inländischen und ausländischen Erzeugnissen in gleicher Weise berührt. Vorliegend beziehen sich die Regelungen nicht auf die Medikamente an sich, sondern auf Modalitäten deren Verkaufs. Daher kommt hier die Keck-Formel zur Anwendung.

4. Das in § 43 AMG normierte Versandverbot gilt nur für ausländische Wirtschaftsteilnehmer.

Nein, das trifft nicht zu!

Damit es sich bei der Untersagung des Versandes nicht um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt, muss die Regelungen zunächst für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben. Das Verbot gilt nicht nur für Wirtschaftsteilnehmer aus den Niederlanden, sondern genauso für solche aus Deutschland, also dem Inland. Denn auch deutsche Apotheken dürfen apothekenpflichtige Medikamente nicht ohne Weiteres versenden. Diese erste Voraussetzung ist daher unproblematisch erfüllt.

5. Die Regelung betrifft den Versand ausländischer und inländischer Waren gleicher Maßen.

Nein!

Um festzustellen, ob ausländische und inländische Waren gleichermaßen betroffen sind, ist die Reichweite festzustellen, die die streitige Regelung hat. Vorliegend beeinträchtigt die Regelung außerhalb von Deutschland ansässige Apotheken stärker. Denn auch wenn das Verbot ebenfalls für deutsche Apotheken gilt, so haben diese zumindest Arzneimittel in den Apotheken zu verkaufen. Apotheken, die nicht in Deutschland ansässig sind, haben ohne den Versandweg dagegen keinen Zugang zum deutschen Markt. Das Verbot trifft inländische und ausländische Waren nicht gleichermaßen. Es handelt sich damit um eine Maßnahme gleicher Wirkung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

nika134

nika134

30.4.2024, 08:33:51

In der Frage wird ja nur nach dem betroffenen Versand gefragt. Der ist ja gleich geregelt, sodass da keine Unterscheidung besteht, die gibt es ja nur im Verkauf.

Jonas22

Jonas22

29.5.2024, 18:33:21

Auf diese Lösung wäre ich in der Klausur nie gekommen und sie überzeugt mich auch nicht. DocMorris könnte doch auch Filialen in Deutschland eröffnen. Wenn man sagt, dass DocMorris apothekenpflichtige Medikamente versenden darf und deutsche Apotheken dürfen das nicht, weil sie Filialen haben, steht DocMorris sogar besser dar finde ich, weil es bequemer ist, online zu bestellen.

Whale

Whale

8.6.2024, 10:47:55

Aber es darf ja niemand apothekenpflichtige Medikamente versenden, auch deutsche Apotheken nicht, deshalb ist die erste Voraussetzung ja erfüllt. Aber ja ich hätte die Frage auch so beantwortet wie du und ich denke, da kann man gut argumentieren

Whale

Whale

8.6.2024, 11:08:47

Wenn DocMorris erst einmal einen neuen Standort in Deutschland eröffnen müsste, um dann die apothekenpflichtigen Medikamente auch hier zu verkaufen, würde das den Marktzugang erheblich erschwerden

Whale

Whale

11.6.2024, 10:20:03

Eine Diskriminierung liegt vor, sofern eine nationale Regelung von

Verkaufsmodalitäten

ausländische Waren offen oder verdeckt benachteiligt. Eine entsprechende Situation ist nach der Rechtsprechung jedoch auch anzunehmen, wenn die sich betreffende Vorschrift auf

Verkaufsmodalitäten

bezieht, die „stärkere Auswirkungen auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten“ haben und dadurch eine spezifische Behinderung des grenzüberschreitenden Warenhandels in Form einer „Ungleichbehandlung inländischer und eingeführter Erzeugnisse im Hinblick auf ihren Zugang zum Markt“ bewirken. Das soll der Fall sein, soweit ein Verbot bestimmter Werbe- oder Absatzformen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert, „als es dies für inländische Erzeugnisse tut, mit denen der Verbraucher unwillkürlich besser vertraut ist“ oder wenn der Vertrieb von Waren aus anderen Mitgliedstaaten nur nach Gründung einer Niederlassung oder Erwerb einer Lizenz im Bestimmungsland möglich ist und somit durch „zusätzliche (. . .) Kosten“ verteuert wird. (Streinz/W. Schroeder, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 34 Rn. 47)


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