Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Versuchtes Sexualdelikt in mittelbarer Täterschaft: Versuchsbeginn
Versuchtes Sexualdelikt in mittelbarer Täterschaft: Versuchsbeginn
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T gibt sich online als seine Exfreundin F aus und verabredet sich mit B zum „Vergewaltigungsrollenspiel“ am folgenden Tag in F‘s Wohnung. F’s Gegenwehr solle B gewaltvoll überwinden und sexuelle Handlungen an F vornehmen. B fährt zu F, bekommt dort aber Zweifel und fährt nach Hause.
Diesen Fall lösen 88,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Der BGH hat entschieden, dass versuchte sexuelle Nötigung bei mittelbarer Täterschaft beginnt, wenn der Einfluss des Täters auf die ausgewählte Person als Werkzeug abgeschlossen ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der Täter eine zeitnahe Ausführung erwartet. Der Fall betraf einen pensionierten Priester, der geplant hatte, seine Ex-Geliebte vergewaltigen zu lassen. Er übernahm die Identität der Frau auf einem „erotischen Dating-Portal" und korrespondierte mit zwei Männern. Er arrangierte ein Treffen für ein "Vergewaltigungs-Rollenspiel" am nächsten Tag. Das Klingeln des Werkzeugs (des unwissenden Mannes) an der Tür war auch die Schwelle für den Täter, die Tat zu versuchen. Da er feste Vereinbarungen getroffen hatte und durch seinen Chat am nächsten Tag wusste, dass sein Werkzeug auf dem Weg zur Wohnung war, hatte er eine konkrete Gefahr für seine ehemalige Geliebte geschaffen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte B sich der versuchten sexuellen Nötigung zu Nachteil von F strafbar gemacht haben (§§ 177 Abs. 1 Var. 1 StGB a.F., 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Umfasst der objektive Tatbestand des sexuellen Übergriffs die Vornahme von oder die Bestimmung zu sexuellen Handlungen gegen den erkennbaren Willen der anderen Person (§ 177 Abs. 1 StGB n.F.)?
Genau, so ist das!
3. Ist der Versuch des sexuellen Übergriffs strafbar (§§ 177 Abs. 1 n.F., 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
4. Versucht Straftat, wer mit Tatentschluss unmittelbar zur Tat ansetzt (§ 22 StGB)?
Ja!
5. Hat B sich wegen versuchten sexuellen Übergriffs zum Nachteil von F strafbar gemacht (§§ 177 Abs. 1 Var. 1 n.F., 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Könnte Hintermann T sich wegen versuchten sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von F in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben (§§ 177 Abs. 1 Var. 1 n.F., 22, 23 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
7. Hat T erst dann unmittelbar zum versuchten sexuellen Übergriff in mittelbarer Täterschaft angesetzt, wenn B als Vordermann unmittelbar zur Tatausführung angesetzt hat?
Nein!
8. Ist T vom versuchten sexuellen Übergriff in mittelbarer Täterschaft zurückgetreten (§ 24 Abs. 1, 2 StGB), weil B Zweifel bekam und von der Tatausführung absah?
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Könnte T sich zudem wegen versuchter Vergewaltigung in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben (§§ 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB n.F., §§ 22, 23 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen der Begehung eines Delikts in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB)?
- Objektiver Tatbestand
- Kein Ausschluss der mittelbaren Täterschaft (bei eigenhändigen & echten Sonderdelikten)
- Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs durch Handlung des Tatmittlers
- Einwirkung des mittelbaren Täters auf den Tatmittler
- Zurechnung der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen durch den Tatmittler
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz des mittelbaren Täters
- Vorsatz bezüglich der Tatbestandsverwirklichung durch den Tatmittler
- Vorsatz bezüglich der die Tatherrschaft begründenden Umstände
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
10.10.2021, 16:25:57
Vergewaltigung in mittelbarer Täterschaft ist ein interessantes Konstrukt. Weiß jemand, ob das schon mal abgeurteilt und vom BGH gehalten wurde?
Lukas_Mengestu
12.10.2021, 13:00:22
Hi Isabell, spannende Frage! Ich bin da noch nicht fündig geworden, aber vielleicht hat die "Schwarmintelligenz" ja einen heißen Tipp für uns :) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
6.6.2022, 23:10:32
Gibt es schon was Neues?^^
Lukas_Mengestu
6.6.2022, 23:22:04
Bislang blieb es still hier :D
mareriwue
29.3.2022, 16:34:29
M. E. gibt der Sachverhalt keine Vergewaltigung her. Es wurde zwar als "Vergewaltigungsrollenspiel" benannt, jedoch vorgenommen werden sollten wortwörtlich nur "sexuelle Handlungen". Diese setzen nicht notwendigerweise ein Eindringen in den Körper voraus (Vergewaltigung). Daher finde ich es schwer, die letzte Frage korrekt zu beantworten. LG
Lukas_Mengestu
31.3.2022, 14:05:31
Hallo mareriwue, im Ergebnis ist Dir hier sicher zuzustimmen. Bei der letzten Frage geht es indes nicht um das Ergebnis einer fertigen Prüfung (T "hat" sich strafbar gemacht). Es geht vielmehr darum, dass man dies zumindest anprüfen könnte. Aus diesem Grund steht die Aussage daher im Konjunktiv (T "könnte" sich strafbar gemacht haben). Durch die Frage soll letztlich vor allem der Unterschied zwischen dem neuen und alten Recht im Hinblick auf die "Eigenhändigkeit" der Tatausführung verdeutlicht werden. Für eine komplette Prüfung wäre aber in der Tat noch der Sachverhalt zu ergänzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
mareriwue
31.3.2022, 14:21:35
Okay, danke für die Antwort :) LG
I-m-possible
23.7.2022, 09:02:42
Ich frage mich warum ein Rücktritt bei B geprüft wird wenn schon der Tatentschluss aufgrund des Irrtums entfällt? Oder muss dies wegen T geprüft werden? Trotz Zweifel würde dies m.E nach trotzdem als Freiwilliger Rücktritt bzgl. B angesehen (Roxin) und Rspr da keine Zwangsituation bestand.
Lukas_Mengestu
27.7.2022, 19:15:46
Hallo I-m-Possible, schau Dir den Fall gerne noch einmal an. Hier werden zwei verschiedene Personen geprüft. Bei B (Vordermann) scheitert die Strafbarkeit am fehlenden Tatenschluss. Bei T (Hintermann) prüft man dagegen den Rücktritt. T ist indes nicht zurückgetreten, vielmehr hat B die Tat aufgegeben. T wiederum ist nicht zurechenbar zurückgetreten (anders zB, wenn er B angerufen hätte, um ihn von der Tat abzubringen). Insofern ist T aus vollendetem Versuch zu bestrafen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Geithombre
21.2.2024, 18:30:53
In der 2.(?) Frage ist gefragt, ob der Versuch nach §§ 177 I n.F.(!), 22, 23 I StGB strafbar sei. Die Antwort Nein müsste hier mMn zutreffend sein, da die Strafbarkeit sich aus §§ 177 I, III, 22, 23 I StGB ergibt. Ohne Absatz 3 ist der Obersatz nicht korrekt, da Abs. 1 eine Mindeststrafe von 6 Monaten vorsieht, mithin ein Vergehen geprüft wird.
Juralove12345
14.8.2024, 22:54:45
Könnte B nicht auch einem
Erlaubnistatbestandsirrtumunterliegen, weil er denkt es gäbe ein Einverständnis? Jedoch verlangt der 177 I ja auch ein „gegen den Willen“, dh Tatbestandsirrtum Gleichzeitig spricht der SV ja gerade von „Vergewaltigungsrollenspiel“ und „Gegenwehr gewaltvoll überwinden“, also könnte man ja argumentieren es liegt ein „Einverständnis“ den Willen zu überwinden vor. Könnte nicht deshalb auch ein ETBI in Betracht kommen? (mal abgesehen davon, dass es hier nicht der Schwerpunkt zu sein scheint)
Timurso
15.8.2024, 10:51:10
Ein ETBI kommt nur in Betracht, wenn sich der Irrtum auf Rechtfertigungsebene auswirkt. Für alle Tatbestände, die bereits tatbestandlich ein Handeln gegen den Willen des Opfers voraussetzen, ist ein Tatbestandsirrtum einschlägig. Ein ETBI kommt nur bei solchen in Betracht, bei denen kein
tatbestandsausschließendes Einverständnis, sondern eine rechtfertigende Einwilligung in Frage steht. Das könnte hier beispielsweise eine mitverwirklichte Körperverletzung sein.