Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Klassiker im Öffentlichen Recht
KLASSIKER: Vaterschaftsauskunft (BVerfG, 06.05.1997)
KLASSIKER: Vaterschaftsauskunft (BVerfG, 06.05.1997)
14. Februar 2025
3 Kommentare
4,6 ★ (4.314 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K wuchs bei Pflegeeltern auf. Heute ist er 20 Jahre alt und verlangt vor dem Amtsgericht (AG) von seiner leiblichen Mutter (M) Auskunft über die Identität seines Vaters für etwaige Erbansprüche, aber auch aus persönlichen Gründen. M lehnt die Auskunft ab. Das AG verpflichtete M zur Auskunft.
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Einordnung des Falls
KLASSIKER: Vaterschaftsauskunft (BVerfG, 06.05.1997)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M griff das Urteil an, aber auch das Landgericht (LG) verurteilte M, dem K Auskunft zu erteilen. M hält das für verfassungswidrig. Kann M gegen das LG-Urteil Verfassungsbeschwerde erheben?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. M rügt, sie sei durch das Urteil des LG in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt worden. Ist M beschwerdebefugt?
Genau, so ist das!
3. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da M den Rechtsweg nicht erschöpft und den Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt hat.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit das LG-Urteil M in ihren Grundrechten verletzt.
Ja!
5. Das Urteil des LG greift in Ms allgemeines Persönlichkeitsrecht ein.
Genau, so ist das!
6. Wie die Menschenwürde ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorbehaltlos und schrankenlos gewährleistet.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Das LG hat Ks Auskunftsanspruch auf § 1618a BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 5, 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG als Schranke gestützt. Handelt es sich dabei um unzulässige Rechtsfortbildung?
Nein!
8. Das LG hat Ms allgemeines Persönlichkeitsrecht mit Ks Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1, Art. 6 Abs. 5 GG abgewogen und damit die anwendbaren Grundrechte erkannt.
Genau, so ist das!
9. Aus Ms allgemeinem Persönlichkeitsrecht ergibt sich eine Schutzpflicht des Staates gegenüber M, die der Staat nur erfüllen kann, indem er sich schützend vor M stellt und Ks Auskunftsanspruch ablehnt.
Nein, das trifft nicht zu!
10. Das LG hatte den Interessen des K ohne konkrete Abwägung Vorrang vor Ms Persönlichkeitsrecht gegeben, unter anderem deshalb, weil K die Interessenkollision nicht zu vertreten habe. Ist dies verfassungsgemäß?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Mi. S.
19.8.2024, 18:53:31
Ist bekannt, wie der Fall letztlich entschieden wurde?

Linne_Karlotta_
16.1.2025, 16:33:47
Hey @[Mi. S.](204099), danke für Deine Frage! Das LG Münster hat mit
Urteilvom 26.08.1998 – 1 S 414–89 (NJW 1999, 726) den Auskunftsanspruch anerkannt. Hier der Leitsatz aus der NJW: „Weiß die Mutter nicht sicher, wer der Vater ihres Kindes ist, muß sie Namen nebst Anschrift der Männer nennen, mit denen sie in der gesetzlichen Empfängniszeit
Geschlechtsverkehrhatte.“ Das Gericht begründete den Anspruch mit § 1618a BGB und einer Abwägung zwischen dem Recht der Klägerin (im Originalfall war es die Tochter, nicht der Sohn) auf Kenntnis ihrer
Abstammung(Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Recht der Beklagten auf Schutz ihrer Intimsphäre. Letztlich überwog das Interesse der Klägerin, da die Kenntnis ihrer Herkunft auch für persönliche und erbrechtliche Ansprüche von Bedeutung ist. Die Beklagte wurde verpflichtet, die relevanten Namen und Adressen offenzulegen, da ihre bisherigen Angaben zeigten, dass sie diese Informationen kannte. Auch interessant in diesem Zusammenhang: Später wollte die Klägerin den Anspruch nach § 888 Abs. 3 ZPO vollstrecken lassen. Die Vollstreckung lehnte das LG mit Beschluss vom 29. 7. 1999 - 5 T 198–99 (NJW 1999, 3787) ab: Die Verhängung von
Zwangsmitteln wie Geldstrafen oder Haft wurde als unvereinbar mit der Intimsphäre und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der
Schuldnerin gewertet. Solche Maßnahmen seien in diesem Kontext unverhältnismäßig und sittlich anstößig, da sie die Menschenwürde verletzen würden. Die Kammer hob den Antrag der Gläubigerin auf Zwangsvollstreckung auf. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Kathi
16.1.2025, 17:29:14
Das ist ja irre. War das das gleiche LG? Das heißt, die Tochter hatte zwar den Anspruch, der war aber nicht vollstreckbar? Dann geht der Anspruch ja völlig ins Leere.