Öffentliches Recht

VwGO

Verpflichtungsklage

Vornahmeurteil bei Ermessensreduzierung auf Null

Vornahmeurteil bei Ermessensreduzierung auf Null

21. April 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Trotz intensiver Bemühungen konnte F, die kein Obdach hat, keine Unterkunft für den Winter finden. Die städtischen Notunterkünfte in Berlin sind voll. F verlangt von Polizeibehörde P eine Einweisung in eine leerstehende Privatwohnung. P prüft Fs Anliegen und weist es zurück.

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Einordnung des Falls

Vornahmeurteil bei Ermessensreduzierung auf Null

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F erhebt eine zulässige Verpflichtungsklage. Könnte man im Rahmen der Begründetheit an einen Anspruch aus der polizeilichen Generalklausel (§ 17 ASOG) denken?

Genau, so ist das!

In dieser Aufgabe liegt der Fokus auf der Prüfung der Begründetheit, weswegen wir die statthafte Klageart vorgegeben haben. Für die Begründetheit der Verpflichtungsklage ist es zunächst erforderlich, dass der Kläger einen Anspruch auf den von ihm begehrten Verwaltungsakt hat. Die Befugnisse der Polizei ergeben sich aus §§ 17 ff. ASOG. Da hier keine speziellen Normen einschlägig sind, kommt nur die polizeiliche Generalklausel (§ 17 Abs. 1 ASOG) in Betracht.Eine frühere Meinung hat vertreten, dass ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten nicht besteht, da die Pflichten der Polizei lediglich öffentlichen Interessen dienen und keine subjektiven Rechte begründen. Heute ist jedoch allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten grundsätzlich bestehen kann.Die nachfolgenden Ausführungen gelten entsprechend für andere Bundesländer. Du musst lediglich die Generalklausel aus Deinem Bundesland als Anspruchsgrundlage nennen.
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2. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 ASOG erfüllt?

Ja, in der Tat!

Nachdem Du die Anspruchsgrundlage ermittelt hast, prüfst Du im nächsten Schritt, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage im konkreten Fall erfüllt sind. § 17 Abs. 1 ASOG erfordert auf der Tatbestandsseite eine Gefahr. Diese ist legaldefiniert als „eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, den Schutz subjektiver Rechte sowie den Bestand der Einrichtungen des Staates und sonstiger Hoheitsträger. F wäre ohne Unterkunft gezwungen, die Nächte im Winter auf der Straße zu verbringen. Dadurch drohen Einbußen ihrer körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Im Extremfall könnte auch ihr Leben bedroht sein. Bei ungehindertem Fortgang des Geschehens ist eine Verletzung subjektiver Rechte der F überwiegend wahrscheinlich. Damit liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor.

3. Der Tatbestand des § 17 Abs. 1 ASOG liegt vor. Hat F damit in jedem Fall einen Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts?

Nein!

Auf Rechtsfolgenseite musst Du zwischen gebundenen Entscheidungen und Ermessensentscheidungen unterscheiden. Räumt die gesetzliche Norm der Behörde ein Ermessen ein, hat der Anspruchsteller nur einen Anspruch auf Erlass einer ermessensfehlerfreien Entscheidung. Er kann grundsätzlich nicht den Erlass eines ganz bestimmten Verwaltungsakts verlangen. Auch i.R.d. gerichtlichen Entscheidung nach § 113 Abs. 5 VwGO muss man hinsichtlich der Spruchreife zwischen Ermessensentscheidungen und gebundenen Entscheidungen unterscheiden. Sobald der Behörde Ermessen zusteht, ist die Sache i.d.R. nicht spruchreif. Das Gericht spricht nur ein Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) aus. In diesem Fall hat die Behörde den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. § 17 Abs. 1 ASOG räumt der Behörde ein weitreichendes Ermessen ein. Damit kann F grundsätzlich nicht durchsetzen, dass die Polizei sie in die Privatwohnung einweist. Sie hat grundsätzlich nur einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Polizei.

4. F droht in der Kälte eine Gefahr für Leib und Leben. Könnte sich daraus eine Ermessensreduzierung auf Null ergeben?

Genau, so ist das!

Eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich, wenn trotz bestehenden Ermesssens in der konkreten Situation nur eine einzelne Maßnahme rechtmäßig erscheint. Insbesondere die Grundrechte (hier: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) können zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen.Aufgrund der winterlichen Temperaturen bestehen ernsthafte Gefahren für Gesundheit und Leben der F. Das Ermessen der Polizei ist wegen der hohen Bedeutung von Fs Rechten auf Null reduziert. P muss tätig werden. In der Klausur solltest Du genauer zwischen Handlungsermessen und Auswahlermessen differenzieren. Das Handlungsermessen der P ist auf Null reduziert, das Auswahlermessen hingegen nicht. P kann weiterhin entscheiden, in welcher Wohnung F untergebracht wird oder ob noch andere Möglichkeiten zum Schutz der F bestehen.

5. Im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null spricht das Gericht ein Vornahmeurteil (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) aus.

Ja, in der Tat!

Die Folge einer Ermessensreduzierung auf Null ist, dass der Kläger nicht nur einen Anspruch auf erneute Entscheidung durch die Behörde, sondern einen Anspruch auf die Vornahme des begehrten Verwaltungsakts hat. Besteht für die Behörde Ermessen, so kann das Gericht grundsätzlich nur ein Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) aussprechen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Ergibt sich im konkreten Fall aber eine Ermessensreduzierung auf Null, spricht das Gericht wie bei einer gebundenen Entscheidung ein Vornahmeurteil (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) aus. Kommt das Gericht in Fs Fall zu dem Schluss, dass P nur dann nicht gegen die Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verstößt, wenn sie F in eine Privatwohnung einweist, wird das Gericht ein entsprechendes Vornahmeurteil erlassen. In der Praxis wären dazu mehr Informationen nötig. In der Klausur argumentierst Du mit allem, was der Sachverhalt dir anbietet. Sofern Du dich mit allem auseinandersetzt, ist das Ergebnis weniger ausschlaggebend für eine gute Bewertung. Mehr (materiell-rechtliches) zur Ermessensreduzierung auf Null findest Du in unserem Kurs zum Verwaltungsrecht AT.
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