Haakjöringsköd-Fall (RGZ 99, 147): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Haakjöringsköd-Fall (RGZ 99, 147): Zwei Personen einigen sich über den Kauf einer Kiste „Haakjöringsköd“.

K möchte Walfleisch kaufen. Er einigt sich mit V über den Kauf einer Kiste „Haakjöringsköd“. V und K gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich dabei um eine Bezeichnung für Walfleisch handele. In Wahrheit heißt es aber „Haifischfleisch“. V liefert Haifischfleisch.

Einordnung des Falls

Der Haakjöringsköd-Fall ist ein Fall aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts von 1920. Zwei Personen schlossen einen Kaufvertrag über „Haakjöringsköd“, wobei beide davon ausgingen, es handele sich dabei um Walfleisch. Tatsächlich bedeutet der norwegische Begriff aber Haifischfleisch. Der Fall ist das perfekte Beispiel für den wichtigen zivilrechtlichen Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ („Falschbezeichnung schadet nicht“) im BGB AT. Dieser bedeutet, dass eine übereinstimmende Falschbezeichnung des Vertragsgegenstands durch beide Vertragsparteien unschädlich ist. Bei der Auslegung der Willenserklärungen geht das tatsächlich Gewollte (§ 133 BGB) dem objektiv Erklärten vor, sodass hier ein Kaufvertrag über Walfleisch – und nicht etwa über Haifischfleisch – geschlossen wurde.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat V K eine Kiste Walfleisch angeboten?

Genau, so ist das!

Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist das Angebot grundsätzlich nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Einer solchen Auslegung geht jedoch das tatsächliche Verständnis vor, wenn es sich mit dem wirklichen Willen (§ 133 BGB) deckt. Maßgebend ist dann das von den Parteien tatsächlich Gewollte. Erst wenn dies nicht feststellbar ist, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu entscheiden. Nach dem objektiven Empfängerhorizont hätte V dem K den Kauf von Haifischfleisch („Haakjöringsköd“) angeboten und nicht – wie gewollt – Walfleisch. Hier sind jedoch beide Parteien subjektiv übereinstimmend davon ausgegangen, dass V dem K Walfleisch anbietet. Somit liegt ein Angebot über Walfleisch vor.

2. Hat K das Angebot des V über den Kauf von Walfleisch angenommen?

Ja, in der Tat!

Eine Annahme ist die in Bezug auf ein Angebot abgegebene Willenserklärung, mit der ein Vertrag begründet wird. Sie ist ebenfalls empfangsbedürftig und grundsätzlich nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Da V und K übereinstimmend einen Vertrag über Walfleisch abschließen wollten, existiert ein tatsächlicher Konsens, der unabhängig vom objektiven Erklärungsgehalt maßgeblich ist. K hat das Angebot über Walfleisch angenommen. Die übereinstimmende Falschbezeichnung der Parteien ist unschädlich („falsa demonstratio non nocet“).

3. Kann V den Kaufvertrag durch die Lieferung von Haifischfleisch erfüllen (§ 362 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Zur Erfüllung muss der Schuldner die vereinbarte Leistung an den Gläubiger erbracht haben (§ 362 Abs. 1 BGB). V und K haben sich nach dem objektiven Wortlaut ihrer Erklärungen über den Kauf von Haifischfleisch (Haakjöringsköd) geeinigt. Die Auslegung der Erklärungen hat jedoch ergeben, dass eine Einigung über den Kauf von Walfleisch gewollt war. Das objektiv Erklärte tritt damit hinter dem tatsächlich Gewollten zurück („falsa demonstratio non nocet“). Damit kann V seine Leistungspflicht nur mit Walfleisch erfüllen.

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Jan

Jan

21.7.2023, 17:27:59

Ist dann §313 anwendbar? Also kann die Vorstellung, das Haaköringsköd Walfleisch bedeutet, Grundlage des Vertrags geworden sein, die sich dann, Abs. 2, als falsch herausstellt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.7.2023, 19:46:57

Hallo Jan, Geschäftsgrundlage iSv

§ 313 BGB

sind nach h.M. die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut. Die zentralen Vorstellungen der Parteien (nämlich der Verkauf von Walfischfleisch) haben sich hier bereits im Vertragsschluss manifestiert. Der Bedeutungsunterschied des Begriffs

Haakjöringsköd

ist dagegen für sie irrelevant. Ein Rückgriff auf

§ 313 BGB

hier insofern nicht denkbar. Generell ist es ratsam, sich bei der Anwendung der Norm auch die Entwicklung des Instituts in Erinnerung zu rufen (hierzu zB https://applink.jurafuchs.de/Jp7IyWB9IBb). Es handelt sich hierbei wirklich um eine subsidiäre Ausnahmevorschrift, auf die nur sehr behutsam zurückgegriffen werden darf und die für existenzielle Krisen (Hyperinflation der 1920er oder auch Corona-Pandemie) entwickelt wurde. Es handelt sich insoweit um eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich einzuhalten sind (pacta sunt servanda) und ist insoweit restriktiv auszulegen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jan

Jan

26.7.2023, 08:40:49

Danke für die Antwort, das hat sehr weitergeholfen!

/Q

/qwas

10.2.2024, 15:05:18

Die erste Frage ist unglücklich formuliert. Ich habe sie so verstanden, dass sie sich auf das Angebot der geschuldeten Leistung bezieht. Da hat V ja tatsächlich Haifischfleisch angeboten.


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