Kein menschenraub ("Doppelter Zwang")

8. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T betritt eine Bankfiliale und zwingt den Mitarbeiter O unter Vorhaltung einer Schusswaffe, ihn zum Safe zu begleiten und den Inhalt in Ts Tasche zu packen. O kommt dieser Forderung aus Angst nach.

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Einordnung des Falls

Kein menschenraub ("Doppelter Zwang")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Vorhalten der Schusswaffe stellt nach der Rspr. eine Gewaltanwendung im Sinne des § 234 Abs. 1 Var. 1 StGB dar.

Genau, so ist das!

Der Begriff der Gewalt ist umstritten. Der klassische Gewaltbegriff ist die anerkannte Grundlage aller Definitionsversuche. Er setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Rein seelische Zwangswirkungen reichen dabei grundsätzlich nicht, sofern sie nicht die Erheblichkeitsschwelle erreichen. Durch das Vorhalten der Waffe hat O Todesangst und packt den Safeinhalt in die Tasche. Das Verhalten des T ruft einen starken Erregungszustand bei O herbei, und wird somit (vom BGH) als gegenwärtige Übelszufügung und folglich als Gewalt verstanden. Hier ist genauso gut eine andere Ansicht vertretbar. Die Literatur sieht in dem Vorhalten der Waffe das Inaussichtstellen eines künftigen Übels und somit eine Drohung als einschlägig an. Begründet wird dies mit dem aktuellen Missempfinden, welches aus der gedanklichen Antizipation der künftigen Gewaltanwendung herrührt. Beide Ansichten gelangen zum selben Ergebnis. Entscheidend ist hier die Argumentation.
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2. T hat sich des O "bemächtigt" im Sinne des § 234 Abs. 1 StGB

Nein, das trifft nicht zu!

Der Täter bemächtigt sich einer anderen Person, wenn er die physische Herrschaft über diese gewonnen hat. Hier hat der T über den O die körperliche Herrschaft erlangt, da er infolge des Vorhaltens der Waffe über O beliebig verfügen konnte. Allerdings ist vonnöten, dass der Bemächtigungssituation eine eigenständige Bedeutung zukommt. Hier nötigte T jedoch auch im Rahmen einer qualifizierten Nötigung (§ 253 StGB). Somit kam der Bemächtigungssituation keine eigenständige Bedeutung zu.Zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales muss ein sog. "doppelter Zwang" vorliegen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Natze

Natze

13.1.2024, 11:01:49

ist nicht die Gewalt(anwendung) die erste Variante? 🙈

TI

Timurso

13.1.2024, 14:49:01

würde ich auch so sehen, ja. Hier müsste das Normzitat korrigiert werden.

LELEE

Leo Lee

14.1.2024, 12:59:14

Hallo Natze, wie Timurso zutreffend anmerkt, gibt es bei § 241 keinen Erfolg wie bei § 240. D.h., dass es für die Vollendung ausreicht, wenn das Opfer die Drohung zur Kenntnis genommen und auch verstanden hat. Deshalb wird die Drohung auch als sog. abstraktes Gefährdungsdelikt beschriebe, wo eine Tätigkeit – ohne Erfolg – ausreicht (was ähnliches kennst du wahrscheinlich von

§ 316 StGB

, wo auch das betrunkene Fahren an sich ausreicht, selbst wenn man nicht danach einen Unfall baut). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-StGB 4. Auflage, Sinn § 241 Rn. 4 und 21 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LELEE

Leo Lee

14.1.2024, 12:59:43

Hallo Natze und Timurso, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Fehler nun korrigiert :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LELEE

Leo Lee

14.1.2024, 12:59:58

Der erste Kommentar ist fehl am Platz :)

in persona

in persona

10.8.2024, 10:36:31

Hallo:) Leider habe ich den Unterschied zwischen einem Messer und einer Waffe beim Gewaltbegriff noch nicht verstanden.Könnte jemand den Unterschied aufzeigen? In der vorherigen Aufgabe ist der Gewaltbegriff beim Vorhalten eines Messers abgelehnt worden

FABS

fabsko

12.8.2024, 22:50:37

Ich habe es wie folgt verstanden: Im 1. Beispiel mit dem Vorhalten eines Messers wird der Gewaltbegriff abgelehnt, weil keine körperliche Kraftentfaltung aufgebracht wird. Im 2. Beispiel wird mit dem Vorhalten der Waffe zwar ebenfalls keine körperliche Kraftentfaltung aufgebracht, der BGH argumentiert indes aber mit der Todesangst des Opfers, die eine besondere emotionale Reaktion hervorruft und stuft deswegen das Verhalten trotzdem als Gewalt ein. Wie aber schon bei der einen Aufgabe beschrieben, wäre eine andere Ansicht bezüglich des Messers denkbar, da nicht jeder die Einzelrechtsprechung kennt.

AG

agi

19.10.2024, 00:33:02

Es fehlt beim Messer an der Erheblichkeitsschwelle die für den Zwang erforderlich ist! Zwar verursacht es eine gewisse Angst, wohl aber keine Todesangst, die aber bei einer gezogenen Waffe gegeben ist. Je nach Argumentation anders vertretbar


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