Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt bei Aufrechnung


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G und S haben fällige Zahlungsansprüche in Höhe von €10.000 gegen den jeweils anderen. G verklagt S auf Zahlung. S wartet das Urteil ab, das ihn zur Zahlung verurteilt, und erklärt gegenüber G die Aufrechnung mit seiner Forderung. G kündigt die Vollstreckung an.

Einordnung des Falls

Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt bei Aufrechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann zulässigerweise eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) erheben.

Genau, so ist das!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. S richtet sich gegen den in dem Urteil titulierten Zahlungsanspruch mit dem materiell-rechtlichen Einwand, der Anspruch des G gegen ihn sei durch seine Aufrechnung erloschen (§ 389 BGB). Die Vollstreckungsabwehrklage ist daher statthaft. G will vollstrecken; die Zwangsvollstreckung „droht“ also, sodass für S auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

2. Die Vollstreckungsabwehrklage ist begründet, wenn S die Einwendung tatsächlich zusteht und nicht präkludiert ist.

Ja, in der Tat!

Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet, wenn (1) die Sachbefugnis vorliegt, (2) dem Kläger eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zusteht und (3) diese nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist. S und G sind als Vollstreckungsschuldner bzw. -gläubiger sachbefugt. Die Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 387 BGB) liegen vor - die Forderungen sind fällig, gleichartig und gegenseitig. S hat die Aufrechnung gegenüber G erklärt (§ 388 BGB). Die Einwendung steht S also zu. Fraglich ist, ob sie präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist.

3. S ist mit seiner Einwendung präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO). Die Klage ist unbegründet.

Ja!

Einwendungen sind ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO), wenn die Tatsachen, auf denen sie beruhen, schon zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegeben waren. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei Gestaltungsrechten (Anfechtung, Aufrechnung, Rücktritt) darauf an, wann diese ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Schuldners entstanden sind, nicht wann der Schuldner sie ausgeübt hat oder ausüben konnte.Zum Schluss der mündlichen Verhandlung bestand bereits eine Aufrechnungslage. S ist mit seiner Einwendung präkludiert. Die Klage ist unbegründet.Jüngst hat der BGH entschieden, dass auch beim verbraucherschützenden Widerruf der Entstehungszeitpunkt maßgeblich sei (BGH,03.03.2020 – XI ZR 486/17).

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FL

Flohm

15.11.2023, 15:31:01

Wieso bestand zum Schluss der mündlichen Verhandlung die Aufrechnungslage? Die Aufrechnung wurde doch erst danach erklärt. Der „Grund“ aus Abs. 2 ist somit erst nach der mündlichen Verhandlung entstanden ? Vielleicht wollte S vorher noch gar nicht aufrechnen.

SE.

se.si.sc

15.11.2023, 22:18:37

Du schmeißt 2 Sachen durcheinander: 1. Aufrechnungslage, 2. Aufrechnungshandlung. Aufrechnungslage heißt nach § 387 BGB nur, dass sich zwei gleichartige Leistungen gegenüber stehen. Das ist unser "Grund" nach § 767 II ZPO (so jedenfalls die Rspr, aA gibts natürlich) und eben schon während der mündlichen Verhandlung der Fall. Die Aufrechnungshandlung, die -erklärung nach § 388 BGB, erfolgt erst nach der mündlichen Verhandlung. Die Rspr ist da knallhart und stellt eben allein auf den Zeitpunkt ab, in dem das Gestaltungsrecht hätte geltend gemacht werden können, nicht auf den, in dem es tatsächlich geltend gemacht wurde. Nach der Rspr ist das komplett ausdiskutiert. Gründe: Wortlaut des § 767 II ZPO ("hätte geltend gemacht werden können" und eben nicht "geltend gemacht wurden"), Rechtssicherheit, Schutz rechtskräftiger Titel.


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