Gutgläubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts beim Eigentumsvorbehalt


mittel

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E bringt ihr E-Bike zu V, damit er es über den Winter verwahrt. Am 01.02. verkauft V das Fahrrad an die gutgläubige K unter Eigentumsvorbehalt. K zahlt am 01.02. die erste Rate und nimmt das Fahrrad sofort mit. Am 01.04. erzählt E der K von dem Vorfall. K bezahlt am 15.04. die letzte Rate.

Einordnung des Falls

Gutgläubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts beim Eigentumsvorbehalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat K am 01.02. ein Anwartschaft nach § 929 S. 1 BGB analog an dem Fahrrad erworben?

Nein!

Ein Anwartschaftsrecht erwirbt, wer bei einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechtsgeschäfts schon so viele Erfordernisse für den Erwerb erfüllt, dass der andere Teil die Entstehung des Rechts nicht mehr einseitig verhindern kann.. Das Anwartschaftsrecht wird als „wesensgleiches Minus“ zum Eigentum grundsätzlich analog § 929 S. 1 BGB erworben. Dies setzt insbesondere die Verfügungsberechtigung des Veräußernden voraus.Zwar haben V und K die Veräußerung des Fahrrads unter Eigentumsvorbehalt vereinbart, was grundsätzlich ein Anwartschaftsrecht der K begründen könnte. Hier war V aber nicht verfügungsberechtigt, weshalb ein Erwerb des Anwartschaftsrechts analog § 929 S. 1 BGB ausscheidet.

2. K hat am 01.02. gutgläubig ein Anwartschaftsrecht an dem Fahrrad erworben.

Genau, so ist das!

Das Anwartschaftsrecht kann als wesensgleiches Minus nach ganz h.M. auch gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben werden. Dies setzt die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts, die Übergabe, Einigsein und Gutgläubigkeit nach § 932 BGB analog voraus.V und K haben sich über den Eigentumsvorbehalt geeinigt und V hat der K die Kaufsache auch übergeben. K hat geglaubt, das Fahrrad gehöre V und es gab für sie auch keine Anhaltspunkte hieran zu zweifeln. Sie war daher gutgläubig bezüglich des Bestehens des Anwartschaftsrechts in der Person des V (§ 932 Abs. 2 BGB analog). Das Fahrrad ist der E auch nicht abhandengekommen (§ 935 BGB).

3. Erwirbt K am 15.04. Eigentum an dem Fahrrad, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gutgläubig ist?

Ja, in der Tat!

Die ganz überwiegende Meinung geht davon aus, dass es für den Zeitpunkt der Gutgläubigkeit auf den Zeitpunkt der Übergabe und den der Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts ankommt. Ab diesem Zeitpunkt hat der Erwerber eine geschützte Rechtsposition inne und ist daher schutzwürdig. Hierfür spricht außerdem, dass auch §§ 933, 934 BGB für die Gutgläubigkeit maßgeblich auf den Zeitpunkt der Übergabe abstellen.Mit Erfüllung der Bedingung erstarkt das Anwartschaftsrecht der K daher zum Volleigentum. Ihre zwischenzeitlich eingetretene Bösgläubigkeit schadet nicht.

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LIA2

lia222

10.8.2023, 17:51:39

ich lese überall, dass der Ersterwerb des AR über §§ 929 ff. läuft und erst der Zweiterwerb, dh. die Übertragung des AR nach bereits erstmaliger Begründung, über §§ 929 ff. analog. Wieso wird das hier anders gemacht?

Dogu

Dogu

25.11.2023, 13:32:37

Wie soll denn hier 929 direkt angewendet werden? Es wird ja gerade kein Eigentum übertragen. Der Wortlaut ist eindeutig.

CR7

CR7

12.1.2024, 16:59:58

Ich würde hier Dogu zustimmen. Es wird sich gerade nicht über die Übertragung des Eigentums geeinigt.

ajboby90

ajboby90

1.12.2023, 23:12:31

In der Subsumtion der vorletzten Frage wird geschrieben, dass K guten Glauben in die Verfügungsbefugnis hat. Dabei schütztder gute Glaube nur das Vertrauen auf die Eigentümerstellung.

LELEE

Leo Lee

2.12.2023, 15:02:30

Hallo ajboby90, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat wird auch beim gutgläubigen Zweiterwerb nicht unmittelbar der gute Glaube in die Verfügungsbefugnis geschützt. Beachte allerdings, dass ebenso wenig das Vertrauen in die Eigentümerstellung geschützt wird, weil hier sich der Übertragende als "Nichteigentümer outet". D.h., geschützt wird nur das Vertrauen in die Berechtigung des V zur Übertragung des Anwartschaftsrechts (was hier entsprechend ergänzt haben). Hierzu kann ich dir i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. aufläge, Oechsler § 932 Rn. 20 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

AN

Ani

24.6.2024, 10:01:34

In § 932 Abs. 1 S. 1 steht „es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das EIGENTUM erwerben würde (…)“… kann man die Normen tatsächlich über den Wortlaut hinaus analog anwenden? Ich verstehe das Schutzbedürfnis des gutgläubigen Erwerbers, allerdings finde ich die Situation nicht mit derjenigen vergleichbar, in der der Erwerber auch tatsächlich direkt das volle Eigentum erwirbt.

LO

Lorenz

26.6.2024, 17:20:31

Wieso? Der Käufer steht im Grunde genau so da. Er erhält die Ware und gibt Geld ab. Und eine Wertgrenze kennt der gutgläubige Erwerb nicht. Also reicht auch eine Anzahlung von 5€.

AN

Ani

27.6.2024, 09:54:33

Danke @[Lorenz](37298), ich war verwirrt, weil die Norm ja gerade analog angewandt wird und hier ja im Zeitpunkt der Gutgläubigkeit gerade kein Volleigentum erworben wird. Ergibt aber Sinn, was Du schreibst :)


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