Zivilrecht

Sachenrecht

Sicherungsrechte an beweglichen Sachen

Gutgläubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts beim Eigentumsvorbehalt

Gutgläubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts beim Eigentumsvorbehalt

7. April 2025

17 Kommentare

4,6(8.185 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E bringt ihr E-Bike zu V, damit er es über den Winter verwahrt. Am 01.02. verkauft V das Fahrrad an die gutgläubige K unter Eigentumsvorbehalt. K zahlt am 01.02. die erste Rate und nimmt das Fahrrad sofort mit. Am 01.04. erzählt E der K von dem Vorfall. K bezahlt am 15.04. die letzte Rate.

Diesen Fall lösen 63,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Gutgläubiger Erwerb des Anwartschaftsrechts beim Eigentumsvorbehalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat K am 01.02. eine Anwartschaft analog § 929 S. 1 BGB analog an dem Fahrrad erworben?

Nein!

Ein Anwartschaftsrecht erwirbt, wer bei einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechtsgeschäfts schon so viele Erfordernisse für den Erwerb erfüllt, dass der andere Teil die Entstehung des Rechts nicht mehr einseitig verhindern kann.. Das Anwartschaftsrecht wird als „wesensgleiches Minus“ zum Eigentum grundsätzlich analog § 929 S. 1 BGB erworben. Dies setzt insbesondere die Verfügungsberechtigung des Veräußernden voraus.Zwar haben V und K die Veräußerung des Fahrrads unter Eigentumsvorbehalt vereinbart, was grundsätzlich ein Anwartschaftsrecht der K begründen könnte. Hier war V aber nicht verfügungsberechtigt, weshalb ein Erwerb des Anwartschaftsrechts analog § 929 S. 1 BGB ausscheidet.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. K hat am 01.02. gutgläubig ein Anwartschaftsrecht an dem Fahrrad erworben.

Genau, so ist das!

Das Anwartschaftsrecht kann als wesensgleiches Minus nach ganz h.M. auch gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben werden. Dies setzt die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts, die Übergabe, Einigsein und Gutgläubigkeit nach § 932 BGB analog voraus.V und K haben sich über den Eigentumsvorbehalt geeinigt und V hat der K die Kaufsache auch übergeben. K hat geglaubt, das Fahrrad gehöre V und es gab für sie auch keine Gründe, hieran zu zweifeln. Sie war daher gutgläubig bezüglich des Bestehens des Anwartschaftsrechts in der Person des V (§ 932 Abs. 2 BGB analog). Das Fahrrad ist der E bzw. V auch nicht abhandengekommen (§ 935 Abs. 1 S. 1, 2 BGB).

3. Erwirbt K am 15.04. Eigentum an dem Fahrrad, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gutgläubig ist?

Ja, in der Tat!

Die ganz h.M. geht davon aus, dass es für den Zeitpunkt der Gutgläubigkeit auf den Zeitpunkt der Übergabe und den der Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts ankommt. Ab diesem Zeitpunkt hat der Erwerber eine geschützte Rechtsposition inne und ist daher schutzwürdig. Hierfür spricht außerdem, dass auch §§ 933, 934 BGB für die Gutgläubigkeit maßgeblich auf den Zeitpunkt der Übergabe abstellen.Mit Erfüllung der Bedingung erstarkt das Anwartschaftsrecht der K daher zum Volleigentum. Ihre zwischenzeitlich eingetretene Bösgläubigkeit schadet nicht.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LIA2

lia222

10.8.2023, 17:51:39

ich lese überall, dass der Ersterwerb des AR über §§ 929 ff. läuft und erst der

Zweiterwerb

, dh. die Übertragung des AR nach bereits erstmaliger Begründung, über §§ 929 ff. analog. Wieso wird das hier anders gemacht?

Dogu

Dogu

25.11.2023, 13:32:37

Wie soll denn hier 929 direkt angewendet werden? Es wird ja gerade kein Eigentum übertragen. Der Wortlaut ist eindeutig.

CR7

CR7

12.1.2024, 16:59:58

Ich würde hier Dogu zustimmen. Es wird sich gerade nicht über die Übertragung des Eigentums geeinigt.

HAN

hannabuma

10.1.2025, 20:13:32

Korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege, aber ich stelle mir hier dieselbe Frage wie @[lia222](101694). Sowohl der reguläre als auch der gutgläubige Ersterwerb (also die Entstehung) des

Anwartschaftsrecht

s richten sich nach direkter Anwendung der §§ 929ff. BGB. Die Entstehung eines AWR ist zwar, wie @[Dogu](137074) feststellt, noch kein vollendeter Eigentumserwerb, jedoch handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Erwerb des Eigentums gem. §§ 929 S. 1, 158 I BGB (direkte Anwendung). Erst der

Zweiterwerb

eines AWR, also die Übertragung eines bereits entstandenen AWR von einer Person auf eine andere, richtet sich nach analoger Anwendung der §§ 929ff. BGB. Erst dann handelt es sich nicht um des Erwerb von Eigentum, sondern um den Erwerb eines AWR als

wesensgleiches Minus

des Eigentums. Dies begründet das Erfordernis einer analogen Anwendung. (siehe auch: https://www.juracademy.de/sachenrecht2/erwerb-

anwartschaftsrecht

s-beweglichen-sachen.html) Ich stelle mir auch die Frage, warum bei Frage 1 & 2 die Normen analog angewendet werden, obwohl es um den (gutgläubigen) Ersterwerb des AWR geht. @[Linne_Karlotta_](243622) du hattest in einer vorherigen Aufgabe im Forum die Unterscheidung zwischen direkter und analoger Anwendung bestätigt, vielleicht kannst du uns hier weiterhelfen?

BEN

benjaminmeister

26.2.2025, 15:04:02

@[hannabuma](171851) ich stimme dir mit deinen Ausführungen zu. Die Aufgabe ist offensichtlich (an mehreren Stellen) falsch. Insbesondere die Sätze "K hat geglaubt, das Fahrrad gehöre V und es gab für sie auch keine Anhaltspunkte hieran zu zweifeln. Sie war daher gutgläubig bezüglich des Bestehens des

Anwartschaftsrecht

s in der Person des V (§ 932 Abs. 2 BGB analog)." ergeben keinen Sinn. K war entweder gutgläubig hinsichtlich des Eigentums des V oder (nur) hinsichtlich eines

Anwartschaftsrecht

s. V hat K nie erzählt, dass ihm ein

Anwartschaftsrecht

zustehe. MMn. sind hier auch alle Vorschriften direkt anzuwenden. Nur bei der Übertragung eines

Anwartschaftsrecht

s ist die Analogie heranzuziehen.

BEN

benjaminmeister

26.2.2025, 15:07:50

@[Sebastian Schmitt](263562)

IT

Itsajourney

12.3.2025, 07:35:54

Bin auch verunsichert hinsichtlich des analogen Erwerbs.

OKA

okalinkk

14.3.2025, 21:45:50

@[hannabuma](171851) so sehe ich das auch. Es ist eine direkte Anwendung, da es um den Ersterwerb des

Anwartschaftsrecht

s geht

ajboby90

ajboby90

1.12.2023, 23:12:31

In der Subsumtion der vorletzten Frage wird geschrieben, dass K guten Glauben in die

Verfügungsbefugnis

hat. Dabei schütztder gute Glaube nur das Vertrauen auf die Eigentümerstellung.

LELEE

Leo Lee

2.12.2023, 15:02:30

Hallo ajboby90, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat wird auch beim gutgläubigen

Zweiterwerb

nicht unmittelbar der gute Glaube in die

Verfügungsbefugnis

geschützt. Beachte allerdings, dass ebenso wenig das Vertrauen in die Eigentümerstellung geschützt wird, weil hier sich der Übertragende als "Nichteigentümer outet". D.h., geschützt wird nur das Vertrauen in die Berechtigung des V zur Übertragung des

Anwartschaftsrecht

s (was hier entsprechend ergänzt haben). Hierzu kann ich dir i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. aufläge, Oechsler § 932 Rn. 20 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

AN

Ani

24.6.2024, 10:01:34

In § 932 Abs. 1 S. 1 steht „es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das EIGENTUM erwerben würde (…)“… kann man die Normen tatsächlich über den Wortlaut hinaus analog anwenden? Ich verstehe das Schutzbedürfnis des gutgläubigen Erwerbers, allerdings finde ich die Situation nicht mit derjenigen vergleichbar, in der der Erwerber auch tatsächlich direkt das volle Eigentum erwirbt.

LO

Lorenz

26.6.2024, 17:20:31

Wieso? Der Käufer steht im Grunde genau so da. Er erhält die Ware und gibt

Geld

ab. Und eine Wertgrenze kennt der gutgläubige Erwerb nicht. Also reicht auch eine Anzahlung von 5€.

AN

Ani

27.6.2024, 09:54:33

Danke @[Lorenz](37298), ich war verwirrt, weil die Norm ja gerade analog angewandt wird und hier ja im Zeitpunkt der Gutgläubigkeit gerade kein Volleigentum erworben wird. Ergibt aber Sinn, was Du schreibst :)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen