Öffentliches Recht

Polizei- und Ordnungsrecht

Grundlagen

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Exekutive erlässt dieses Mal eine Leinenzwang-Verordnung für alle Hunde ungeachtet ihrer Gefährlichkeit. H, der einen kleinen Pudel hält und gegen die Verordnung verstößt, wird durch die Polizei sofort des Ortes verwiesen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Verweisung von dem Ort ist auf die Ermächtigung zum Erlass von Polizeiverordnungen zu stützen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Platzverweis wurde zwar zur Durchsetzung der in der Verordnung begründeten abstrakten Ge- und Verbote ausgesprochen, dieses Handeln ist jedoch von den Ermächtigungen zum Erlass von Polizeiverordnungen (z.B. § 55 Abs. 1 NPOG, § 27 Abs. 1 OBG Thür, § 17 Abs. 1 PolG BW) nicht umfasst. Die Polizeigesetze enthalten für einen Platzverweis spezielle Ermächtigungsgrundlagen (z.B. § 30 Abs. 1 PolG BW, Art. 16 Abs. 1 bayPAG, § 18 Abs. 1 thürPAG). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sperrt eine solche spezielle Ermächtigungsgrundlage den Rückgriff auf die jeweilige Generalklausel. Die auf die besonderen Ermächtigungsgrundlagen der Polizeigesetze gestützten Maßnahmen werden als polizeiliche Standardmaßnahmen bezeichnet.
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2. Der Platzverweis ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG.

Ja!

Ein Verwaltungsakt liegt vor, wenn der Platzverweis die Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt. Insbesondere müsste ihm Regelungscharakter zukommen. Dies ist der Fall, wenn der Platzverweis seinem objektiven Gehalt nach darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Mit dem Platzverweis wird dem H verbindlich der Aufenthalt in dem Park verboten. Es handelt sich folglich um eine Regelung und da auch die weiteren Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind um einen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung mittels der Anfechtungsklage begehrt werden kann.

3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt nur für polizeiliche Einzelfallmaßnahmen. Die Leinenzwang-Verordnung muss sich folglich nicht daran messen lassen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ungeachtet der einfachrechtlichen Positivierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in den Polizeigesetzen (z.B. Art. 4 bayPAG, § 4 HSOG, § 2 SPolG), ist er bereits dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmen. Er gilt für das gesamte staatliche Handeln.Auch die Leinenzwang-Verordnung muss sich folglich an ihm messen. In unserem Fall wird nicht zwischen verschiedenen Hundearten differenziert, sodass der (auch abstrakt) ungefährliche Pudel ebenso erfasst ist, wie große und abstrakt gefährliche Hunde. Die Verordnung verstößt somit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist daher rechtswidrig. Zugleich kann man hierin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sehen.

4. Die Rechtswidrigkeit der Verordnung hätte H vor der Platzverweisung feststellen lassen müssen. Auch wenn sie rechtswidrig ist, hilft ihm das nun nicht mehr. Das Recht ist für die Wachen da!

Nein, das trifft nicht zu!

Dies wäre richtig, wenn die Verordnung trotz Rechtswidrigkeit - wie bei Verwaltungsakten - wirksam bliebe. Diese Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Wirksamkeit ist jedoch gerade ein (verwaltungsaktspezifischer) Ausnahmefall. Sie ergibt sich aus § 43 Abs. 2 und 3 VwVfG. Für Gesetze gilt jedoch grundsätzlich das Nichtigkeitsdogma. Es besagt, dass eine gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsnorm die ipso-iure-Nichtigkeit, also Nichtigkeit kraft Gesetzes, zur Folge hat. Diese Wirkung tritt ex tunc ein. Die ex tunc eintretende Nichtigkeit führt dazu, dass H nicht die öffentliche Sicherheit stört. Der Verwaltungsakt ist damit rechtswidrig und verletzt H in seinen Rechten. Das Nichtigkeitsdogma ist mittlerweile weit eingeschränkt. Im Baurecht etwa führt § 214 BauGB dazu, dass rechtswidrige Bebauungspläne nicht per se nichtig sind.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

20.1.2023, 11:21:06

Das hieße, falls ich in der materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme bin, habe ich vorher als EGL zwar die jeweils einschlägige Norm geprüft, mache aber nochmal ein Extrakapitel auf a la die Maßnahme wäre auch rechtswidrig, wenn die in diesem Fall für die öff. Sicherheit rahmengebenden VO aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit nichtig wäre?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.1.2023, 16:16:35

Hallo Imponderabilie, danke für deine Frage. Genau - die Verordnung und ihre Rechtmäßigkeit prüft man im Rahmen des Punktes "

Öffentliche Sicherheit

". Denn dazu gehört auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung und damit die Verordnung. Diese ist aber keine ausreichende

Ermächtigungsgrundlage

, da nur von der Exekutive erlassen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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