Zivilrecht

Deliktsrecht

§§ 830, 840 BGB

Kneipenschlägerei (Haftung Beteiligter)

Kneipenschlägerei (Haftung Beteiligter)

13. Juli 2025

11 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A geht in eine Kneipe. Kurz darauf bricht unvermittelt eine chaotische Kneipenschlägerei aus, in deren Verlauf B und C unabhängig voneinander der A mehrmals ins Gesicht schlagen. Am Ende der Schlägerei stellt A fest, dass ihre Nase gebrochen ist.

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Einordnung des Falls

Kneipenschlägerei (Haftung Beteiligter)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat eine Rechtsgutsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Das Rechtsgut Körper umfasst (1) den Körper und (2) die Gesundheit. Körperverletzung bedeutet Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder Befindlichkeit. Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Durch den Bruch der Nase wurde A sowohl in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigt als auch ihre inneren Lebensvorgänge gestört.
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2. B und C haben jeweils eine kausale Verletzungshandlung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Würde man jeweils einzeln das Verhalten von B und C hinwegdenken, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Rechtsgutsverletzung trotzdem (durch den Schlag der anderen) eingetreten wäre. Die Beweislast liegt hier bei der Geschädigten. Sie kann nicht beweisen, welcher Schlag kausal für die Rechtsgutsverletzung war. Damit kann den Handlungen von B und C einzeln keine Kausalität nachgewiesen werden.

3. B und C haften als Mittäter (§§ 830 Abs. 1 S. 1, 840 BGB).

Nein!

Um die Art der Beteiligung zu bewerten, ist der Rückgriff auf die strafrechtlichen Grundsätze möglich. Die Teilnahme verlangt demgemäß neben der Kenntnis der Tatumstände (Vorsatz) den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat gemeinschaftlich mit anderen auszuführen oder sie als fremde Tat zu fördern (gemeinsamer Tatplan). Objektiv muss eine Beteiligung an der Ausführung der Tat hinzukommen, die deren Begehung fördert und für diese relevant ist (gemeinsame Tatausführung). B und C haben zwar beide am Tatgeschehen mitgewirkt, waren jedoch nur spontane Teilnehmer und damit nicht durch einen gemeinsamen Tatplan verbunden.

4. B und C haften als Beteiligte (§§ 830 Abs. 1 S. 2, 840 BGB).

Genau, so ist das!

Für die gemeinschaftliche Haftung als Beteiligte ist es erforderlich, dass (1) jeweils eine unerlaubte Handlung jedes Beteiligten (ohne Kausalität) vorliegt, (2) Gewissheit über die Schadensverursachung durch einen der Beteiligten herrscht, dennoch aber (3) Anteilszweifel bestehen, und (4) ein Schaden beim Betroffenen entstanden ist. Hier haben sowohl B als auch C auf A eingeschlagen und damit eine unerlaubte Handlung begangen, die isoliert betrachtet zur Rechtsgutsverletzung geeignet wäre. Ebenfalls besteht Gewissheit, dass einer der Schläge den Nasenbruch verursacht hat. Unklar ist jedoch, welcher Schlag es war.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

11.9.2023, 19:27:19

Folglich würde

Nebentäterschaft

als "Beteiligungsform" ausreichen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.9.2023, 18:17:25

Hallo evanici, grundsätzlich ja, allerdings bedarf es hier eben des qualifizierenden Elements der "Beteiligung". Der Begriff der Beteiligung ist hierbei anders zu verstehen, als im Strafrecht. Der BGH verlangt hier im Minimum eine Haftungsgemeinschaft auf Grund der gemeinsamen Gefährdung,

Mittäterschaft

, Anstiftung, Beihilfe sind also für einen Anspruch aus § 830 Abs. 1 S. 2 BGB gerade nicht notwendig. Mehr dazu findest Du auch hier: Jauernig/Kern, 19. Aufl. 2023, BGB § 830 Rn. 10 Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ISA

isa_hh

16.10.2023, 15:45:28

Wie kann denn Gewissheit über die Schadensverursachung durch einen der Beteiligten vorherrschen, wenn bei beiden unerlaubten Handlungen keine Kausalität nachgewiesen werden kann?

ISA

isa_hh

16.10.2023, 15:58:53

Ich kann es mir durch einen nachfolgenden Fall hoffentlich bereits selbst erklären. Es ist zu unterscheiden zwischen Urheberzweifeln und Anteilszweifeln, heißt hinsichtlich der Urheberzweifel, dass klar ist, dass es einer der Beteiligten war, nur nicht wer und dies auch nicht durch Kausalität geklärt werden kann - aber es kann niemand anderes gewesen sein. Wie hier im Fall kann es niemand außer B und C gewesen sein.

FTE

Findet Nemo Tenetur

16.3.2025, 23:06:42

@[](179671)Ich denke die Situation ist die gleiche wie die der alternativen Kausalität im Strafrecht: Die Beiträge können alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden, sodass die csqn-Formel dahingehend modifiziert wird, dass beide jeweils als kausal betrachtet werden. Hoffe das kann jemand so bestätigen/korrigieren wenn falsch.

Sassun

Sassun

25.12.2024, 16:08:44

Inwiefern wären hier die Grundsätze der alternativen Kausalität darzustellen? Mich verwirrt die § 830 Konstellation noch immer etwas

BEN

benjaminmeister

20.1.2025, 18:15:08

Ich bin mir selbst nicht ganz sicher, aber ich würde es so sehen: Für Fälle der alternativen Kausalität (=

Doppelkausalität

) wird die Äquivalenzformel folgendermaßen modifiziert: "Wenn mehrere Bedingungen zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, soll jede von ihnen als ursächlich anzusehen sein.". Eine Handlung ist danach also dann kausal wenn: 1. Der Erfolg entfällt NICHT wenn man nur eine Handlung wegdenkt. 2. Der Erfolg entfällt wenn man beide Handlungen wegdenkt. Voraussetzung 2 dürfte erfüllt sein: Denkt man Bs und Cs Handlung weg, entfällt der Erfolg. Aber bzgl. Voraussetzung 1: Denkt man Bs Handlung weg, steht nicht fest, dass der Erfolg gerade NICHT entfällt. Der Erfolg könnte nämlich entfallen, wenn es tatsächlich Bs Handlung ist, die ursächlich war. Das steht aber eben nicht fest. Deshalb hilft die Modifikation der Äquivalenzformel nicht weiter und es bedarf § 830 I S. 2.

OKA

okalinkk

5.4.2025, 10:58:42

?

Dogu

Dogu

26.5.2025, 11:06:18

Ja, das stimmt. Wenn aber im weiteren Verlauf der SE für den Nasenverletzung geprüft wird, muss der geltend gemachte Schaden auch auf die durch den Schädiger konkret kausal verursachte Rechtsgutverletzung zurückzuführen sein (wenn kein Fall des

830 BGB

vorliegt). Die Rechtsgutverletzung ist das Nadelöhr bei

823 BGB

. Für die KV an einem anderen Körperteil durch einen anderen Schädiger ist der andere Schädiger ja grds. erstmal nicht verantwortlich, wenn nicht andere Umstände hinzutreten sollten.

OKA

okalinkk

5.4.2025, 10:59:30

?

HO

Honeybee

15.6.2025, 18:01:52

Hi, Habe ich es richtig verstanden, dass im strafrechtlichen Kontext die Täter gar nicht verurteilt werden dürften, wenn nicht festgestellt werden kann, ob sie für die (schwere) Körperverletzung verantwortlich sind (

in dubio pro reo

). Ich meine bei der alternativen Kausalität muss jede Handlung für sich allein schon kausal sein, während bei der kumulativen Kausalität die Handlung nicht hinweggedacht werden darf, ohne, dass der Erfolg entfiele. Im deliktsrecht ist es aber so, dass jeder für den Schaden verantwortlich ist, wenn bei einer gemeinsamen Tat nicht festgestellt werden kann, wer tatsächlich die entscheidende Handlung begangen hat? Würde man sich hier die Handlung des einen Täters wegdenken, so kann man ja gar nicht sagen, ob der Erfolg entfiele. Vielen Dank Hanna


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