Unrichtiges Gutachten

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das Startup FinFox AG (F) ist drohend zahlungsunfähig. Wirtschaftsprüferin W ist mit dem Vorstand der F befreundet und erstellt im Einvernehmen mit diesem wahrheitswidrig ein positives Gutachten über die wirtschaftliche Situation der F zur Vorlage bei der B-Bank. Auf Basis des Gutachtens gewährt die B der F ein Darlehen über €1 Mio. Einen Monat später muss F Insolvenzantrag stellen; B erhält nur €10.000 zurück.

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Einordnung des Falls

Unrichtiges Gutachten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat gegen W vertragliche Schadensersatzansprüche.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Anspruch aus §§ 631, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. mit einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt einen Werkvertrag voraus. Der Anspruch scheitert schon daran, dass der Werkvertrag nichtig ist, weil er darauf gerichtet ist, die wirtschaftliche Lage der F falsch darzustellen (§ 138 Abs. 1 BGB). Auch ein eigenständiger Auskunftsvertrag zwischen W und B ist nicht zustande gekommen (§ 311 Abs. 1 BGB).
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2. B hat gegen W einen Anspruch aus § 826 BGB, wenn sie von W vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde.

Ja!

Der Anspruch aus § 826 BGB setzt voraus (1) die Verursachung eines Schadens durch (2) sittenwidriges Verhalten. Zudem muss der Schädiger (3) vorsätzlich gehandelt haben.

3. § 826 BGB erfasst nur Schäden, die an absolut geschützten Rechten und Rechtsgütern entstanden sind.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Haftung nach § 826 BGB setzt zunächst die Verursachung eines Schadens voraus. Schaden ist in einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst auch reine Vermögenseinbußen. Anders als bei § 823 BGB ist also keine Rechtsgutsverletzung (Abs. 1) oder Schutzgesetzverletzung (Abs. 2) erforderlich. Ob der Schädiger den Schaden kausal verursacht hat, beurteilt sich nach den allgemeinen Kausalitäts- und Zurechnungsgrundsätzen.

4. W hat durch ihr Verhalten bei B einen Schaden verursacht.

Ja, in der Tat!

W hat ein falsches Gutachten erstellt (schädigendes Verhalten). Ohne dieses Gutachten hätte B der F keinen Kredit ausgezahlt (Kausalität) und keinen Verlust in Höhe von €990.000 erlitten (Schaden).

5. Der Gegenstand der Sittenwidrigkeit bei § 826 BGB ist derselbe wie bei § 138 Abs. 1 BGB.

Nein!

Im Rahmen von § 826 BGB muss die Schadenszufügung gegen die guten Sitten verstoßen. Sittenwidrig ist dabei ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Maßgeblich für das Unwerturteil sind die Anschauungen der in Betracht kommenden Kreise, wobei ein Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen ist. Im Unterschied zu § 826 BGB (Sittenwidrigkeit des Verhaltens) regelt § 138 Abs. 1 BGB die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts.

6. Das Verhalten der W war sittenwidrig.

Genau, so ist das!

W erstellte bewusst ein falsches Gutachten, damit Dritte über die wirtschaftliche Situation der F getäuscht werden. Wegen des falschen Gutachtens droht Kreditgebern, die auf das Gutachten vertrauen, ein Schaden. Da W als Wirtschaftsprüferin auch zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist und ein besonderes Vertrauen genießt, verstößt ein solches Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist daher sittenwidrig.

7. W handelte vorsätzlich.

Ja, in der Tat!

Die sittenwidrige Schädigung muss vorsätzlich erfolgt sein. Dafür ist bedingter Vorsatz ausreichend, der auch bereits bei Angaben ins Blaue hinein vorliegen kann. Der Vorsatz bezieht sich auf (1) den Schaden und (2) die Sittenwidrigkeit. In Bezug auf die Sittenwidrigkeit muss der Schädiger aber nur die Tatsachen kennen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Dagegen braucht er sein Verhalten nicht selbst als sittenwidrig erkannt zu haben. Diese Einschränkung soll verhindern, dass dem Täter seine eigenen laxen Anschauungen zugutekommen. W erstellte wahrheitswidrig ein positives Gutachten.

8. B kann von W aus § 826 BGB Ersatz der €990.000 verlangen.

Ja!

W hat der B vorsätzlich und sittenwidrig einen Schaden in Höhe von €990.000 zugefügt, den die B ersetzt verlangen kann (§§ 249ff. BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

19.1.2021, 13:46:02

Zu Frage 1: weshalb ist ein

vorvertragliches Schuldverhältnis

iSd §311 Abs. 3 BGB nicht einschlägig?

t o m m y

t o m m y

19.1.2021, 14:18:14

das ist möglich, aber im einzelnen super kompliziert... wohl hM (alles super streitig und ungeklärt! eher was fuer den schwerpunkt): idR wohl keine haftung aus

311 III

, da dritter kein besonderes persoenliches vertrauen in den (ihm idR persönlich unbekannten) WP hat, sondern nur abstraktes vertrauen in dessen kompetenz. anders etwa, wenn WP unter hinweis auf seine person (ich bin der beste WP der welt) 'garantiert'. die bgb-kommentierungen sind hier aber eher mau, wenn man das nachlesen moechte, dann lieber bei 3

23 hgb

.

frausummer

frausummer

19.1.2021, 14:33:12

Mh ok, so strittig hatte ich das gar nicht wahrgenommen, sondern einfach als

Sachwalterhaftung

kennengelernt. Klar hat W nicht persönlich bei der Bank vorgesprochen und seine Person vermarktet, aber das würde ja auch nicht dem Sinn und Zweck der Haftung in diesem Falle entsprechen mE. Bei der

Sachwalterhaftung

geht es doch genau darum, dass dieser, in diesem Bereich besonders kompetenten Person, großes Vertrauen entgegengebracht wird.

t o m m y

t o m m y

19.1.2021, 14:42:32

ja, das ist ein kompliziertes thema... wenn man alleine die unterschrift unter einem gutachten durch einen berufsträger für 'besonderes persönliches vertrauen' gegenüber dem rest der welt ausreichen lässt, dann führte das zu einem so immensen haftungsrisiko, dass man das kaum noch bezahlbar versichern könnte. der berufsträger wüsste ja vorher auch gar nicht, wer alles das gutachten sieht und wem gegenüber er dann potenziell bis in die milliarden haftet. im endeffekt:

311 III

wird von der hM nur super restriktiv angenommen (in examensprobeklauauren von studenten hingegen super extensiv); man sieht auch kaum jemals eine klausur, wo

311 III

zu bejahen ist (dann wird man aber auch wirklich drauf gestoßen). idR gehts dann eigentlich um nen VSD (aber auch dort gehts iE um versicherbarkeit)...

CR7

CR7

29.6.2024, 20:26:39

Ich würde mich freuen, wenn man hier Aufklärung schaffen könnte. Ich habe die erste Frage nämlich falsch beantwortet, weil ich gerade dachte, dass ein Auskunftsvertrag vorliegt. @[Lukas_Mengestu](136780) @[Leo Lee](213375) @[

Nora Mommsen

](178057)


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