Unrichtiges Gutachten
14. Juli 2025
12 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Das Startup FinFox AG (F) ist drohend zahlungsunfähig. Wirtschaftsprüferin W ist mit dem Vorstand der F befreundet und erstellt im Einvernehmen mit diesem wahrheitswidrig ein positives Gutachten über die wirtschaftliche Situation der F zur Vorlage bei der B-Bank. Auf Basis des Gutachtens gewährt die B der F ein Darlehen über €1 Mio. Einen Monat später muss F Insolvenzantrag stellen; B erhält nur €10.000 zurück.
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Einordnung des Falls
Unrichtiges Gutachten
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B hat gegen W vertragliche Schadensersatzansprüche.
Nein, das trifft nicht zu!
2. B hat gegen W einen Anspruch aus § 826 BGB, wenn sie von W vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde.
Ja!
3. § 826 BGB erfasst nur Schäden, die an absolut geschützten Rechten und Rechtsgütern entstanden sind.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. W hat durch ihr Verhalten bei B einen Schaden verursacht.
Ja, in der Tat!
5. Der Gegenstand der Sittenwidrigkeit bei § 826 BGB ist derselbe wie bei § 138 Abs. 1 BGB.
Nein!
6. Das Verhalten der W war sittenwidrig.
Genau, so ist das!
7. W handelte vorsätzlich.
Ja, in der Tat!
8. B kann von W aus § 826 BGB Ersatz der €990.000 verlangen.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer
19.1.2021, 13:46:02
Zu Frage 1: weshalb ist ein
vorvertragliches SchuldverhältnisiSd §311 Abs. 3 BGB nicht einschlägig?
t o m m y
19.1.2021, 14:18:14
das ist möglich, aber im einzelnen super kompliziert... wohl hM (alles super streitig und ungeklärt! eher was fuer den schwerpunkt): idR wohl keine haftung aus
311 III, da dritter kein besonderes persoenliches vertrauen in den (ihm idR persönlich unbekannten) WP hat, sondern nur abstraktes vertrauen in dessen kompetenz. anders etwa, wenn WP unter hinweis auf seine person (ich bin der beste WP der welt) 'garantiert'. die bgb-kommentierungen sind hier aber eher mau, wenn man das nachlesen moechte, dann lieber bei 323 hgb.

frausummer
19.1.2021, 14:33:12
Mh ok, so strittig hatte ich das gar nicht wahrgenommen, sondern einfach als
Sachwalterhaftungkennengelernt. Klar hat W nicht persönlich bei der Bank vorgesprochen und seine Person vermarktet, aber das würde ja auch nicht dem Sinn und Zweck der Haftung in diesem Falle entsprechen mE. Bei der
Sachwalterhaftunggeht es doch genau darum, dass dieser, in diesem Bereich besonders kompetenten Person, großes Vertrauen entgegengebracht wird.
t o m m y
19.1.2021, 14:42:32
ja, das ist ein kompliziertes thema... wenn man alleine die unterschrift unter einem gutachten durch einen berufsträger für 'besonderes persönliches vertrauen' gegenüber dem rest der welt ausreichen lässt, dann führte das zu einem so immensen haftungsrisiko, dass man das kaum noch bezahlbar versichern könnte. der berufsträger wüsste ja vorher auch gar nicht, wer alles das gutachten sieht und wem gegenüber er dann potenziell bis in die milliarden haftet. im endeffekt:
311 IIIwird von der hM nur super restriktiv angenommen (in examensprobeklauauren von studenten hingegen super extensiv); man sieht auch kaum jemals eine klausur, wo
311 IIIzu bejahen ist (dann wird man aber auch wirklich drauf gestoßen). idR gehts dann eigentlich um nen VSD (aber auch dort gehts iE um versicherbarkeit)...

CR7
29.6.2024, 20:26:39
Ich würde mich freuen, wenn man hier Aufklärung schaffen könnte. Ich habe die erste Frage nämlich falsch beantwortet, weil ich gerade dachte, dass ein Auskunftsvertrag vorliegt. @[Lukas_Mengestu](136780) @[Leo Lee](213375) @[Nora Mommsen](178057)
Paul Hendewerk
4.12.2024, 14:47:53
In der ersten Frage geht es um vertragliche Ansprüche, Ansprüche aus c.i.c. sind dagegen "quasi-vertraglicher" Natur. Ansonsten finde ich es sehr plausibel einen SE-Anspr. aus c.i.c. anzunehmen.
benjaminmeister
19.1.2025, 20:39:36
Ich habe nach kurzer Recherche zwar keine Aussagen dazu gefunden, aber hier den VSD abzulehnen, weil der Werkvertrag sittenwidrig ist, konterkariert ja komplett Sinn und Zweck von § 138 I. In dem Fall soll der Dritte ja durch die
Sittenwidrigkeitdes Werkvertrages geschützt werden, ihm dann aber mit dieser Argumentation Ansprüche aus VSD und damit die
Beweislastumkehr des § 280 I S. 2 zu nehmen, widerspricht dem. Zumindest den vorvertraglichen Anspruch um §
311 IIIkönnte man deswegen in der Lösung mal ansprechen, weil man auch darüber zur Anwendbarkeit des § 280 I S. 2 gelangen könnte.

'Jimmy' McGill
9.5.2025, 17:00:15
Aber beim VSD würde es doch jedenfalls an der
Gläubigernähebzw. am Einbeziehungsinteresse scheitern oder? Ich glaube nicht das die insolvente Firma ein Interesse am Schutz der Bank hat. Mit ihrem eigenen Verhalten hat sie ja eher das Gegenteil zum Ausdruck gebracht.

BGB OK
22.6.2025, 12:02:38
Man könnte das Einbeziehungsinteresse aber eventuell aus der faktisch geplanten Vorlage entnehmen, das Gutachten wird ja gerade angefertigt, um es einem Dritten vorzuzeigen. Dann würde das tatsächliches Einbeziehungsinteresse aus dem Vertragszweck der eher ideellen Annahme eines Einbeziehungsinteresse (im Sinne der Einbeziehung zugunsten des Dritten) vorgehen? Das könnte man an §
242 BGBanlehnen und ist mE vergleichbar mit venire contra factum proprium.

Josef K
3.7.2025, 13:36:12
Anders als hier beschrieben ist hinsichtlich der subjektiven Seite der
Sittenwidrigkeitdes Verhaltens kein Vorsatz erforderlich. Es genügt grob leichtfertiges, gewissenloses Verhalten. Denn sittenwidrig handelt nicht nur, wer die haftungsbegründenden Umstände positiv kennt, sondern auch, wer sich einer solchen Kenntnis bewusst verschließt. Hierfür genügt, dass starke Verdachtsmomente für die Umstände bestehen, der Handelnde aber eine sich bietende Möglichkeit der Aufklärung bewusst nicht wahrnimmt. Das ist auch nicht dasselbe wie die hier erwähnten Angaben „ins Blaue hinein“. Grüneberg, § 826 Rn. 9.