+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer (T) legen ihre Arbeit nieder, um gegen die seitens der Politik geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters zu demonstrieren. Sie lassen Arbeitgeber O wissen, dass sie erst wieder ihre Arbeit aufnehmen, wenn die Reform ausbleibt. O erleidet daraufhin schwere Umsatzeinbrüche.

Einordnung des Falls

Nötigung durch politischen Streik

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In der Ankündigung, die Arbeit bis auf Weiteres niederzulegen, liegt eine Drohung mit einem empfindlichen Übel (§ 240 Abs. 1 Var. 2 StGB).

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Ja, in der Tat!

Drohung ist das ausdrückliche oder konkludente Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Übel ist jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt. Empfindlich ist ein Übel, wenn es bei objektiver Beurteilung und der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen. Hier stellen die Arbeitnehmer (T) dem O die Übelszufügung in Aussicht, auf unbestimmte Zeit ihrer Arbeit nicht nachzugehen. Da dieses Verhalten mit unabsehbaren Umsatzeinbußen einhergeht, liegt auch ein empfindliches Übel vor.

2. Die Handlung seitens der Arbeitnehmer ist auch als verwerflich anzusehen (§ 240 Abs. 2 StGB).

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Ja!

Die Nötigung durch einen Streik ist grundsätzlich nicht als verwerflich anzusehen, wenn sie sich noch in den Grenzen des Arbeitskampfes bewegt, also sich zum Anlass des Arbeitskampfes nicht als unverhältnismäßig darstellt. Hier fehlt die Konnexität zwischen Nötigungsmittel und Nötigungszweck: Die Arbeitnehmer verfolgen mit dem Arbeitskampf sachfremde Ziele, die kein Gegenstand von tariflichen Regelungen sein können. In der Vergangenheit sind jedoch schon einige politisch motivierte Streiks seitens der Gerichte ungeahndet geblieben, z.B. der Streik von Arbeitnehmern der IG Metall aus 2007 gegen die geplante Erhöhung der Rente.

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JO

Jose

25.1.2022, 17:03:59

Die Frage, ob Personen mehrere Jahre länger arbeiten müssen, ist doch schon so relevant, dass man zumindest streiken dürfen sollte. Es wäre nun auch lebensfremd zu behaupten, dass diejenigen, für die das starke Auswirkungen hat (Bau- und Bandarbeiter, Pflege etc.), ja einfach in die Politik gehen können. Es wird hier im Allgemeinen die Wichtigkeit des Streikrechts verkannt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 13:32:47

Hallo Jose, das ist ein durchaus spannendes Feld, das du hier eröffnest. Anders als zB in Frankreich gelten in Deutschland Streiks lediglich dann als zulässig, wenn sie darauf gerichtet sind, einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Streikforderungen dürfen sich insoweit auch nur auf Punkte beziehen, die tariflich regelbar sind. Ein rein politischer Streik z.B. wegen Rentenkürzungen der Regierung ist deshalb in Deutschland rechtswidrig (Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 20.A. 2021, § 9 RdNr. 605). Als Alternative steht aber natürlcih das Versammlungsrecht und die Durchführung einer Demonstration zur Verfügung. Nur muss dies dann eben außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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