Nötigung durch politischen Streik

17. Februar 2025

9 Kommentare

4,8(3.074 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer (T) legen ihre Arbeit nieder, um gegen die seitens der Politik geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters zu demonstrieren. Sie lassen Arbeitgeber O wissen, dass sie erst wieder ihre Arbeit aufnehmen, wenn die Reform ausbleibt. O erleidet daraufhin schwere Umsatzeinbrüche.

Diesen Fall lösen 85,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Nötigung durch politischen Streik

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In der Ankündigung, die Arbeit bis auf Weiteres niederzulegen, liegt eine Drohung mit einem empfindlichen Übel (§ 240 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Drohung ist das ausdrückliche oder konkludente Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Übel ist jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt. Empfindlich ist ein Übel, wenn es bei objektiver Beurteilung und der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen. Hier stellen die Arbeitnehmer (T) dem O in Aussicht, auf unbestimmte Zeit ihrer Arbeit nicht nachzugehen. Da dieses Verhalten mit unabsehbaren Umsatzeinbußen einhergeht, liegt ein empfindliches Übel für den O vor.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Handlung seitens der Arbeitnehmer ist auch als verwerflich anzusehen (§ 240 Abs. 2 StGB).

Ja!

Die Nötigung durch einen Streik ist grundsätzlich nicht als verwerflich anzusehen, wenn sie sich noch in den Grenzen des Arbeitskampfes bewegt, also sich zum Anlass des Arbeitskampfes nicht als unverhältnismäßig darstellt. Hier fehlt die Konnexität zwischen Nötigungsmittel und Nötigungszweck: Die Arbeitnehmer verfolgen mit dem Arbeitskampf sachfremde Ziele, die kein Gegenstand von tariflichen Regelungen sein können. In der Vergangenheit sind jedoch schon einige politisch motivierte Streiks seitens der Gerichte ungeahndet geblieben, z.B. der Streik von Arbeitnehmern der IG Metall aus 2007 gegen die geplante Erhöhung der Rente.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

25.1.2022, 17:03:59

Die Frage, ob Personen mehrere Jahre länger arbeiten müssen, ist doch schon so relevant, dass man zumindest streiken dürfen sollte. Es wäre nun auch lebensfremd zu behaupten, dass diejenigen, für die das starke Auswirkungen hat (Bau- und Bandarbeiter, Pflege etc.), ja einfach in die Politik gehen können. Es wird hier im Allgemeinen die Wichtigkeit des Streikrechts verkannt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 13:32:47

Hallo Jose, das ist ein durchaus spannendes Feld, das du hier eröffnest. Anders als zB in Frankreich gelten in Deutschland Streiks lediglich dann als zulässig, wenn sie darauf gerichtet sind, einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Streikforderungen dürfen sich insoweit auch nur auf Punkte beziehen, die tariflich regelbar sind. Ein rein politischer Streik z.B. wegen Rentenkürzungen der Regierung ist deshalb in Deutschland

rechtswidrig

(Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 20.A. 2021, § 9 RdNr. 605). Als Alternative steht aber natürlcih das Versammlungsrecht und die Durchführung einer Demonstration zur Verfügung. Nur muss dies dann eben außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

TI

Tinki

29.11.2024, 11:03:00

@[Lukas_Mengestu](136780) dann ist doch schon das Mittel

verwerflich

, oder?

Juraganter

Juraganter

14.12.2024, 20:15:08

@[Tinki](200906) gemeint ist hier wohl, dass ein Streik per se erst einmal zwar eine Nötigung ist, an sich aber grundsätzlich nicht

verwerflich

ist. Er ist jedoch genau dann

verwerflich

, wenn die Gründe des Streiks nicht in Zusammenhang mit dem bestreikten Betrieb liegen. Der Betrieb selbst ist ja (im Regelfall) nicht für das verantwortlich, was politisch entschieden wird. Aber genau das ist ja, was in politischen Streiks passiert: Man nimmt (übertrieben und bildlich gesprochen) die Wirtschaft als Geisel um Druck auf die Politik auszuüben. Den Menschen stehen ja hierzulande aus gutem Grund auch andere Mittel zur Verfügung, namentlich die erwähnte

Versammlungsfreiheit

, um ihre Meinung und Missbilligung kund zu tun.

MAYAA

MayaA

12.9.2024, 15:21:29

Liebes Jurafuchs-Team, was wäre denn in diesem Fall der

Nötigungserfolg

? Würde man an diesem Punkt nicht schon bei der Prüfung des § 240 rausfliegen, da der

Nötigungserfolg

nicht bei reiner Duldung der Nötigungshandlung gegeben ist?

TI

Tinki

29.11.2024, 11:03:37

würde mich auch interessieren!

Vincent

Vincent

15.1.2025, 12:58:30

Im Vertiefungskasten ist wohl ein Fehler unterlaufen. Die Arbeiter werden wohl kaum gegen die Erhöhung der Rente gestreikt haben, sondern aufgrund der Erhöhung des Renteneintrittsalters.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen