Öffentliches Recht

Examensrelevante Rechtsprechung ÖR

Entscheidungen von 2021

Rechtsbehelfsbelehrung ohne Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung der Klage

Rechtsbehelfsbelehrung ohne Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung der Klage

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Assessorexamen

Der in der USA lebende K erhält am 08.01.2015 einen Zahlungsbescheid der Behörde B, mit der Rechtsbehelfsbelehrung „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift Klage beim Verwaltungsgericht G (inklusive Adresse) erhoben werden“. Ks Klage geht am 24.08.2015 bei Gericht ein.

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Einordnung des Falls

Rechtsbehelfsbelehrung ohne Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung der Klage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Klage des K könnte verfristet und damit unzulässig sein. Die Klagefrist richtet sich nach § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Ja!

Für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gilt eine Monatsfrist. Die Anfechtungsklage ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchbescheides zu erheben, § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ist ein Widerspruch nach § 68 VwGO nicht erforderlich, ist die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes, der angefochten werden soll, zu erheben, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO. Da der Fristbeginn an das Ereignis Zustellung oder Bekanntgabe anknüpft, handelt es sich um eine Ereignisfrist.
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2. Richtet sich die Berechnung der Klagefrist nach den Normen des Zivilrechts?

Genau, so ist das!

Die Berechnung der Klagefrist (§ 74 Abs. 1 S. 2 VwGO) richtet sich nach § 57 Abs. 1, 2 VwGO. § 57 Abs. 2 VwGO verweist auf die Vorschriften des Zivilrechts (§§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Fristberechnungen sind in verwaltungsgerichtlichen Klausuren - gerade im Assessorexamen - sehr häufig. Hier keine Zeit verlieren!

3. Hat K die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO eingehalten?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Fristlauf beginnt mit dem Tag, der auf das Ereignis folgt, durch das die Frist in Gang gesetzt wird (§ 187 Abs. 1 BGB). Sie endet mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher dem Tag entspricht, in den das Ereignis des Fristbeginns fällt (§ 188 Abs. 2 BGB). Demnach beginnt die Frist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO am 09.01.2015 um 00:00 Uhr (§§ 57 Abs. 1, 2 VwGO iVm. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB) und endet am 08.02.2015 um 24:00 Uhr (§ 57 Abs. 1, 2 VwGO iVm. § 222 Abs. 1 ZPO iVm. § 188 Abs. 2 BGB). Damit hat Ks Klage die Frist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht eingehalten. Musst Du in der Klausur die Klagefrist berechnen, mach es genau so kurz wie hier geschehen. Mehr wollen die Prüfer dazu nicht lesen.

4. Beginnt die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO auch zu laufen, wenn dem angefochtenen Bescheid eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war?

Nein!

Die (Un-)richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung hat Auswirkungen auf die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs. Die Frist für die Klageerhebung (§ 74 Abs. 1 S. 1 VwGO) beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte ordnungsgemäß belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1 VwGO). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden, beginnt die gesetzliche Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen. Das bedeutet, dass das Einlegen des Rechtsbehelfs nicht durch die Fristen beschränkt ist, die für ihn an sich gesetzlich normiert sind. An die Stelle der gesetzlichen Rechtsbehelfsfrist tritt eine Ausschlussfrist von einem Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO).

5. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung bereits deshalb unrichtig, weil B nicht darüber belehrt hat, an welchem Datum die Klagefrist beginnt bzw. bis zu welchem Datum die Klage erhoben werden kann?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die nach § 58 Abs. 1 VwGO erforderliche Belehrung über die Frist verlangt nicht eine Belehrung über den Zeitpunkt des Fristbeginns oder des Datums des Fristablaufes. Frist i.S.d. § 58 Abs. 1 VwGO bezieht sich aufgrund der Verweisungen in § 57 Abs. 2 i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO auf das Begriffsverständnis des BGB. Danach ist eine Frist ein abgegrenzter, bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum wie eine Woche, einen Monat oder ein Jahr. Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung über die Fristlänge ist ferner bloß eine Warnfunktion, dass dem Rechtsschutzsuchenden nicht unbegrenzt lange Zeit zur Erhebung der Klage zur Verfügung steht. Diesem Verständnis entsprechend hat B richtigerweise über den Zeitraum von einem Monat belehrt. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist hierdurch nicht unrichtig geworden.

6. Hätte B, weil K in der USA lebt, den K darüber belehren müssen, dass das Gericht seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Sitz im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO ist der Ort, an dem sich das Gericht befindet, in der Regel also die betreffende Gemeinde. Telos der Rechtsbehelfsbelehrung ist die Beseitigung der Rechtsunkenntnis des Rechtssuchenden in verfahrensrechtlicher Hinsicht, um einen Rechtsmittelverlust auf Grund mangelnder Kenntnis der prozessualen Möglichkeiten zu vermeiden. Der Sitz ist deshalb mit der Angabe des Ortes ausreichend bezeichnet. Der Kläger muss in der Regel ohnehin die genaue Adresse des Gerichts selbst ermitteln. Dies ist ihm zuzumuten, handelt es sich hierbei schließlich um keine Rechtsfrage. Gleiches gilt dafür, dass K selbst den Schluss ziehen kann, dass das Verwaltungsgericht G ein deutsches Gericht ist. Überdies war die Adresse sogar in der Rechtsbehelfsbelehrung angegeben.

7. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung dadurch unrichtig, dass B den K über die Form der Einlegung des Rechtsbehelfs belehrt, diese aber gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht zwingend erforderlich ist?

Nein!

Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist auch dann unrichtig, wenn sie das gesetzlich geforderte Mindestmaß durch Zusätze übersteigt, soweit der Zusatz potenziell geeignet ist, einen Irrtum im Adressaten hervorzurufen, der die Rechtsbehelfseinlegung erschwert. Die Anfechtungsklage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (§ 81 Abs. 1 VwGO). Nach § 58 Abs. 1 VwGO ist es indes nicht zwingend erforderlich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung über diese Form der Klageerhebung ausdrücklich belehrt (zwingend sind nur Rechtsbehelf, Behörde bzw. Gericht, Sitz und Frist). Allerdings ist es unschädlich, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung zusätzlich dieses Mindestmaß überschreitet, indem über die Form der Klageerhebung belehrt wird. Denn dies ist nicht dazu geeignet, einen Irrtum beim Adressaten hervorzuheben, der die Rechtsbehelfseinlegung erschwert.

8. Ist die Rechtsbehelfslehrung dadurch unrichtig, dass sie die Klageerhebung „schriftlich oder zur Niederschrift“ zulässt, die Möglichkeit zur elektronischen Klageerhebung (§ 55a Abs. 1 VwGO) aber nicht erwähnt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Dies wäre dann der Fall, wenn die elektronische Klageerhebung eine zulässige Form der Klageerhebung wäre und der Adressat durch die unterlassene Erwähnung seines Rechtsschutzes beraubt wäre. Hiergegen spricht schon der Wortlaut von § 81 Abs. 1 VwGO, der als Form nur „schriftlich oder zur Niederschrift“ vorsieht. Vielmehr ist die elektronische Klageerhebung nach §§ 55a Abs. 1 VwGO ein Unterfall der schriftlichen Klageerhebung. Das Wort „schriftlich“ schließt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Übermittlung der Klage als elektronisches Dokument nicht aus. Zweck des § 55a Abs. 1 VwGO ist die Vereinfachung der Kommunikation mit dem Gericht im Zuge des digitalen Fortschritts. Hierdurch werden jedoch die Formerfordernisse des § 81 Abs. 1 VwGO nicht verändert. Der Sachverhalt hat sich 2014/15 abgespielt. Daher bezieht sich das BVerwG in seiner Auslegung auf die damals geltenden Fassungen der Norm. Die hier aufgeführte Argumentation ist jedoch immer noch gültig.

9. Die Rechtsbehelfsbelehrung war unrichtig und Ks Klage damit fristgemäß und zulässig.

Nein, das trifft nicht zu!

Bs Rechtsbehelfsbelehrung war richtig. Die Frist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO war damit maßgeblich. Insbesondere war die Rechtsbehelfsbelehrung nicht dadurch unrichtig, dass sie die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung nicht ausdrücklich erwähnte. Damit war Ks Klage am 24.08.2015 verfristet und unzulässig. Fragen der (un)richtigen Rechtsbehelfsbelehrung sind - gerade im Assessorexamen - äußerst beliebt und häufig. Achtung: In Deiner Klausur wird die Klage am Ende immer zulässig sein, damit Du zu den eigentlichen Klausurproblemen in der Begründetheit kommst. Halte Dich also nicht unnötig lange in der Zulässigkeit auf.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

THEL

TheLama

31.8.2023, 15:53:10

Diese Problematik kam in einer Probeklausur dran und denke, dass immer häufiger gerne ein Hilfsgutachten geschrieben werden soll. wäre jetzt schon die zweite ÖR Probeklausur von mir, die ziemlich früh im Schema aussteigt und im Hilfsgutachten weiter zu prüfen ist. Bei der ersten war das Hilfsgutachten in der Lösungsskizze als Lösungsweg vorgegeben. Wenn die zweite Lösung, also dieser fall hier, bekomme schreibe ich hier wie der Klausurstelle sich die Lösung vorstellte.


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