Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Keine Angst vor Konkurrenzen: Konsumtion zwischen Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
Keine Angst vor Konkurrenzen: Konsumtion zwischen Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ändert zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis erforderliche MPU-Gutachten des TÜV ab, indem er die Vernietung löst, die relevanten Passagen auf Spezialpapier neu schreibt, neue Stempel aufdruckt und die Unterschriften der Prüfer nachahmt. Dafür erhält A von seinen "Kunden" €1.500.
Diesen Fall lösen 77,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Konkurrenzen mögen viele Studierende nicht. Umso mehr wird eine gute Bearbeitung von den Korrektor*innen geschätzt. Tatsächlich können manche Konkurrenzverhältnisse schwierig sein. In diesem Beschluss hat der BGH klargestellt, dass zwischen der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) und Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion vorliegt. Es sei kein Fall denkbar, in dem eine Urkunde verfälscht wird, ohne dass sie dadurch zugleich beschädigt, d.h. in ihrem Beweisgehalt geändert wird. Die Urkundenunterdrückung weise daher in diesem Fall keinen eigenen Unrechtsgehalt auf. Tateinheit scheide also aus.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Muss vorher immer eine "MPU" machen, wer einen Führerschein macht?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Sind die MPU-Gutachten des TÜV Urkunden (§§ 267 Abs. 1, 274 Abs. 1 StGB)?
Ja!
3. Hat A Urkunden unterdrückt, indem er die Vernietung der Gutachten löste (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB)?
Genau, so ist das!
4. Hat A echte Urkunden verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB), indem er neue Seiten einfügte, Unterschriften nachahmte und Stempel aufdruckte?
Ja, in der Tat!
5. Kommen für das konkurrenzrechtliche Verhältnis von Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) Tateinheit (§ 52 StGB) und Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion in Betracht?
Ja!
6. Steht die Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) zur Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) in Tateinheit?
Nein, das ist nicht der Fall!
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die strafrechtlichen Konkurrenzen?
- Liegt Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit vor?
- Liegt Gesetzeskonkurrenz vor?
- Gesetzeskonkurrenz bei Tatmehrheit
- Gesetzeskonkurrenz bei Tateinheit
- Wie stehen die verbliebenen Tatbestände zueinander?
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
22.6.2021, 08:33:54
Liegen hier nicht mit Blick auf die Konkurrenz zwei Handlungen (Lösen der Nieten und Veränderung des Textes) vor?
FML
22.6.2021, 18:16:07
In dem Verfälschen der Urkunde ist hier die Unterdrückung zwangsläufig mit enthalten, was mE eher für 1 Handlung spricht. Das aufzuteilen wirkt gekünstelt.
FML
22.6.2021, 18:17:44
Also die zum Erfolg des Verfälschen führende Handlung umfasst ja gerade beide von dir genannten Zwischenschritte.
Lukas_Mengestu
9.7.2021, 17:15:02
Hallo QuiGonTim, rein tatsächlich handelt es sich hierbei natürlich um zwei Arbeitsschritte. Aber wie FML schon richtig ausgeführt hat, ist das Beschädigen der Urkunde (hier durch das Lösen der Nieten) ein zwingendes Durchgangsstadium für die Verfälschung und insoweit insgeamt als einheitliche Handlung zu sehen. Da es insoweit an einem eigenständigen Unrechtsgehalt fehlt, lässt der BGH die vorangegangene Unterdrückung im Wege der
Konsumtionzurücktreten. Kleiner Exkurs: Beim bisherigen Schulbuchfall der
Konsumtion, der Sachbeschädigung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl, hat der 2. Senat des BGH im Jahr 2019 mit Billigung der übrigen Senate eine Kehrwendung eingeleitet (vgl. BGH NJW 2019, 1086). Dort hatte er geurteilt, dass die Sachbeschädigung regelmäßig in sehr unterschiedlichem Maße im Rahmen eines Wohnungsdiebstahls verwirklicht wird, was maßgeblich auch von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten abhängt. Da insoweit von einem "typischen" Geschehen nicht gesprochen werden könne sowie im Hinblick auf die unterschiedlichen
Rechtsgüter, sei es hier aus Klartstellungsgründen geboten ein tateinheitliches Geschehen nach § 52 StGB anzunehmen und die Sachbeschädigung nicht im Wege der Konkurrenz (
Konsumtion) zurücktreten zu lassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Isabell
11.7.2021, 18:49:27
Ein typisches Beispiel dafür, dass mir im Strafrecht die Kreativität fehlt, alle erdenklichen Anknüpfungspunkte als solche zu erkennen. Von dieser Sorte Fällen gerne mehr 🤗