Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2019

Keine Angst vor Konkurrenzen: Konsumtion zwischen Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung

Keine Angst vor Konkurrenzen: Konsumtion zwischen Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung

13. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A fälscht ein MPU-Gutachten

A ändert zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis erforderliche MPU-Gutachten des TÜV ab, indem er die Vernietung löst, die relevanten Passagen auf Spezialpapier neu schreibt, neue Stempel aufdruckt und die Unterschriften der Prüfer nachahmt. Dafür erhält A von seinen "Kunden" €1.500.

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Einordnung des Falls

Konkurrenzen mögen viele Studierende nicht. Umso mehr wird eine gute Bearbeitung von den Korrektor*innen geschätzt. Tatsächlich können manche Konkurrenzverhältnisse schwierig sein. In diesem Beschluss hat der BGH klargestellt, dass zwischen der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) und Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion vorliegt. Es sei kein Fall denkbar, in dem eine Urkunde verfälscht wird, ohne dass sie dadurch zugleich beschädigt, d.h. in ihrem Beweisgehalt geändert wird. Die Urkundenunterdrückung weise daher in diesem Fall keinen eigenen Unrechtsgehalt auf. Tateinheit scheide also aus.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Muss vorher immer eine "MPU" machen, wer einen Führerschein macht?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der "MPU" handelt es sich um die medizinisch-psychologische-Untersuchung, die die Fahrerlaubnisbehörde anordnet zur Vorbereitung der Entscheidung über die Erteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis oder zur Vorbereitung der Entscheidung über Versagung, Belassen oder Neuerteilen der Fahrerlaubnis unter Auflagen und Beschränkungen. Die gesetzliche Bezeichnung lautet Begutachtung der Fahreignung. Nicht jeder, der eine Fahrerlaubnis erwirbt, wird begutachtet. Eine Begutachtung erfolgt nur, wenn es dafür einen Grund gibt, z.B. Vorstrafen, Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen oder Krankheiten.
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2. Sind die MPU-Gutachten des TÜV Urkunden (§§ 267 Abs. 1, 274 Abs. 1 StGB)?

Ja!

Eine Urkunde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und einen Aussteller erkennen lässt. Die MPU-Gutachten des TÜV verkörpern die Gedankenerklärung der Gutachter über die Fahreignung der Begutachteten. Außerdem sollen sie die Fahreignung oder Nichteignung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde beweisen. Sie lassen den TÜV als Aussteller erkennen. Es handelt sich somit um Urkunden (§§ 267 Abs. 1, 274 Abs. 1 StGB).

3. Hat A Urkunden unterdrückt, indem er die Vernietung der Gutachten löste (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Eine Urkunde unterdrückt, wer sie mit Nachteilszufügungsabsicht beschädigt (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB). Der Täter beschädigt die Urkunde, wenn er an ihr Veränderungen vornimmt, die sie in ihrem Wert als Beweismittel beeinträchtigen. Die Urkunden waren durch Nieten miteinander verbunden, um sicherzustellen, dass nur die ganze Urkunde mit allen Seiten zum Beweis verwendet wird. Indem A die Nieten löste und die Seiten trennte, um neue einzufügen, beeinträchtigte er deren Beweiswert. Dies tat er, um seinen "Kunden" die Täuschung der Fahrerlaubnisbehörde zu ermöglichen. Er handelte also auch mit Nachteilszufügungsabsicht.

4. Hat A echte Urkunden verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB), indem er neue Seiten einfügte, Unterschriften nachahmte und Stempel aufdruckte?

Ja, in der Tat!

Eine echte Urkunde verfälscht, wer die gedankliche Erklärung so verändert, dass sie nicht mehr von dem scheinbaren Aussteller herrührt. Bei den MPU-Gutachten handelte es sich ursprünglich um echte Urkunden (s.o.). A hat einen abweichenden Text auf das Spezialpapier geschrieben und darunter die Unterschriften der Gutachter nachgeahmt. Außerdem hat er Stempel aufgedruckt und die Seiten wieder zusammengefügt. So erweckte er den Anschein, dass der von ihm hinzugefügte Inhalt von den Gutachtern des TÜV herrührte, was jedoch nicht der Fall war. Er hat somit die echten Urkunden verfälscht.

5. Kommen für das konkurrenzrechtliche Verhältnis von Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) Tateinheit (§ 52 StGB) und Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion in Betracht?

Ja!

Werden durch dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt, ist grundsätzlich von Tateinheit gemäß § 52 StGB auszugehen. Tateinheit liegt vor, wenn eine Handlung mehrere Gesetze verletzt, die gleichzeitig anwendbar sind. Dadurch wird die Klarstellungsfunktion erfüllt, indem die verletzten Normen im Schuldspruch genannt werden. Als Ausnahme davon liegt Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion vor, wenn ein Verhalten zwar mehrere Strafvorschriften erfüllt, zur Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat aber die Anwendung eines Tatbestands ausreicht. Hier muss die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts eine - wenn auch nicht notwendige, so doch regelmäßige - Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestands sein.

6. Steht die Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) zur Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB) in Tateinheit?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Für die Tateinheit spricht zwar, dass die Delikte verschiedene Rechtsgüter schützen: § 267 StGB schützt die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden, also die Allgemeinheit. § 274 StGB schützt das individuelle Recht, mit einer Urkunde Beweis zu führen. Das allein spreche jedoch nicht gegen die Konsumtion. Entscheidend sei vielmehr, dass hier das Beschädigen der Urkunde eine typische Begleitform von der Verfälschung war. Es sei kein Fall denkbar, in dem eine Urkunde verfälscht wird, ohne dass sie dadurch zugleich beschädigt, d.h. in ihrem Beweisgehalt geändert wird. Die Beschädigung weise daher keinen eigenen Unrechtsgehalt auf (RdNr. 12).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die strafrechtlichen Konkurrenzen?

  1. Liegt Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit vor?
  2. Liegt Gesetzeskonkurrenz vor?
    1. Gesetzeskonkurrenz bei Tatmehrheit
    2. Gesetzeskonkurrenz bei Tateinheit
  3. Wie stehen die verbliebenen Tatbestände zueinander?
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

22.6.2021, 08:33:54

Liegen hier nicht mit Blick auf die Konkurrenz zwei Handlungen (Lösen der Nieten und Veränderung des Textes) vor?

FML

FML

22.6.2021, 18:16:07

In dem Verfälschen der Urkunde ist hier die Unterdrückung zwangsläufig mit enthalten, was mE eher für 1 Handlung spricht. Das aufzuteilen wirkt gekünstelt.

FML

FML

22.6.2021, 18:17:44

Also die zum Erfolg des Verfälschen führende Handlung umfasst ja gerade beide von dir genannten Zwischenschritte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.7.2021, 17:15:02

Hallo QuiGonTim, rein tatsächlich handelt es sich hierbei natürlich um zwei Arbeitsschritte. Aber wie FML schon richtig ausgeführt hat, ist das Beschädigen der Urkunde (hier durch das Lösen der Nieten) ein zwingendes Durchgangsstadium für die Verfälschung und insoweit insgeamt als einheitliche Handlung zu sehen. Da es insoweit an einem eigenständigen Unrechtsgehalt fehlt, lässt der BGH die vorangegangene Unterdrückung im Wege der

Konsumtion

zurücktreten. Kleiner Exkurs: Beim bisherigen Schulbuchfall der

Konsumtion

, der Sachbeschädigung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl, hat der 2. Senat des BGH im Jahr 2019 mit Billigung der übrigen Senate eine Kehrwendung eingeleitet (vgl. BGH NJW 2019, 1086). Dort hatte er geurteilt, dass die Sachbeschädigung regelmäßig in sehr unterschiedlichem Maße im Rahmen eines Wohnungsdiebstahls verwirklicht wird, was maßgeblich auch von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten abhängt. Da insoweit von einem "typischen" Geschehen nicht gesprochen werden könne sowie im Hinblick auf die unterschiedlichen

Rechtsgüter

, sei es hier aus Klartstellungsgründen geboten ein tateinheitliches Geschehen nach § 52 StGB anzunehmen und die Sachbeschädigung nicht im Wege der Konkurrenz (

Konsumtion

) zurücktreten zu lassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

11.7.2021, 18:49:27

Ein typisches Beispiel dafür, dass mir im Strafrecht die Kreativität fehlt, alle erdenklichen Anknüpfungspunkte als solche zu erkennen. Von dieser Sorte Fällen gerne mehr 🤗


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