Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Einführungsfall: Drittschadensliquidation - Versendungskauf

Einführungsfall: Drittschadensliquidation - Versendungskauf

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft für €30.000 ein Gemälde an K. Dieser bittet V, das Bild an ihn zu versenden. V beauftragt daraufhin ihren Bekannten B mit dem Transport des Bildes. Auf der Fahrt zu K, verursacht B schuldhaft einen Unfall. Das Gemälde wird dabei zerstört.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall: Drittschadensliquidation - Versendungskauf

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Steht K gegen B ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zu (§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass ein Schuldverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht.Eine eigene vertragliche Beziehung zwischen K und B besteht nicht. K müsste also in das Vertragsverhältnis zwischen V und B (Auftrag, § 662 BGB) einbezogen sein. Eine Einbeziehung über den Vertrag zugunsten Dritter scheidet mangels entsprechender Vereinbarung aus. Für eine Einbeziehung über den Vertrag mit Schutzwirkung Dritter fehlt es jedenfalls an der Gläubigernähe.
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2. Steht K gegen B ein deliktischer Schadensersatzanspruch zu (§ 823 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt zunächst die Verletzung eines der hiervon geschützten Rechtsgüter voraus.K hatte zum Zeitpunkt der Zerstörung des Gemäldes weder Eigentum noch Besitz an dem Bild erlangt. Damit hat B durch die Zerstörung des Gemäldes die Rechtsgüter des K nicht verletzt.Auch andere deliktische Ansprüche kommen nicht in Betracht.

3. Kann K von V erneute Lieferung des Bildes verlangen (§ 433 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, wenn das Herbeiführen des Leistungserfolges dem Schuldner oder Jedermann unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Nachdem das Bild zerstört worden ist, ist es jedermann unmöglich K Eigentum an dem Gemälde zu verschaffen. Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 BGB ist daher nach § 275 Abs. 1 BGB erloschen.

4. Muss K an V trotzdem den Kaufpreis bezahlen?

Ja, in der Tat!

Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB hat grundsätzlich auch den Wegfall der Gegenleistungspflicht zur Folge (nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine anspruchserhaltende Vorschrift eingreift (z.B. § 326 Abs. 2 BGB; § 447 BGB). K hat V um die Versendung des Bildes gebeten. Damit lag keine Bringschuld des V, sondern eine Schickschuld vor. Bei dieser geht mit der Übergabe der Kaufsache an die Transportperson die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer über (§ 447 Abs. 1 BGB). Das Bild ist erst nach der Übergabe an B zerstört worden, sodass der Kaufpreisanspruch nach § 447 Abs. 1 BGB bestehen bleibt.

5. K kann im Hinblick auf den zu zahlenden Kaufpreis Schadensersatz von V verlangen (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB).

Nein!

Im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit richtet sich der Anspruch nach §§280 Abs. 1, 3, 283 BGB. Dieser setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Nichtleistung aufgrund von Unmöglichkeit (=Pflichtverletzung), (3) Vertretenmüssen des Schuldners, (4) Schaden.Zwischen K und V besteht ein Kaufvertrag. Da das Bild zerstört wurde, ist V die Leistung unmöglich. V hat die Zerstörung des Bildes nicht selbst verschuldet. V schuldete lediglich die Abgabe an eine Transportperson und nicht den Transport selbst (Schickschuld!). Der Transport stellt insoweit keine Erfüllung von Vs Verbindlichkeit dar. Somit agierte B nicht als Vs Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB). Damit scheidet auch eine Zurechnung seines Verschuldens aus.

6. V ist durch die Zerstörung des Bildes ein ersatzfähiger Schaden entstanden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergibt.Zwar hat B durch die Zerstörung des Bildes Vs Eigentum verletzt. Da V gegenüber K aber weiterhin einen Anspruch auf den Kaufpreis hat, hat sich dadurch die Vermögenslage des V nicht verschlechtert. Damit ist ihm kein Schaden entstanden.

7. K hat keinen Anspruch und V keinen Schaden. Liegt hier auch ein Fall der zufälligen Schadensverlagerung vor?

Ja, in der Tat!

Zufällig ist die Verlagerung, wenn sie auf besonderen Umständen im Innenverhältnis zwischen dem Anspruchsinhaber und dem mittelbar Geschädigten beruht. Eine zufällige Schadensverlagerung ist im Wesentlichen nur in vier Fallkonstellationen anerkannt: (1) Obligatorische Gefahrentlastung, (2) mittelbare Stellvertretung, (3) Obhut für fremde Sachen und (4) Treuhandverhältnisse. Zu 1: Eine obligatorische Gefahrentlastung liegt vor, wenn aufgrund einer speziellen gesetzlichen Bestimmung die Gefahrtragung auf einen Dritten verlagert wird oder der Verletzte dadurch von seiner Leistungspflicht befreit wird.Aufgrund des Übergangs der Preisgefahr auf K (§ 447 Abs. 1 BGB) behält V vorliegend ihren Vergütungsanspruch. Dies ist der klassische Fall der obligatorischen Gefahrentlastung und somit liegt eine zufällige Schadensverlagerung vor.

8. Kann K nun direkt gegen B einen Schadensersatzanspruch geltend machen (Anspruch wird zum Schaden gezogen)?

Nein!

Liegen die Voraussetzungen der Drittschadensliquidation vor, so kommt es zu einer Abweichung des Grundsatzes, dass ein Anspruchsinhaber nur eigene Schäden geltend machen. Ausnahmsweise kann er in dieser Konstellation den Schaden eines Dritten geltend machen (Schaden wird zum Anspruch gezogen).Zunächst kann also nicht K Schadensersatz von B verlangen, sondern V!Die Durchbrechung des allgemeinen Grundsatzes, dass nur eigene Schäden geltend gemacht werden können, ist der Grund dafür, dass nur in den anerkannten engen Fallgruppen, eine Drittschadensliquidation in Betracht kommt.

9. Kann K von V Abtretung des Schadensersatzanspruches verlangen?

Genau, so ist das!

Die Drittschadensliquidation soll dazu dienen, dass der geschädigte Dritte in den Genuss des Ersatzes oder Ersatzanspruches kommt. Im Ergebnis muss ihm der Ersatz also zugute kommen. Ein Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes bzw. Abtretung des Ersatzanspruches lässt sich regelmäßig (1) auf § 285 BGB stützen (stellvertretendes commodum). Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor, so wird der Anspruch (2) unmittelbar aus den Grundsätzen der Drittschadensliquidation hergeleitet.Zwischen V und K besteht (1) ein Schuldverhältnis. Vs Leistungspflicht ist (2) aufgrund von Unmöglichkeit erloschen. Infolge des Untergangs des Gemäldes hat V (3) einen Schadensersatz gegen B erlangt. Damit liegen die Voraussetzungen des § 285 BGB vor.Wichtig: Der Anspruch aus § 285 BGB setzt gerade kein Verschulden voraus!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

melb1995

melb1995

25.8.2022, 15:56:32

Ich verstehe es nicht ganz . Ich dachte V hat keinerlei Ansprüche

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.9.2022, 12:36:38

Hallo melb1995, vielen Dank für Deine Nachfrage :-) Der "Witz" der

Drittschadensliquidation

ist, dass wir (1) jemanden haben, der zwar einen Anspruch gegen den Schädiger besitzt, aber keinen Schaden hat und (2) einen Geschädigten, dem aber kein direkter Anspruch gegen den Schädiger zusteht. Da B seine Verpflichtungen schuldhaft nicht erfüllt hat bzw. Vs Eigentum beschädigt hat, stehen V also dem Grund nach schuld- und deliktsrechtliche Ansprüche gegen B zu. Zu deren Geltendmachung wird Ks Schaden nun zu den Ansprüchen des V gezogen. Nun kann V entweder selbst gegen B vorgehen und anschließend den erhhaltenen Schadensersatz an K herausgeben oder er tritt seine Ansprüche direkt an K ab, sodass dieser sich mit der weiteren Abwicklung selbst befasst. Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

juramen

juramen

26.5.2023, 08:27:52

Ich meine mich aus einer Haussrbeit, daran zu erinnern, dass bei solchen Konstellationen umstritten ist, ob V tatsächlich die Schickschuld durch B bewirkt hat. Handelt es sich nämlich bei der Transportperson um einen Bekannten, so könnte dieser im Lager des V stehen, weshalb umstritten ist, ob V der Untergang der Sache wieder zugerechnet werden müsste. Gehen Sachen bei tatsächlichen Transport unternehmen unter, so hätte K hier einen direkten Anspruch gegen das Transportunternehmen.

Dogu

Dogu

16.6.2023, 13:30:42

Aber hier wurde V durch den K doch gebeten, die Ware zu verschicken. Wieso sollte aus einer Schickschuld dann eine Bringschuld werden, nur weil V den B kennt? Das ist im Zweifel nicht mal dem anderen Vertragspartner bekannt und die Art der Schuld wird zwischen den Vertragspartnern vereinbart. Problematisch wäre mE allenfalls, falls der B notorisch schlecht fährt und das V bekannt ist (sorgfältige Auswahl der Versandperson).

Dogu

Dogu

16.6.2023, 13:33:12

Dadurch, dass K explizit vom Regelfall der

Holschuld

abweichen wollte, hat er die Gefahr einer Beschädigung während des Transports durch einen Dritten (statt der Abholung durch ihn selbst) erst selbst geschaffen. Es ist billig, ihm die Folgen der Realisation dieses Risikos zuzuweisen.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

28.8.2023, 16:17:28

Ich vermute, dass in Deiner Hausarbeit eine Schickschuld vereinbart war, ohne dass der Käufer erst explizit um Versendung gebeten hatte, sodass § 447 nicht einschlägig war. Dann kann durchaus diskutiert werden, ob der zufällige Untergang der Sache aufgrund der Bekanntschaft von V und B (Lagertheorie) dem V doch zuzurechnen ist. Im Falle des § 447 erübrigt sich dies aber, wie Dogu sehr schön erklärt hat.

AR

Artimes

9.1.2024, 17:07:51

Ich habe öfter im Kontext der DSL gelesen, dass § 285 BGB ANALOG zur Anwendung kommt. Wieso scheidet eine direkte Anwendung aus und wie argumentiert man zu Gunsten der Analogie?

JAK

Jakob Köhler

24.6.2024, 16:43:56

K kommt hier mit der Leistung des B in Berührung. Es ist auch im Interesse des Gläubigers, dass der Käufer sein Bild bekommt. V sagt ihrem bekannten, dass er etwas zu K bringen soll. Folglich ist die Einbeziehung auch für erkennbar. Und K ist mangels direkter vertraglicher Ansprüche gegen B auch schutzwürdig. Kommt hier folglich ein VSD in Frage?

JAK

Jakob Köhler

24.6.2024, 16:47:10

Gemeint ist hier der Liefervertrag zwischen V und B mit Schutzwirkung für K


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