Ergänzende Vertragsauslegung (1)

3. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B vereinbaren vertraglich den Tausch ihrer Fachbuchhandlungen. Kurze Zeit später eröffnet B unerwartet neben seiner früheren "Leseratte" die "Neue Leseratte". A beruft sich auf ein - zwischen A und B nie besprochenes und vertraglich nicht festgelegtes - Konkurrenzverbot.

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Einordnung des Falls

Ergänzende Vertragsauslegung (1)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da A und B kein Konkurrenzverbot vereinbart haben, es A aber darauf ankam, hatten A und B einen Dissens. Der Tauschvertrag (§ 480 BGB) ist nicht zustande gekommen.

Nein!

Ein Vertrag ist im Zweifel nicht geschlossen, solange die Parteien sich nicht über alle Punkte geeinigt haben, über die eine Vereinbarung getroffen werden sollte (offener Dissens, § 154 Abs. 1 S. 1 BGB). Ist hingegen anzunehmen, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde, ist der Vertrag wirksam (versteckter Dissens, § 155 BGB). Zwischen A und B war von einem Konkurrenzverbot nie die Rede, sodass lediglich ein versteckter Dissens in Betracht kommt (§ 155 BGB). Im Zuge der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) lässt sich der Wille der Parteien zu einem wirksamen Tauschvertrag auch ohne Konkurrenzverbot entnehmen. In der Klausur kannst Du regelmäßig mit mehr Sachverhaltsinformationen rechnen, auf die Du Deine Auslegung stützen kannst.
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2. Die Vereinbarung eines Konkurrenzverbots zwischen A und B könnte sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergeben (§ 157 BGB). Dazu müsste der Tauschvertrag eine ausfüllungsbedürftige Lücke aufweisen und der hypothetische Parteiwille müsste darauf gerichtet sein

Genau, so ist das!

Ergänzende Vertragsauslegung bedeutet Ergänzung eines lückenhaften Rechtsgeschäfts. Sie setzt voraus: (1) einen wirksamen Vertragsschluss und (2) eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Vertrag. Rechtsfolge ist die Ausfüllung der Lücke anhand des hypothetischen Parteiwillens nach Treu und Glauben und der Verkehrsanschauung. Es stellt sich die Frage, was die Parteien vereinbart hätten, hätten sie die Lücke bedacht. Ergänzende Vertragsauslegung ist ein Klausurklassiker.

3. Der Tauschvertrag zwischen A und B enthält eine ausfüllungsbedürftige Lücke hinsichtlich eines Konkurrenzverbots.

Ja, in der Tat!

Nach Vertragsschluss kann sich herausstellen, dass ein bestimmter Punkt von den Parteien (bewusst oder unbewusst) nicht geregelt wurde. Eine solche Lücke ist ausfüllungsbedürftig, wenn ohne deren Schließung die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre. Ob eine solche Lücke besteht, muss durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ermittelt werden. Bei Vertragsschluss haben weder A noch B den Umstand der Rückkehr der jeweils anderen Person an den ursprünglichen Standort berücksichtigt. Die Rückkehr des ursprünglichen Buchhändlers ließe jedoch die Abwanderung des Kundenstammes vermuten und würde den Vertragszweck gefährden.

4. A und B hätten bei Kenntnis von der Lücke ein Konkurrenzverbot vereinbart.

Ja!

Besteht eine ausfüllungsbedürftige Lücke, ist diese nach Maßgabe des hypothetischen Parteiwillens nach Treu und Glaube und der Verkehrsanschauung zu schließen. Eine Auslegung des hypothetischen Parteiwillens nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte ergibt, dass A und B, hätten sie die mögliche Rückkehr eines der Buchhändler bedacht, ein (zumindest vorübergehendes) Konkurrenzverbot vereinbart hätten. Der Übernehmer einer Buchhandlung benötigt ausreichend Zeit, um die Beziehung zu den Kunden zu festigen. Nur so kann verhindert werden, dass er durch die Rückkehr des früheren Inhabers enorme Einkommenseinbußen erleidet. Eine Rückkehr würde daher den Vertragszweck gefährden. Somit ist die Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Annahme eines Konkurrenzverbots zu schließen (§ 157 BGB).
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