Grundfall / zahme Tiere
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K ist Eigentümer einer Kamelfarm und bietet entgeltliche Kamelausritte an. Zoologiestudentin S liebt Kamele und nimmt nach einer sorgfältigen Reiteinweisung und Aufklärung durch K an einem geführten Ausritt teil. Während des Ausritts passieren sie ein Grundstück, auf dem der Schäferhund Rex umherläuft. Rex beginnt sofort zu bellen, wodurch das Kamel erschrickt und die S abwirft. S bricht sich den Arm.
Diesen Fall lösen 80,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Grundfall / zahme Tiere
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K haftet der S nach § 823 Abs. 1 BGB.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Mangels Verschuldens scheidet auch die Tierhalterhaftung aus (§ 833 S. 1 BGB).
Nein!
3. S hat einen Personen- oder Sachschaden erlitten (§ 833 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
4. Das Verhalten des Kamels war äquivalent kausal für die Körperverletzung der S.
Ja, in der Tat!
5. Das Verhalten des Kamels muss die Verletzung der S auch adäquat kausal herbeigeführt haben.
Nein!
6. Die Verletzung der S beruht auf der spezifischen Tiergefahr des Kamels.
Genau, so ist das!
7. K ist Tierhalter.
Ja, in der Tat!
8. K kann sich nur exkulpieren, wenn es sich um ein Nutztier handelt (§ 833 S. 2 BGB).
Ja!
9. K kann sich exkulpieren (§ 833 S. 2 BGB), weil es sich bei dem Kamel um ein Nutztier handelt.
Nein, das ist nicht der Fall!
10. K haftet der S aus § 833 S. 1 BGB.
Ja, in der Tat!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Fahrradfischlein
3.2.2021, 12:02:25
Komische Argumentation durch das OLG. Kamele kommen doch, wenn man nur auf inländische Verhältnisse abstellt, gar nicht vor. Weder als Wildtier noch als Haustier. Darüber hinaus sind wohl auch ein Pferd oder eine Kuh nicht von Natur aus zahm wenn sie nicht an Menschen gewöhnt sind.
Eigentum verpflichtet 🏔️
3.2.2021, 14:56:15
Ich bin kein Zoologe, aber es lässt sich auf jeden Fall hören was du ausführst! Ein Kamel könnte schon auch Nutztier sein, anders als zB ein Löwe, ein Bär oder Wolf, die ja auch ein deutlich höheres innewohnendes Gefahrpotential aufweisen. Also, deine Ansicht ist, mit guter Begründung, genauso vertretbar wie die des OLG!
🦊LEXDEROGANS
19.2.2021, 23:23:04
Die Nutztiereigenschaft auch dann abzulehnen, wenn die Farm allein zu dem Zwecke betrieben würde, Kamelmilch herzustellen, wäre aGrd. der Ähnlichkeit zur Kuhfarm m. E. sehr merkwürdig.
Fahrradfischlein
19.2.2021, 23:47:24
Wobei man da ja wieder mit dem Argument des inländischen Vorkommens punkten könnte. Schließlich kommen Kuhmilchfarmen, aber üblicherweise keine Kamelmilchfarmen in Deutschland vor.
🦊LEXDEROGANS
20.2.2021, 09:40:46
@Fahrradfischlein, das zwar schon, aber der Wortlaut „Erwerbstätigkeit“ spricht dagegen.
Marcello_27
25.12.2022, 21:53:31
Leider verstehe ich nicht, warum die Möglichkeit einer Exkulpation nach § 833.2 BGB in die Gefährdungshaftung einbezogen wird. Wir haben in der Vorlesung beigebracht bekommen, dass Satz 1 und 2 unterschiedliche Anspruchsgrundlagen sind und Satz 2 bei der Gefährdungshaftung des § 833.1 BGB keine Anwendung findet. So ähnlich formuliert es auch Wagner in MüKo, 2020, § 833 Rn. 46 Vielleicht wäre an dieser Stelle ein Verweis auf die doch nicht unwichtige Problematik gut.
CR7
4.3.2023, 17:37:17
Ich habe es auch so gelernt und würde mich gerne eine Stellungnahme hierzu wünschen :)
Dogu
30.10.2023, 11:27:03
Der Wortlaut legt aber das Gegenteil nahe. Satz 2 klingt nach einer Einschränkung von Satz 1.
Sebastian Schmitt
10.9.2024, 16:26:44
Hallo @[Marcello_27](175368), es wird tatsächlich üblicherweise formuliert, dass
§ 833 BGBzwei getrennte Ansprüche beinhalte, denjenigen iSv § 833 S 1 BGB in Form der Gefährdungshaftung für Luxustiere und denjenigen iSv § 833 S 2 BGB in Form des vermuteten Verschuldens für Nutztiere. Rein praktisch und in der Klausur muss aber ja an irgendeiner Stelle die Abgrenzung zwischen Luxus- und Nutztier erfolgen. Typischerweise geschieht das iRd Prüfung der Merkmale des § 833 S 1 BGB, zB unter einem Punkt "Verschulden", unter dem zuerst der Grundsatz des § 833 S 1 BGB dargestellt und dann untersucht wird, um was für eine Art Tier es sich handelt. Das leuchtet auch durchaus ein, weil es sich bei S 2 um die typische Formulierung einer Exkulpationsmöglichkeit handelt (vgl 831 I 2 BGB). Falls Du dir unsicher bist wie du genau in einer Klausur damit umgehen sollst, schau Dir ruhig mal einige beispielhafte Klausurlösungen zu Fällen der
Tierhalterhaftungan. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Lea
11.1.2024, 15:28:16
Zählen Assistenzhunde oder andere Tiere, die in der Weise assistieren sollen, zu den Nutztieren?
luc1502
17.7.2024, 12:09:24
Hi, wenn wir als Bsp. einen Blindenführhund nehmen, dann könnte man sagen, dass dieser zum einen rein begrfflich dem Naturalunterhalt dient (also den Blinden dabei unterstützt, tägliche Einkäufe zu ermöglichen) und zum anderen könnte man auch sagen, dass der Blindenführhund überhaupt erst eine Vss. dafür ist, dass man eine Erwerbstätigkeit (in einem Geschäft oÄ) aufnehmen kann. Weitere Nachweise findest du bei BeckOGK/Spickhoff BGB § 833 Rn. 114-121
Wolli
16.5.2024, 13:56:23
Ist nicht daneben auch denkbar, dass der Halter von Rex gem §833. S. 1 haftet? Oder liegt in dem Bellen des Hundes keine tierspezifische Gefahr, vor der §833 schützt (
Zurechnungszusammenhang). Äquivalent kausal ist das Bellen für die Gesundheitsverletzung der Kamelreiterin ja in jedem Fall.
Leo Lee
17.5.2024, 10:39:10
Hallo Wolli, vielen Dank für diese sehr gute und wichtige Frage! So ist es: Ein Anspruch gegen den Hundehalter kommt ebenfalls in Betracht, wobei man beim Mitverschulden dann ggf. diskutieren müsste, inwiefern sich die S selbst in diese Lage selbst begeben hat. In der Entscheidung wurde der Anspruch nicht geprüft, weil die Klage sich nur gegen die Kamelenhalterin richtete (und aufgrund des Dispositionsgrundsatzes nur hierüber auch entschieden werden durfte) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo