+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Wegen andauernder Pöbelei erhält Radaubruder R einen Platzverweis für einen Monat. R legt Widerspruch ein. Die Widerspuchsbehörde hilft dem Widerspruch nicht ab und erlässt den Widerspruchsbescheid. Diesen übergibt Behördenleiter B dem R persönlich.

Einordnung des Falls

Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheids

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerspruchsbescheid ist ein Verwaltungsakt. Er bedarf deshalb für seine Wirksamkeit der Bekanntgabe. Die Bekanntgabe als solche ist zu unterscheiden von der Ordnungsgemäßheit der Bekanntgabe.

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Ja!

Die Bekanntgabe als solche bzw. Bekanntgabe im Rechtssinne ist Wirksamkeitsvoraussetzung des Verwaltungsakts (§ 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Davon zu unterscheiden ist die Ordnungsgemäßheit bzw. Form der Bekanntgabe. Sie richtet sich nach § 41 VwVfG sowie den Formvorschriften des § 37 Abs. 2-4 VwVfG und Spezialvorschriften. War die Bekanntgabe nicht ordnungsgemäß, hat dies nach h.M. grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit zur Folge. Fehler bei der Form der Bekanntgabe können geheilt werden oder unbeachtlich sein. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ist maßgeblich für die Berechnung der Widerspruchs-/Klagefrist (§§ 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 S. 2 VwGO).

2. Der Widerspruchsbescheid wurde dem R ordnungsgemäß bekanntgegeben.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 41 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Für den Widerspruchsbescheid ist eine besondere Form der Bekanntgabe gesetzlich vorgeschrieben: Der Widerspruchsbescheid wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt (§ 73 Abs. 3 S. 2 VwGO). Diese Form der Bekanntgabe ist maßgeblich (§ 41 Abs. 5 VwVfG). Die Zustellung kann durch Postzustellungsurkunde, Übergabeeinschreiben oder Einschreiben mit Rückschein (§§ 3f. VwZG) erfolgen.Mangels Zustellung wurde der Widerspruchsbescheid R nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben.

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JF

Jura Fuchs

8.10.2020, 08:28:39

Die Lösung, dass durch die persönliche Übergabe durch den Behördenleiter keine Zustellung erfolgte ist in der hier dargestellten Weise jedenfalls missverständlich. Die Zustellungsarten nach dem VwZG sind nämlich gerade nicht auf die PZU, das Übergabeeinschreiben oder das Einschreiben mit Rückschein beschränkt, da gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 auch eine Zustellung durch die Behörde selbst möglich ist.Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 VwZG händigt bei der Zustellung durch die Behörde der zustellende Bedienste das Dokument an den Empfänger aus. Das heißt der hier skizzierte Fall ist im VwZG ausdrücklich vorgesehen. Wird von dieser Zustellungsart Gebrauch gemacht,so hat der Empfänger nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ein Empfangsbekenntnis zu unterschreiben.

JF

Jura Fuchs

8.10.2020, 08:29:40

Es stellt sich hier daher nur die Frage, wie das Fehlen des Empfangsbekenntnis zu behandeln ist.

Jakob G.

Jakob G.

27.12.2020, 20:05:07

Überzeugend wenn und soweit im Sachverhalt die "Übergabe durch Behördenleiter" überhaupt eine "Zustellung" iSd. VwZG darstellt und nicht lediglich eine "Übergabe". Ggf. kann im SV die übergebende Person ausgetauscht werden, da die Behördenleitung ggf. im Rahmen ihrer Fachaufsicht von der Wahl der Zustellungsart Gebrauch machen kann, sodass die faktische Übergabe eine förmliche Zustellung darstellen kann (§ 2 III 1 VwZG). Ein:e "einfache" Kolleg:in könnte das wohl nicht.

Melanie 🐝

Melanie 🐝

16.1.2021, 11:44:06

Ich finde es gut, dass es in dem Level immer rum den gleichen Grundfall (pöbelnder R) ging und dann Abwandlungen deutlich wurden 👌 so musste man sich weniger in einen neuen Fall reindenken

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

17.1.2021, 15:12:50

Danke für das Lob Melanie! Gebe es an die fallerstellenden Kolleg*innen weiter!

Juradino

Juradino

7.7.2023, 20:38:35

Müsste nicht § 5 VwZG angewendet werden? Meines Erachtens liegt dann eine ordnungsgemäße Zustellung vor.


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