Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Tierarzthaftung: Schadensbemessung bei Falschbehandlung eines Wettkampfpferdes

Tierarzthaftung: Schadensbemessung bei Falschbehandlung eines Wettkampfpferdes

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Halterin Hs Pferd ist krank. Tierarzt T schlägt eine Eigenbluttherapie vor. Über mögliche Folgen klärt er nicht auf. Infolge der Therapie erleidet das Tier einen anaphylaktischen Schock und stirbt. Es war unbekannterweise anfällig für eine solche Reaktion. Hätte H die möglichen Therapiefolgen gekannt, hätte sie die Behandlung abgelehnt.

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Einordnung des Falls

Pferde sind aus juristischen Examensklausuren fast nicht mehr wegzudenken. Das liegt vor allem daran, dass bei Verletzungen von Pferden aufgrund ihres hohen Wertes die Bereitschaft zu klagen sehr hoch ist und den Prüfungsämtern somit viel Material aus der Praxis zur Verfügung steht. Die vorliegende Entscheidung eignet sich dabei noch einmal gut, um das Pflichtenprogramm bei einem Tier(!)behandlungsvertrag zu beleuchten und sich näher mit der Frage zu beschäftigen, welchen Schaden die Halterin erlitten hat.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hinsichtlich der Behandlung des Pferdes haben T und H einen Behandlungsvertrag nach § 630a BGB geschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die §§ 630a ff. BGB knüpfen an die Behandlung von Patienten an, also natürliche Personen. Ein Tierbehandlungsvertrag hingegen ist je nach Einzelfall als Dienst- oder Werkvertrag oder als Mischform dieser beiden Verträge zu klassifizieren. Sofern keine anderweitigen Erklärungen vorliegen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Tierarzt keine Gewähr für den Genesungserfolg übernehmen will. Dann liegt ein Dienstvertrag nach § 611 BGB vor. T schuldet H die Behandlung des Hustens, nicht aber den Behandlungserfolg. Die Parteien haben einen Dienstvertrag nach § 611 BGB geschlossen. Anders ist dies zB bei einer Kastration oder einem Gutachten über den Gesundheitszustand des Tieres (zB Ankaufsuntersuchung). Hier ist regelmäßig ein Werk geschuldet (= Werkvertrag nach § 631 BGB).
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2. Steht H dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Behandlung des Pferdes zu (§§ 280 Abs. 1, 611 BGB)?

Nein!

Ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Behandlung setzt (1) ein Schuldverhältnis, (2) einen Behandlungsfehler (=Pflichtverletzung), (3) dessen Vertretenmüssen sowie (4) einen kausalen Schaden voraus. Ein Tierarzt schuldet ebenso wie ein Humanmediziner sachgemäßes Verhalten in allen Phasen vor, bei und nach der Behandlung. Dies wird nach den zu erwartenden tiermedizinischen Kenntnissen und Erfahrungen beurteilt. T und H haben einen Dienstvertrag über die Behandlung des Pferdes geschlossen. Da die Vorbelastung des Pferdes unbekannt war, liegt aber kein Behandlungsfehler des Arztes vor.

3. Einen Tierarzt trifft eine Aufklärungspflicht als Nebenpflicht aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag

Genau, so ist das!

Die Vorschriften der humanärztlichen Aufklärung sind zwar nicht auf Tierarztverträge übertragbar. Trotzdem schuldet auch ein Tierarzt eine Beratung. So muss er seinen Auftraggeber grob über die Art und Weise der Behandlung, Erfolgsaussichten, Risiken sowie mögliche alternative Handlungswege aufklären. Anders als im Bereich der Humanmedizin spielen auch wirtschaftliche Erwägungen des Auftraggebers eine Rolle und müssen in die Beratung einfließen. Die Beratung soll dem Auftraggeber die Abwägung der Behandlungsfolgen gegenüber ihren Kosten und dem Wert des Tieres ermöglichen. Ein strengerer Aufklärungsmaßstab gilt insbesondere für Tiere mit hohem Wert, Therapien mit geringer Indikation und unsicherem Eingriffserfolg.

4. H hat gegen T dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 611, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen unterlassener Aufklärung.

Ja, in der Tat!

Der Anspruch aus §§ 611, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass ein (1) Schuldverhältnis zwischen den Parteien vorliegt, (2) eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt wurde, (3) der Schuldner dies zu vertreten hat und (4) ein kausaler Schaden entstanden ist. T hat H nicht zu möglichen Risiken seiner Behandlung beraten und mithin seine Aufklärungspflicht verletzt. Das Pferd ist infolge der Behandlung verstorben. Es ist davon auszugehen, dass H in Kenntnis dieses Risikos von der Behandlung Abstand genommen hätte. Ein kausaler Schaden liegt vor. Den Tierhalter trifft die Beweislast für die objektive Verletzung der Aufklärungspflicht und die Kausalität der Unterlassung für den Schadenseintritt. Im humanmedizinischen Bereich ist dagegen die Ärztin beweisbelastet (§ 630h Abs. 2 S. 2 BGB).

5. Der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.

Ja!

Art und Umfang von Schadensersatzansprüchen richtet sich grundsätzlich nach den §§ 249 ff. BGB:  (1)Vorrangig ist dabei die Naturalrestitution (§ 249 BGB). Demnach hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nie eingetreten wäre. Er hat die Sache zu reparieren oder einen gleichwertigen Ersatz zu beschaffen. Falls eine Ersetzung möglich ist, kann auch der dazu erforderliche Geldbetrag gezahlt werden (§ 249 Abs. 2 BGB). (2) Ist eine Ersetzung nicht möglich, kann ein Schadensersatz durch Kompensation (etwa aus § 251 BGB) erfolgen. Das Pferd ist tot. In Frage kommt so nur - falls vorhanden - die Beschaffung eines gleichwertigen Pferdes bzw. die Zahlung des dazu erforderlichen Geldbetrags nach § 249 Abs. 2 BGB oder die Zahlung von Wertersatz aus § 251 BGB. Ob vorliegend § 249 BGB oder § 251 BGB anzuwenden ist, ließ der BGH offen.

6. Wertmindernde Faktoren finden bei der Schadensberechnung nur Berücksichtigung, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Schädigung bekannt waren.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 249 Abs. 2 BGB muss dem Geschädigten durch Geldersatz die Beschaffung eines gleichartigen und gleichwertigen Ersatzes ermöglicht werden. Welche Sachen gleichartig und gleichwertig sind, hängt von den objektiven Eigenschaften der zu ersetzenden Sache ab. Ist eine solche Ersatzbeschaffung am Markt möglich, kann als Schadensersatz also der Wiederbeschaffungswert (=Verkehrswert) verlangt werden. Da dieser sich rein objektiv bemisst, kommt es auf die subjektive Kenntnis wertmindernder Faktoren nicht an. Gleiches gilt, wenn mangels Ersatzmöglichkeit am Markt Wertersatz (§ 251 Abs. 1 BGB) verlangt wird. Hierfür bildet ebenfalls der Verkehrswert die Grundlage.

7. Hs Schaden ist hier auf den Verkehrswert beschränkt, den ein Pferd hat, welches für anaphylaktische Schocks anfällig ist.

Ja, in der Tat!

Ganz gleich, ob man § 249 BGB oder § 251 BGB zugrundelegt: Für die Bemessung des Schadens bei Verlust der Sache ist der Verkehrswert und daher die objektiven Eigenschaften maßgeblich. Auf die subjektive Kenntnis wertmindernder Faktoren zum Zeitpunkt des Schadenseintritts kommt es hingegen nicht an. Für die Bemessung der Schadenshöhe sind die objektiven Eigenschaften relevant. Die Anfälligkeit des Pferdes ist als wertmindernder Faktor beachtlich. Die Höhe des Schadensersatzes wird dadurch entsprechend auf den Wert gemindert, den ein Pferd mit einer solchen Anfälligkeit hat.

8. Der BGH kann die genaue Höhe eines Schadensersatzes immer revisionsrechtlich überprüfen und festlegen.

Nein!

Nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die Höhe eines Schadensersatzanspruchs grundsätzlich Sache der Tatrichter. Der BGH prüft als reine Rechtsinstanz nach § 545 Abs. 1 ZPO lediglich, ob ein Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht. Er kann die Höhe eines Schadensersatzanspruchs daher nur daraufhin überprüfen, ob das feststellende Gericht entweder (1) erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen hat, (2) es Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannte, (3) wesentliche Faktoren zur Bemessung außer Betracht ließ oder (4) seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe als Grundlage nutzte. Der BGH rügte, dass das Berufungsgericht den Umstand, dass das Pferd für eine anaphylaktische Reaktion anfällig war, für die Schadensbemessung unberücksichtigt gelassen hatte. Er verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück an das OLG München.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GVE

gottloser Vernunftsjurist

23.11.2023, 23:45:48

Hallo, 1. Ich konnte aus dem Verweis auf § 630e II 2 BGB keine Beweislast für den Behandelnden erkennen. Ist hier vielleicht eher Absatz II gemeint? 2. Mir ist der Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Eigenschaft nicht ganz klar geworden. Könnte man hierfür noch ein Beispiel anhand dieses Falls bilden, um den Unterschied zu verdeutlichen? Danke im Voraus!

LELEE

Leo Lee

25.11.2023, 10:54:40

Hallo Luk7_8, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat gab es hier einen Tippfehler; die Beweislast ist in 630H II 2 BGB geregelt, was wir nun entsprechend angepasst haben. Ein Beispiel können wir dir gerne geben, allerdings ist dies etwas schwierig bei einem Behandlungsvertrag, der nach der Natur kein Werk-, sondern ein Dienstvertrag ist. Aber objektive Eigenschaften sind solche, die von dem „Markt“ verständiger Weise erwartet werden können (etwa bei einem Auto, dass es fährt). Subjektive Eigenschaften sind hingegen solche, die nicht normalerweise vom Markt erwartet werden müssen, worauf sich jedoch die Parteien im Einzelfall geeinigt haben (etwa dass ein Auto eine ganz bestimmte Farbe hat) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

CH

Christian

7.2.2024, 16:00:18

a) weil man geld kosten minimieren will?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.2.2024, 18:30:27

Hallo Christian, vielen Dank für Deine Nachricht. Du bist gerade in der examensrelevanten Rechtsprechung zum Zivilrecht gelandet. Definitionen findest Du im Entdeckenscreen, wenn Du auf den Reiter "Definitionen" klickst. Dort finden sich aus allen Rechtsgebieten Definitionen, auch aus dem öffentlichen Recht und dem Verfassungsrecht. Insofern wäre es eher b) Jurafuchs hat die Bedienung noch nicht intuitiv genug gemacht, sodass ich die Definitionen nicht finde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

9.10.2024, 12:25:41

Geht es hier nicht eher um eine Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht, sodass § 311 Abs. 2 BGB noch zu berücksichtigen ist? Es ist zumindest gängige Praxis, dass der Arzt einen über mögliche Folgen und Risiken aufklärt bevor der Vertrag endgültig geschlossen wird, damit die andere Vertragspartei ja immer noch entscheiden kann, ob sie die Behandlung möchte. Das dürfte hier mMn nicht anders zu bewerten sein. Wie ich das sehe geht der BGH auch nicht näher auf eine AGL ein, sondern macht nur Ausführungen zur Schadensbemessung. Oder was übersehe ich?


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