Maßgeblicher Zeitpunkt 1

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B ist Bucheigentümer eines Grundstücks, das in Wahrheit E gehört. B lässt das Grundstück an G auf. E stellt aufgrund einstweiliger Verfügung den Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs. Dann stellt G den Eintragungsantrag. Im Anschluss wird der Widerspruch ins Grundbuch eingetragen. Danach wird G als Eigentümer eingetragen.

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Einordnung des Falls

Maßgeblicher Zeitpunkt 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G hat Eigentum nach §§ 873, 925 BGB erworben.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Eigentumserwerb an einem Grundstück nach §§ 873, 925 BGB setzt voraus: (1) Einigung über den Eigentumsübergang am Grundstück (Auflassung, § 925 BGB), (2) Eintragung ins Grundbuch, (3) Einigsein, § 873 Abs. 2 BGB, (4) Verfügungsberechtigung des Veräußerers. B hat G das Grundstück aufgelassen, G wurde als Eigentümer eingetragen und B und G waren sich auch zum Zeitpunkt der Grundbucheintragung einig. Die Voraussetzungen (1) bis (3) liegen damit vor. B war als bloßer Bucheigentümer jedoch nicht verfügungsbefugt.
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2. G könnte gutgläubig Eigentum nach §§ 873, 925, 892 Abs. 1 BGB erworben haben.

Ja!

Neben den Grundvoraussetzungen der §§ 873, 925 BGB setzt der gutgläubige Erwerb nach § 892 Abs. 1 BGB voraus: (1) Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts, (2) Unrichtigkeit des Grundbuchs, (3) Legitimation des Verfügenden durch das Grundbuch, (4) Gutgläubigkeit des Erwerbers, (5) Kein eingetragener Widerspruch im Grundbuch, (6) Eintragung des zu erwerbenden Rechts. Ein Rechtsgeschäft zwischen B und G liegt vor. Nicht B, sondern E war Eigentümer des Grundstücks, womit das Grundbuch unrichtig war. B war durch die Eintragung im Grundbuch als Verfügender legitimiert. G war auch gutgläubig. Ferner wurde G als Eigentümer eingetragen. Die Voraussetzungen (1) bis (4) und (6) liegen damit vor. Allerdings war hier ein Widerspruch des E eingetragen. Fraglich ist, ob G diesen Widerspruch hier überwinden kann.

3. Der hier eingetragene Widerspruch des E ist unbeachtlich, da er zum nach § 892 Abs. 2 BGB maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eintragung noch nicht eingetragen war.

Nein!

Vorsicht Falle! § 892 Abs. 2 BGB gilt nur für den Zeitpunkt der Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuchs, also für die Gutgläubigkeit. Für die übrigen Voraussetzungen - wie den Widerspruch - ist der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs maßgeblich, wie sich aus dem Wortlaut des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB "welcher (...) erwirbt" ergibt. Dies ist hier die Eintragung. § 892 Abs. 2 BGB enthält demnach gerade nicht die Regel, dass für § 892 Abs. 1 BGB generell der Zeitpunkt der Antragsstellung maßgeblich ist, § 892 Abs. 2 BGB ist vielmehr eine Ausnahmeregelung nur für die Gutgläubigkeit. Daher scheidet eine direkte Anwendung des § 892 Abs. 2 BGB aus.

4. G hat daher nicht nach §§ 873, 925, 892 Abs. 1 BGB gutgläubig Eigentum erworben.

Genau, so ist das!

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs war ein Widerspruch des E eingetragen. Daher scheitert ein gutgläubiger Erwerb. G hat kein Eigentum erworben.

5. § 892 Abs. 2 BGB ist auf den nach Stellung des Antrags auf Eintragung eingetragenen Widerspruch aber analog anzuwenden.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenslage voraus. Aufgrund des Charakters als Ausnahmevorschrift wäre es bereits systemwidrig, § 892 Abs. 2 BGB analog anzuwenden. Ausnahmevorschriften sind Ausnahmen und kein allgemeiner Rechtsgedanke, der sich auf andere Situationen übertragen lässt. Für solche greift dann vielmehr die Grundregel, hier nach § 892 Abs. 1 S. 1 BGB der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs. Es besteht insoweit bereits keine planwidrige Regelungslücke. Zudem liegt keine vergleichbare Interessenslage vor: § 892 Abs. 2 BGB bezieht sich auf die subjektiven Voraussetzungen. Der Widerspruch ist aber eine objektive Voraussetzung. Ob der Erwerber diesen kennt, ist nicht maßgeblich, allein das Vorhandensein eines Widerspruchs ist entscheidend. Daher kommt § 892 Abs. 2 BGB auch nicht analog zur Anwendung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

17.9.2023, 20:07:26

Vielleicht verstehe ich es auch komplett falsch, dann einfach ignorieren... Aber könnte man nicht seinerseits für den Widerspruch auf den Gedanken von § 878 abstellen, dass es auf die Stellung des Antrags ankommt, sodass E das seinerseits Erforderliche getan hat, um die Wirkung des Widerspruchs herbeizuführen? Die Gutgläubigkeit bezieht ich in § 892 ja ausdrücklich nur auf die

positive Kenntnis

und gerade nicht auf den Widerspruch, der ja den gutgläubigen Erwerb auch bei dessen fehlender Kenntnis sperrt...

BL

Blotgrim

13.4.2024, 11:56:27

Ich glaube dass ist gar nicht nötig, da wir 892 II gar nicht anwenden, wenn ein Widerspruch eingetragen ist, auch wenn der Antrag auf Eintragung vor der Eintragung des Widerspruchs erfolgt. Deswegen müssen wir die Wirkung des Widerspruchs gar nicht vor verlagern

CR7

CR7

24.1.2024, 19:32:10

Ich verstehe nicht ganz, warum G hier nicht gutgläubig ist, der Einigungsantrag wurde doch vor Eintragung des Widerspruchs gestellt, damit lagen ja alle Voraussetzungen vor, oder kommt es auf die Eintragung selbst an?

CR7

CR7

25.1.2024, 09:58:45

Hat sich erledigt!

ajboby90

ajboby90

13.3.2024, 12:45:01

Warum hat es sich erledigt? Die Frage scheint mir berechtigt.

CR7

CR7

13.3.2024, 12:46:24

Ich meinte, für mich persönlich.

FL

Flohm

26.8.2024, 15:25:21

@CR7 vielleicht kannst du kurz erklären, warum es für dich nun klar geworden ist.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 08:23:19

Hallo in die Runde, für @[ajboby90](222400), @[Flohm](210957) und alle Mitleser hier die Erklärung dazu: Der für § 892 BGB maßgebliche Zeitpunkt ist grundsätzlich der der Vollendung des Rechtserwerbs, also hier der Eintragung. Grundsätzlich müssen zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 892 BGB vorliegen. § 892 II BGB trifft hiervon für die Gutgläubigkeit eine abweichende Regelung: Ist beim Rechtserwerb die Eintragung erforderlich, so ist für die Gutgläubigkeit der Zeitpunkt der Stellung des Antrags (oder der Einging, falls diese später erfolgt) maßgeblich. § 892 II BGB gilt aber ausweislich des eindeutigen Wortlauts NUR für die Gutgläubigkeit. § 892 II BGB führt nicht dazu, dass generell für alle Voraussetzungen des § 892 I BGB der Zeitpunkt der Antragsstellung maßgeblich ist. § 892 II BGB ist also eine Ausnahme für die Gutgläubigkeit, keine allgemeine Regel. Für den Rest der Voraussetzungen gilt, dass maßgeblicher Zeitpunkt die Vollendung des Rechtserwerbs ist. Das gilt also auch für den Widerspruch. Ist ein solcher daher zum Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs eingetragen, ist ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich. Man käme darüber nur durch eine analoge Anwendung des § 892 II BGB auf den Widerspruch hinweg. Aus dem oben gesagten ergibt sich aber unmittelbar, warum dies nicht möglich ist. Zum einen (klassische Argumentation gegen eine Analogie, die euch so immer wieder begegnet): § 892 II BGB ist eine Ausnahmevorschrift. Ausnahmevorschriften analog anzuwenden wäre systemwidrig, da sie ja gerade eine AUSNAHME sind, und kein allgemeiner Rechtsgedanke, der sich auf andere Situationen übertragen lässt. Es besteht insoweit schon keine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen besteht auch keine vergleichbare Interessenslage: § 892 II BGB bezieht sich auf die subjektiven Voraussetzungen. Der Widerspruch ist aber eine objektive Voraussetzung. Ob der Erwerber diesen kennt ist ohnehin egal, nur das Vorhandensein ist entscheidend. Daher ist im Ergebnis bei einem eingetragenen Widerspruch vor Eintragung kein gutgläubiger Erwerb anzunehmen. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

FL

Flohm

27.8.2024, 09:56:39

Ach so! Super, vielen lieben Dank, jetzt hab auch ich es endlich verstanden! Eine Frage hab ich aber doch noch: Wann ist denn für den Erwerb eines Rechts die Eintragung nicht erforderlich ? Also wann ist man bei §892 I und nicht bei der Ausnahme in Abs. 2 ?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 11:48:02

Hallo Flohm, die Fälle, in denen eine Eintragung zum Rechtserwerb nicht erforderlich ist, sind sehr selten und nicht klausurrelevant. Man kann allenfalls an die Übertragung einer

Briefhypothek

denken, für die aber ohnehin noch besondere Vorschriften existieren. Zu den übrigen exotischen Fällen, in denen kein Eintragungserfordernis besteht, kann ich, falls es dich interessiert, MüKo BGB § 873 Rn. 95 empfehlen. Man ist bei der Frage der Gutgläubigkeit also regelmäßig im Abs. 2. Aber eben - wie oben erklärt - NUR für diese, nicht auch für die übrigen Voraussetzungen, wie den Widerspruch. Im Übrigen habe ich aufgrund der Nachfragen hier unter dieser Aufgabe und unter anderen Aufgaben in der Lektion die Aufgabe hier ergänzt, damit die Thematik um § 892 BGB etwas klarer wird. Danke an alle für eure Anmerkungen und Nachfragen, durch das Nachhaken merken wir, wo wir unsere Aufgaben noch ergänzen und Jurafuchs noch besser machen können :) Viele Grüße!

LO

Lorenz

25.5.2024, 12:50:05

Wieso ist G nicht gutgläubig? Eintragung erfolgte ja später.

LELEE

Leo Lee

27.5.2024, 10:36:34

Hallo Lorenz, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, dass G gutgläubig gewesen sei, da die Eintragung später erfolgte. Achte jedoch darauf, dass die Eintragung eines Widerspruchs diese Gutgläubigkeit (auch weil gerade eine analoge Anwendung auf den Widerspruch nicht stattfindet) ausschließt, selbst wenn der Erweber selbst redlich ist! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, H. Schäfer § 892 Rn. 40 sehr empfehlen. :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

PR

PrüfungsProfi

5.7.2024, 09:52:19

Hier sind jetzt schon einige Gragen zum Thema der Gutgläubigkeit. Aber dass ich das richtig verstanden habe: Paragraf 892 II bezieht sich nur auf die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs aus Abs. 1. Eine analoge Anwendung auf den eingetragenen Widerspruch ist nicht möglich. Dafür spricht der Wortlaut und auch dass eine Kenntnis von dem Widerspruch nicht erforderlich ist.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 08:28:44

Hallo PrüfungsProfi, genau so ist es! Ich habe es im benachbarten Thread hier https://applink.jurafuchs.de/1FWRWgkCoMb noch etwas ausführlicher dargelegt, wenn du es nochmal nachlesen willst. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 11:14:14

Kleine Ergänzung: Ich habe nun aufgrund der Fragen und Anmerkungen zu dem Fall hier und in den anderen Fällen der Lektion hier den Fall angepasst, sodass die Diskussion klarer wird. Danke PrüfungsProfi, dass du uns mit den anderen aus der Community durch dein Nachhaken und Nachfragen dabei hilfst, Jurafuchs bis ins letzte Detail zu verbessern!

TAUNU

Taunus84

25.8.2024, 23:10:42

Ich verstehe die Reihenfolge der Events in der Frage so: 1. Auflassung 2. Widerspruchseintragung 3. Eintragungsantrag 4. Eintragung Dann brauche ich aber doch die Diskussion über eine analoge Anwendung des 892 gar nicht zu führen, da zum Zeitpunkt des Eintragungantrags ja bereits ein Widerspruch eingetragen war, oder stehe ich jetzt völlig auf der Leitung?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 07:37:02

Hallo Taunus84, einen Dreher in der Reihenfolge hast du drin, die Reihenfolge ist hier: 1. Auflassung 2. Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs 3. Antrag auf Eigentumsumschreibung 4. Eintragung des Widerspruchs 5. Eintragung des G als Eigentümer Der Widerspruch wurde hier also erst nach dem Antrag auf Eigentumsumschreibung eingetragen. Daher ist die analoge Anwendung § 892 BGB zu diskutieren. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.8.2024, 11:09:58

Kleine Ergänzung: Da hier unter der Frage und den nachfolgenden Aufgaben in der Lektion einige Nachfragen aufgetaucht sind, habe ich die Aufgabe angepasst, sodass die Reihenfolge und Diskussion um § 892 BGB nun klarer wird. Danke, dass du uns mit deiner Anmerkung dabei hilfst, Jurafuchs noch besser zu machen!


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