Zivilrecht

Werkrecht

Gefahrtragungsregeln

Vergütungsgefahr bei Untergang aufgrund der vom Besteller erteilten Anweisung, Teilvergütung, § 645 I

Vergütungsgefahr bei Untergang aufgrund der vom Besteller erteilten Anweisung, Teilvergütung, § 645 I

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Stadt S lässt von der örtlichen Baufirma B eine Turnhalle errichten. Während der Bauarbeiten weist S die B an, statt Kies Asche als Füllmaterial zu verwenden. Die Asche zieht Wasser, quillt und beschädigt das Bauwerk noch während des Bauprozesses. Das konnten weder S noch B ahnen.

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Einordnung des Falls

Vergütungsgefahr bei Untergang aufgrund der vom Besteller erteilten Anweisung, Teilvergütung, § 645 I

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B trägt bis zur Abnahme die Vergütungsgefahr.

Genau, so ist das!

Die Vergütungsgefahr (=Gegenleistungsgefahr) betrifft die Frage, ob beim Untergang der Leistung der Gläubiger die Gegenleistung dennoch erbringen muss oder der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert. Der Unternehmer trägt bis zum Gefahrübergang die Vergütungsgefahr (§ 644 Abs. 1 BGB).
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2. B hat einen fälligen Anspruch auf die volle Vergütung aus § 631 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

B hat aus dem Werkvertrag einen Anspruch auf die volle Vergütung (vgl. § 631 Abs. 1 BGB). Diese ist jedoch erst mit Abnahme fällig (§ 641 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Turnhalle war noch nicht fertig gebaut. Sie war daher schon nicht abnahmefähig. Die Stadt hat sie auch nicht abgenommen.

3. Der Werkunternehmer hat Anspruch auf einen Teil der Vergütung, wenn das Werk infolge einer Weisung des Bestellers untergeht (§ 645 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Der Werkunternehmer hat Anspruch auf einen Teil der Vergütung, wenn das Werk durch einen Mangel des vom Besteller gelieferten Stoffs oder infolge einer vom Besteller erteilten Anweisung untergeht und der Unternehmer dies nicht zu vertreten hat (§ 645 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Besteller trägt damit das Risiko für seine Anweisung. Ob ihn ein Verschulden trifft, ist irrelevant. Der Werkunternehmer muss ihm jedoch Bedenken gegen die Anweisung mitteilen. Ansonsten hat er den daraus resultierenden Untergang zu vertreten.

4. S hat eine Anweisung erteilt.

Genau, so ist das!

Anweisungen sind eindeutige Anordnungen, die dem Unternehmer keine Wahl lassen, sondern verbindlich sind. Festlegungen, die bereits im Vertrag selbst getroffen wurden sind keine Anweisungen. Die Art und Weise der Herstellung ist Sache des Werkunternehmers. Der Besteller muss sich durch die Anweisung darin einmischen. Die Stadt hat das Bauunternehmen angewiesen, Asche zu verwenden. Der Einsatz war nicht nur erwünscht oder angeregt. Auch war er nicht vorher im Vertrag festgelegt.

5. Das Werk ist aufgrund der Weisung untergegangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Werk müsste infolge der Anweisung des Bestellers untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden sein (§ 645 Abs. 1 S. 1 BGB).Das Gebäude ist zwar beschädigt, jedoch nicht untergegangen.

6. Das Werk hat sich aufgrund der Anweisung verschlechtert.

Ja!

Das Werk müsste infolge der Anweisung des Bestellers untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden sein (§ 645 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Asche ist aufgequollen und hat die Turnhalle beschädigt. Diese wurde nur aufgrund der Anweisung der Stadt verwendet.

7. B hat die Verschlechterung zu vertreten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB).Weder wusste die Baufirma, dass sich die Asche nicht für den Einsatz eignete, noch hätte sie es wissen können.

8. B hat einen Anspruch auf einen Teil der Vergütung.

Ja, in der Tat!

Die Turnhalle hat sich aufgrund der Weisung verschlechtert, ohne dass B dies zu vertreten hätte. Ihm steht deshalb der Anspruch auf anteilige Vergütung nach § 645 Abs. 1 S. 1 BGB zu.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Katzenkönigin

Katzenkönigin

21.7.2021, 11:06:59

Wieso kann man hier nicht darauf abstellen dass eine Baufirma so etwas eigentlich wissen müsste? Bzw. sich darüber erkundigen müsste ob das Füllmaterial verwendbar ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 12:18:30

Hallo

Katzenkönig

in, in der Praxis würde man sicher die Frage stellen müssen, ob ein erfahrenes Bauunternehmen bei Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt nicht hätte erkennen müssen, dass hier die Asche kein geeignetes Füllmaterial ist. Sofern dies streitig ist zwischen den Parteien, müsste hierüber ggfs. ein Sachverständigengutachten angefordert werden. In unseren Fällen (und den Klausuren an der Uni) hat man es etwas leichter, da man den Sachverhalt als gegeben ansehen kann. Dieser besagt, dass beide Parteien nicht ahnen konnten, dass die Asche Wasser ziehen wird und das Bauwerk in Mitleidenschaft bringt. Daran ist man dann als Bearbeiter gebunden, auch im Hinblick auf die weitere Subsumtion. Fun Fact: So praxisfern ist dies übrigens gar nicht, da auch der BGH als Revisionsgericht und zum Teil auch die Berufungsgerichte (LG bzw. OLG) an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden sind. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Katzenkönigin

Katzenkönigin

22.7.2021, 12:27:05

Danke für diese ausführliche Antwort!

simon175

simon175

10.9.2024, 19:01:03

In der Aufgabe heißt es, dass der Unternehmer bei Anweisungen des Bestellers seine Bedenken mitteilen muss, *ansonsten hätte er den daraus resultierenden Untergang zu vertreten*. Geht das aus dem Telos der Norm hervor oder stellt man in dem Fall auf § 254 II S. 1 BGB ab? Mir persönlich erscheint es recht hart das Vertretenmüssen beim Mitverschulden im Fall der bloßen "Bedenken" 100%ig auf den Unternehmer zu verlagern. Vielleicht wisst Ihr mehr, danke.

TI

Timurso

11.9.2024, 07:39:53

Ein Abstellen auf § 254 BGB ergibt in diesem Fall keinen Sinn, da kein Schadensersatzanspruch im Raum steht. § 645 I 1 BGB setzt voraus, dass der Unternehmer den Untergang nicht zu vertreten hat. Bereits ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB würde dafür ausreichen, dass der Unternehmer den Untergang zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen wird dabei nicht zu 100% auf den Unternehmer verlagert, es realisiert sich dann einfach nur die Gefahr, die der Unternehmer ohnehin trägt. Außerdem ist es meiner Meinung nach durchaus sachgerecht, dass der Unternehmer, der in seinem Tätigkeitsfeld überlegenes Wissen hat, sicherstellen muss, dass seine Handlungen nicht zum Untergang des Werkes führt. Wenn er Bedenken hat, muss er denen halt nachgehen und im Zweifel recherchieren oder testen. Das beschwert ihn meiner Meinung nach jetzt nicht über Gebühr.


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