Saldotheorie - Vorleistungsfall

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

K hat von ihrer Freundin V für €4.000 ein E-Bike gekauft (Wert: €3.000). V stundet K den Kaufpreis für ein halbes Jahr. Bereits einen Monat nach der Übereignung wird es K entwendet. Sie hatte vergessen es abzuschließen. Später stellt sich heraus, dass der Kaufvertrag zwischen K und V nichtig war.

Diesen Fall lösen 77,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Saldotheorie - Vorleistungsfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat gegen K dem Grunde nach einen Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein Anspruch aus Leistungskondiktion besteht, wenn der Bereicherungsschuldner (1) etwas (2) durch Leistung des Bereicherungsgläubigers (3) ohne rechtlichen Grund erlangt hat.V hat K bewusst und zweckgerichtet Eigentum und Besitz an dem E-Bike verschafft. Da der Kaufvertrag nichtig ist, fehlt hierfür ein Rechtsgrund. Die Anspruchsvoraussetzungen der Leistungskondiktion liegen vor.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Ist der Bereicherungsausgleich bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Fahrrad entwendet wurde?

Nein!

Kann das Erlangte, die Nutzungen oder das Surrogat nicht (mehr) so, wie sie erlangt worden sind, herausgegeben werden, ist nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Voraussetzung ist, dass das Erlangte wegen seiner Beschaffenheit oder aus einem anderen Grunde nicht (mehr) herausgegeben werden kann. Die Wertersatzpflicht steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Einwendung der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) nicht greift. K kann das E-Bike nicht mehr in natura herausgeben, hat also - unter dem Vorbehalt einer Entreicherung - Wertersatz zu leisten.

3. Nach der eingeschränkten Zweikondiktionentheorie kann K sich gegenüber V auf die Entreicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der eingeschränkte Zweikondiktionentheorie sind die Kondiktionsansprüche auch bei der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge im Grundsatz unabhängig voneinander. Geht allerdings einer der Leistungsgegenstände unter, so wird die Berufung auf Entreicherung normativ eingeschränkt. Der Bereicherungsschuldner kann sich hierauf nur berufen, wenn der Untergang nicht in seine Risikosphäre fällt.Der Verlust des E-Bikes durch Diebstahl fällt in den Verantwortungsbereich der K. Damit ist ihr nach der eingeschränkten Zweikondiktionentheorie der Einwand der Entreicherung versagt.Zur Bestimmung der Risikosphäre wird teilweise auf die Wertungen des Rücktrittsrechts zurückgegriffen (vgl. § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB).

4. Nach der Saldotheorie kann K sich gegenüber V auf die Entreicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB).

Ja, in der Tat!

Um eine Besserstellung des Entreicherten gegenüber der regulären Vertragsdurchführung zu verhindern, sind nach der Saldotheorie die gegenseitigen Ansprüche zunächst zu verrechnen (saldieren). In den Vorleistungsfällen hat der Bereicherungsschuldner selbst noch keine Gegenleistung erbrach. Er besitzt somit keinen eigenen Kondiktionsanspruch. Eine Verrechnung ist somit nicht möglich. Es bleibt bei der Anwendung des § 818 Abs. 3 BGB.Das E-Bike wurde K gestohlen. Es ist kein Gegenwert für das E-Bike mehr in ihrem Vermögen zu finden. Sie ist somit entreichert und V nicht zu Wertersatz verpflichtet.

5. Muss man sich vorliegend zwischen den Theorien entscheiden?

Ja!

Da die Theorien hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid notwendig. Zugunsten der eingeschränkten Zweikondiktionenlehre sprechen hier die folgenden Erwägungen: (1) Der Käufer stünde in den Vorleistungsfällen sonst besser als bei regulärer Durchführung des Vertrages. (2) Der Verkäufer übernehme mit der Vorleistung nur das Insolvenzrisiko des Käufers. Durch die Vorleistung soll aber nicht auch das Risiko des zufälligen Untergangs der Kaufsache übernommen werden.Der Käufer schuldet aber maximal Wertersatz in Höhe des Kaufpreises. Denn mehr hätte er ja auch bei regulärer Vertragserfüllung nicht aufwenden müssen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

© Jurafuchs 2024