Saldotheorie – Arglistige Täuschung (unverschuldeter Untergang)


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Klassisches Klausurproblem

V verkauft an K einen gebrauchten Smart. Er täuscht dabei die K über die von dem Wagen bereits gefahrene Strecke. Am Tage nach der Auslieferung wird der Wagen ohne Verschulden der K zerstört. In der Werkstatt erfährt K von der Täuschung und ficht den Vertrag an.

Einordnung des Falls

Saldotheorie – Arglistige Täuschung (unverschuldeter Untergang)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Kaufvertrag ist infolge der Anfechtung nichtig (§ 142 BGB).

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Ja, in der Tat!

Die wirksame Anfechtung hat die Nichtigkeit des angefochtenen Vertrages zur Folge. Für die Anfechtung bedarf es (1) eines Anfechtungsgrundes und (2) einer rechtzeitigen Anfechtungserklärung. (3) Schließlich darf die Anfechtung nicht ausgeschlossen sein.V hat K über die Laufleistung des Smart widerrechtlich getäuscht. Dies führte zu einem Irrtum der K aufgrund dessen sie den Kaufvertrag abschloss. K stand somit ein Anfechtungsgrund zu (§ 123 BGB). K hat die Anfechtung gegenüber V innerhalb eines Jahres und damit fristgemäß erklärt (§ 124 BGB).

2. K steht bezüglich des gezahlten Kaufpreises dem Grunde nach ein Anspruch aus Leistungskondiktion zu (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

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Ja!

Ein Anspruch aus Leistungskondiktion besteht, wenn der Bereicherungsschuldner (1) etwas (2) durch Leistung des Bereicherungsgläubigers (3) ohne rechtlichen Grund erlangt hat.K hat V bewusst und zweckgerichtet Eigentum und Besitz an dem Kaufpreis verschafft. Durch die Anfechtung wurde der Kaufvertrag rückwirkend nichtig. Somit fehlt es an einem Rechtsgrund für ihre Leistung.

3. Könnte K bei Anwendung der Saldotheorie den vollen Kaufpreis herausverlangen?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der von der Rechtsprechung vertretenen Saldotheorie sind bei Rückabwicklung eines nichtigen Vertrages die gegenseitigen Kondiktionsansprüche zunächst zu verrechnen (saldieren). Ist ein Bereicherungsgegenstand weggefallen, so ist dessen Wert in Ansatz zu bringen. Nur wenn für die entreicherte Partei ein positives Saldo verbleibt, steht ihr ein entsprechender Bereicherungsanspruch zu. Bei Anwendung der Saldotheorie müsste K von ihrem Bereicherungsanspruch noch den Wertersatzanspruch des K im Hinblick auf den zerstörten Smart abziehen.

4. Findet die Saldotheorie zulasten von K Anwendung?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Rechtsprechung ist die Saldotheorie nicht anwendbar, wenn der entreicherte Vertragspartner durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zu dem Vertragsschluss bestimmt worden ist. Dies lasse sich damit rechtfertigen, dass der Betroffene in diesen Fällen besonders schutzwürdig erscheint. V hat K arglistig getäuscht, weswegen die Saldotheorie keine Anwendung findet. K kann somit den Kaufpreis herausverlangen und muss den Wertersatzanspruch nicht abziehen. Gegen Vs Wertersatzanspruch kann K den Entreicherungseinwand (§ 818 Abs. 3 BGB) erheben.

5. Kann sich K nach der eingeschränkten Zweikondiktionentheorie auf die Entreicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB)?

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Ja!

Nach der eingeschränkte Zweikondiktionentheorie wird die Berufung auf Entreicherung normativ eingeschränkt. Der Bereicherungsschuldner könne sich hierauf nur berufen, wenn der Untergang des Leistungsgegenstandes nicht in seine Risikosphäre fällt. Eine arglistige Täuschung habe dabei - anders als z.B. Minderjährigkeit - keinen Einfluss auf die Risikoverteilung.Der Wagen ist ohne Ks Verschulden zerstört worden. Insoweit ist der Untergang nicht ihrer Risikosphäre zuzuordnen. Die Bestimmung der Risikosphäre lässt sich aus einem Vergleich zum Rücktrittsrecht herleiten. Wäre K statt anzufechten zurückgetreten (§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 5 BGB), wäre die Wertersatzpflicht mangels Verschulden ausgeschlossen (§ 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB). Die gleiche Wertung soll auch im Falle der Anfechtung gelten.

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AL

Alicia99

12.10.2023, 14:26:27

In der zweiten Frage steht glaube ich fälschlicherweise zwei mal „K“

Martin

Martin

20.2.2024, 14:40:07

Hallo zusammen, Eine bedeutende Mindermeinung (Finkenauer) in diesem Fall sei zu erwähnen. Diese bleibt aufgrund folgender Argumente bei der Saldotheorie: Die Unredlichkeit des V hat nichts mit der Zerstörung zu tun. Vielmehr ging K davon aus den Wagen behalten zu dürfen und hat daher das Risiko für das Auto übernommen (unabhängig davon ob der Kaufvertrag wirksam ist oder nicht). Die vermögensmäßige Lage ist daher gleich wie bei den typischen Fällen. Die Idee, dass man dennoch die Unredlichkeit des V in die Wertung bei der Vermögensabschöpfung miteinbezieht, hat daher eher was mit Bestrafung des arglistig Täuschendem als mit einer vermögensmäßigen Rückabwicklung zu tun. Eine solche ist jedoch dem deutschen Zivilrecht grds fremd. (Nur dann, wenn die Täuschung das Risiko des Untergang der Sache erhöht oder kausal war, ist die Anwendung der Zweikondiktionenlehre angebracht.) Wieling/Finkenauer, Bereicherungsrecht, § 5 Rn. 18. LG Martin

DAV

david1234

23.2.2024, 16:49:27

Danke ! Interessanter Ansatz, der Strafgedanke kam mir auch.

LO

Lorenz

31.5.2024, 12:06:20

Andererseits ist die Saldotheorie bereits eine Privilegierung, abweichend vom gesetzlichen Regelfall. Für Täuschende bleibt es einfach dabei. Ob der gesetzliche Regelfall eine Bestrafung darstellt, kann man sicher so oder so sehen.


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