Statthaftigkeit / materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B verklagt K auf Zahlung von €50.000. K verliert den Prozess, verzichtet auf eine Berufung und zahlt direkt im Anschluss €50.000 an B. B beauftragt dennoch Gerichtsvollzieher G, der den Porsche des K pfändet. K möchte gegen die Pfändung gerichtlich vorgehen.

Einordnung des Falls

Statthaftigkeit / materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann den verlorenen Prozess fortsetzen, um gegen die Pfändung des Porsches vorzugehen.

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Nein!

Die Zwangsvollstreckung ist das Verfahren, in dem Leistungsansprüche durch staatlichen Zwang verwirklicht werden; es ist unabhängig vom Erkenntnisverfahren, in dem der Anspruch festgestellt wird. Durch den Rechtsmittelverzicht des B wird das Urteil rechtskräftig; der Rechtsstreit ist damit abgeschlossen. Die Rechtsbehelfe des Zwangsvollstreckungsrecht leiten einen neuen Rechtsstreit ein und setzen nicht den früheren fort. K kann also nicht einfach den verlorenen Prozess fortsetzen, um gegen die Pfändung vorzugehen.

2. Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist der statthafte Rechtsbehelf, wenn K sich gegen den gerichtlich festgestellten Anspruch wendet.

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Genau, so ist das!

Die Vollstreckungsabwehrklage ist statthaft (§ 767 Abs. 1 ZPO), wenn der Kläger als Schuldner des Vollstreckungsverfahrens gegen den Beklagten als Vollstreckungsgläubiger materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch erhebt. K müsste materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch des B erheben.

3. K kann mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Pfändung des Porsches vorgehen.

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Ja, in der Tat!

K kann hier gegen den Anspruch des B auf Zahlung von €50.000 einwenden, er habe bereits gezahlt, d.h. den Anspruch des B erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Der Einwand, erfüllt zu haben, ist ein materiell-rechtlicher Einwand, der sich gegen den Anspruch selbst richtet. Die Erfüllung ist damit ein Grund, auf dem eine Einwendung im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) beruhen kann. Der richtige Rechtsbehelf für K ist somit die Vollstreckungsabwehrklage.

4. Die erfolgreiche Vollstreckungsabwehrklage beseitigt das Urteil, das B die €50.000 zugesprochen hat.

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Nein!

Bei der Vollstreckungsabwehrklage handelt es sich nach herrschender Meinung um eine prozessuale Gestaltungsklage. Sie beseitigt nicht das Endurteil als Vollstreckungstitel (§ 704 ZPO), sondern nur dessen Vollstreckbarkeit. Wenn die Vollstreckungsabwehrklage des K erfolgreich ist, erklärt das Gericht die Zwangsvollstreckung für unzulässig. Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen (§ 775 Nr. 1 ZPO).

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EVA

evanici

9.9.2023, 09:30:46

Das heißt nach § 775 I Nr. 1 wäre die Entscheidung ihrerseits wieder ein vollstreckbarer Titel? Könnte man gegen diesen dann wieder Vollstreckungsabwehrklage erheben?

BEEPB

BeepBoop

1.4.2024, 20:31:02

Die Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage wird zwar insgesamt für vorläufig vollstreckbar erklärt (um schon vor Rechtskrafteintritt die Folgen des § 775 Nr. 1 ZPO auszulösen), allerdings ist der Hauptausspruch als Gestaltungsentscheidung (= Vollstreckung wird für unzulässig erklärt) nicht vollstreckbar und insofern eine Vollstreckungsabwehrklage auch nicht statthaft. Denkbar wäre allerdings, dass man isoliert gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss, der einen Titel nach § 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO darstellt, eine VAK erhebt (vgl. zur Anwendbarkeit § 795 ZPO). Zu letzterem gibt es in diesem Kapitel auch noch einen Fall.

VALA

Vanilla Latte

7.10.2023, 21:55:11

Könnt ihr vielleicht noch einige allgemeinere Fragen aufnehmen? Was sind zb materiell rechtliche Einwendungen und vieles mehr. Dass man mehr eine richtige Einführung hat.

AN

An

20.12.2023, 19:02:09

könntet ihr ggfs. bei frage zwei den Begriff des gerichtlich festgestellten Anspruchs präzisieren? man könnte darunter so auch den Anspruch auf Zahlung der 50k€ verstehen.

n.Mj

n.Mj

15.4.2024, 18:20:01

Ja, denke auch, dass es hier einer Präzisierung bedarf. Nach § 767 geht man ja gegen den „titulierten Anspruch“ vor und nicht gegen den Anspruch als solchen. Da hatte ich auch Verständnisprobleme


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