Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit: Feststellungslast bei atypischem Fall
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit: Feststellungslast bei atypischem Fall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K ist schon lange Inhaber einer Waffenbesitzkarte. Jetzt ist er NPD-Mitglied geworden und direkt zum stellvertretenden Vorsitzenden eines Kreisverbandes gewählt worden. Er vertritt die Partei im Kreistag sowie Gemeinderat. Aufgrund seiner Unterstützung der NPD wird seine Waffenbesitzkarte wegen fehlender Zuverlässigkeit widerrufen.
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Einordnung des Falls
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit: Feststellungslast bei atypischem Fall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nach erfolglosem Widerspruch erhebt K Klage. Statthaft ist eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) auf Aufhebung des Widerrufs.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Waffenbesitzkarte aufgrund einer veränderten Sach- oder Rechtslage ist §§ 45 Abs. 1 WaffG.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der Tatbestand der §§ 45 Abs. 2 S. 1, 4 Abs 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 Nr. 3 b WaffG ist erfüllt, wenn die erforderliche Zuverlässigkeit nachträglich weggefallen ist.
Ja!
4. Da K Mitglied einer Partei ist, kann das Fehlen der erforderlichen Zuverlässigkeit nur auf § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG gestützt werden. Dies ist neben § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG die speziellere Regelung.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Die NPD ist eine Vereinigung, deren Bestrebungen sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten (§ 5 Abs. 2 Nr. 3b WaffG).
Ja, in der Tat!
6. Als stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes und Vertreter im Kreistag und Gemeinderat hat K die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Bestrebungen der NPD unterstützt.
Ja!
7. Die Vermutung des Fehlens der erforderlichen Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3b WaffG ist unwiderlegbar.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Die Regelvermutung kann auch dadurch widerlegt sein, dass der typisierte Zusammenhang zwischen der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und dem Schutzzweck des WaffG ausnahmsweise fehlt.
Ja, in der Tat!
9. Hinsichtlich eines solchen atypischen Ausnahmefalls trifft K eine besondere Darlegungspflicht.
Ja!
10. K kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, dass er keine Kenntnis über bestimmte hetzende Äußerungen oder einschüchternde Verhaltensweisen seitens NPD-Mitgliedern hatte.
Genau, so ist das!
11. Die Klage des K ist unbegründet.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
25.7.2021, 11:47:03
Welche Qualität muss die Feststellung der, untechnisch gesprochen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen haben? Reicht da die Einstufung durch den Verfassungsschutz oder braucht es den Richterspruch vom BVerfG?
Ferdinand
26.7.2021, 11:42:18
Ausgehend vom Wortlaut würde ich folgendes sagen: § 5 II Nr. 2 b) WaffG normiert die Vermutung der Unzuverlässigkeit aufgrund der Mitgliedschaft in einer Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht nach § 46 des BVerfGG festgestellt hat. § 5 II Nr. 3 b) WaffG normiert die Unzuverlässigkeit aufgrund der Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die Bestrebungen im Sinne des lit. a) verfolgt. Aus dem Umkehrschluss würde ich sagen, dass eine Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch niemanden im Vorhinein erfolgen muss, sondern dass die Entscheidung/Einschätzung durch die zuständige
Behördegetroffen werden kann.
Ferdinand
26.7.2021, 11:48:50
M.E. kann man überlegen, ob § 5 II Nr. 3 b) WaffG im Lichte des Nr. 2 b) verfassungsgemäß dahingehend auszulegen ist, dass wenn sich die Gefahrenprognose auf die Mitgliedschaft in einer Partei und nicht in irgendeiner sonstigen Vereinigung stützt, immer die „Form“ des Nr. 2 b) zu wahren ist. Im Klartext: Wenn es um die Mitgliedschaft in einer Partei geht, muss zwingend die Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG festgestellt werden. Eine unvertretbare Schutzlücke entstünde nicht, da ja immer noch die Möglichkeit des Abs. 2 Nr. 3 a) besteht, wenn von dem einzelnen Parteimitglied konkret etwas zu befürchten ist. (Das sind alles nur (vermeintlich) schlaue Gedanken, die ich mir eben gemacht habe. Ich weiß nicht, ob es irgendjemanden gibt, der das so ähnlich sieht bzw. was überhaupt dazu im Kommentar steht.)
Wendelin Neubert
5.1.2022, 18:01:26
Liebe Isabell, danke für Deine Frage, und danke für Deine Antworten, lieber Ferdinand. Zunächst - wie von Dir richtig eingeschätzt, lieber Ferdinand - setzt die Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG keine Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das BVerfG bzw. kein Verbot einer Vereinigung nach dem Vereinsgesetz voraus. Diese Unzuverlässigkeitsgründe sind in § 5 Abs. 2 Nr. 2 a) und b) WaffG geregelt und stehen nach der h.M. und der Rechtsprechung des BVerwG mit Blick auf Wortlaut und Systematik gerade neben den Unzuverlässigkeitsgründen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG (BVerwG, Urt. v. 19.06.2019 - BVerwG 6 C 9.18 -, RdNr. 15, mwN).
Wendelin Neubert
5.1.2022, 18:03:30
Der entscheidende Unterschied liegt in Folgendem: Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG knüpft die Unzuverlässigkeit bereits an die Mitgliedschaft in der verbotenen Partei oder dem verbotenen Verein an. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG knüpft die Unzuverlässigkeit an das Verfolgen der vom Gesetz normierten gefährlichen Bestrebungen bzw. an deren Unterstützung an.
Wendelin Neubert
5.1.2022, 18:15:51
Nach h.M. ist es auch nicht geboten, Mitglieder einer Partei dahingehend zu privilegieren, dass ihnen die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nur nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG abgesprochen werden kann. Zwar könne eine Anwendung von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG auf Parteimitglieder eine mittelbare Beeinträchtigung des Parteienprivilegs (Art. 21 Abs. 1 GG) beinhalten, weil die Aussicht der Nichterteilung oder des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis bei einem Teil der Anhänger der Partei dazu führen könne, von Aktivitäten für die Partei abzusehen. Allerdings sei diese mittelbare Beeinträchtigung mit Blick auf die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gerechtfertigt (BVerwG, Urt. v. 19.06.2019 - 6 C 9.18 -, RdNr. 18f.).
Wendelin Neubert
5.1.2022, 18:28:27
Jetzt noch zu Deiner ersten Frage, liebe Isabell: Die für die Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG vorausgesetzten verfassungsfeindlichen Bestrebungen sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Für deren Auslegung und Anwendung ist die nach dem WaffG zuständige
Behördeverantwortlich. Geht es um die Bestrebungen einer Vereinigung, so ist entscheidend, ob die Vereinigung nach außen eine kämpferisch aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnimmt. Bei Deiner Auslegung, ob elementare Verfassungsgrundsätze betroffen sind, kannst Du An
leihenehmen bei § 92 Abs. 2 StGB oder § 4 Abs. 2 BVerfSchG. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
falktghl
8.1.2024, 21:19:03
Die NPD hat sich umbenannt und heisst jetzt „die Heimat“