Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Tötungsvorsatz ja oder nein? (BGH, Urt. v. 18.01.2024 - 4 StR 289/23)
Tötungsvorsatz ja oder nein? (BGH, Urt. v. 18.01.2024 - 4 StR 289/23)
19. April 2025
10 Kommentare
4,8 ★ (28.903 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und O haben Streit. T schlägt den O und wirft ihn zu Boden. O bleibt regungslos liegen. T schlägt O fünfmal mit der Faust gegen den Kopf, wobei dieser gegen die Straße schlägt. Ts Bekannte rufen, er solle damit aufhören. T stoppt sofort. O kommt später wieder zu Bewusstsein, als T schon weg ist.
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Einordnung des Falls
Tötungsvorsatz ja oder nein? (BGH, Urt. v. 18.01.2024 - 4 StR 289/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 18 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T den O schlug, zu Boden schleuderte und weiter gegen Os Kopf schlug, könnte er sich wegen versuchtem Totschlag strafbar gemacht haben (§§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. T müsste Tatentschluss gehabt haben, den O zu töten. Waren Ts Faustschläge so stark, dass man ohne Weiteres annehmen kann, dass T Tatentschluss hatte, den O zu töten?
Nein!
3. Ob T Tatentschluss bezüglich einer Tötung des O hatte, musst Du hier genauer prüfen. Könnt T auch nur bewusst fahrlässig gehandelt haben?
Genau, so ist das!
4. Die Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist umstritten. Ist es nach allen Ansichten Voraussetzung, dass für vorsätzliches Handeln (auch) ein voluntatives Element vorliegen muss?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Um Eventualvorsatz und bewusst fahrlässiges Verhalten voneinander abzugrenzen, ist nach der h.M. zusätzlich ein voluntatives Element erforderlich.
Ja!
6. Nach der Billigungstheorie liegt Vorsatz vor, wenn der Täter den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt. Kommt es für die Feststellung des Vorsatzes allein auf eine objektive Betrachtung der Umstände an (BGH)?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Heftige Schläge gegen den Kopf einer bewusstlosen Person können nach allgemeiner Kenntnis tödlich sein. Spricht dies dafür, Ts kognitive Element des Eventualvorsatzes anzunehmen?
Ja, in der Tat!
8. T erkannte die Gefährlichkeit seines Tuns und setzte es trotzdem fort. Kann man daraus zunächst auf Ts billigende Inkaufnahme von Os Tod (= voluntatives Vorsatzelement) schließen?
Ja!
9. Gegen die Annahme des voluntativen Elements könnte ausnahmsweise sprechen, dass T im Affekt handelte und die Gefahr seiner Handlung nicht erkannte. Liegt hier allein deswegen eine Affekttat vor, weil T und O sich vorher gestritten haben?
Nein, das ist nicht der Fall!
10. T hat den O schon mehrmals heftig gegen den Kopf geschlagen. Liegt damit ein unmittelbares Ansetzen unproblematisch vor?
Ja, in der Tat!
11. T hat den Tatbestand erfüllt. Könnte T aber strafbefreiend vom Versuch des Totschlages zurückgetreten sein, indem er weitere Schläge unterließ (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB)?
Ja!
12. Für die weiteren Voraussetzungen des Rücktritts musst Du zunächst zwischen beendetem und unbeendetem Versuch unterscheiden (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB).
Genau, so ist das!
13. Hier liegt unproblematisch ein unbeendeter Versuch vor, weil T offensichtlich dachte, noch nicht alles getan zu haben, was zu Os Tod führen könnte.
Nein, das trifft nicht zu!
14. Ts Versuch war beendet. Scheidet damit ein Rücktritt von vornherein aus?
Nein!
15. Zudem könnte T eine gefährliche Körperverletzung begangen haben. Hat T den O körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt (§§ 223 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
16. T hat die Körperverletzung außerdem „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
Ja, in der Tat!
17. Subjektiv setzt der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nach allgemeiner Ansicht voraus, dass der Täter sein Opfer in eine Lebensgefahr bringen will.
Nein!
18. T hat sich vorliegend wegen versuchtem Totschlag nach §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB und wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht. Tritt die gefährliche Körperverletzung hinter den versuchten Totschlag zurück?
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo
2.1.2025, 09:13:17
Der Täter hat hier ja laut BGH in Hinblick auf den beendeten Versuch keine ausreichende
Rücktrittshandlung vorgenommen. Dafür wäre entweder eine
Vollendungsverhinderung gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB oder ein ernsthaftes Bemühen gem. § 24 Abs. 1 S. 2 StGB erforderlich. Mich überzeugt es schon nicht vollständig, einen beendeten Versuch anzunehmen. Dies aber unterstellt, liegt dann nicht in dem Aufhören und Weggehen eine
Vollendungsverhinderung durch Unterlassen? Denn wenn er weiter auf das Opfer eingeschlagen hätte, wäre dieses irgendwann tatsächlich verstorben.
Florian
5.1.2025, 22:22:58
Wenn man das so verstehen würde, dann wäre der Wortlaut "aufgeben" ohne Inhalt, weil dieser Fall ja immer schon durch das "Verhindern der
Vollendung" (durch Unterlassen) erfasst wäre. Der Gesetzgeber hat es aber anders geregelt, verlangt für das Verhindern also ein aktives Verhalten. Ein Unterlassen soll dafür gerade nicht ausreichen.

Nocebo
6.1.2025, 12:48:52
Das überzeugt mich nicht, weil "Aufgeben" sich auf die unbeendeten Versuch bezieht. Wir sind jetzt aber beendeten und zwar in dem Sonderfall, dass der Versuch objektiv unbeendet ist (das Opfer überlebt ohne äußere Hilfe) aber der Täter subjektiv von einer Beendigung ausgeht. Dann ist ja die Frage, ob die objektiv ausreichende Handlung (Unterlassen) auch für den
Rücktrittreichen soll oder man vom Täter mehr fordert als erforderlich ist.
Florian
6.1.2025, 12:59:37
Da hast du Recht, da hatte ich einen Denkfehler. Aber trotzdem bin ich da anderer Auffassung als du. Man geht beim
Rücktrittja immer vom
Rücktrittshorizontdes Täters aus (subjektiv) und nach der gesetzgeberischen Entscheidung gibt es eine Regelung zum
Rücktrittbei beendetem Versuch durch Aufgeben ja gerade nicht. Wenn es einen Fall "Verhindern durch Unterlassen" gäbe, dann würde das ja letztlich "Aufgeben" der Tat sein. Da der Gesetzgeber in der Norm aber gerade eine andere Formulierung gewählt hat, sollte es diesen Fall beim beendeten Versuch aber gerade nicht geben, sondern stets ein
aktives Tunerfordern.

Nocebo
6.1.2025, 13:57:08
"Für das geforderte Verhindern der Tat
vollendungkann ein rein passives Verhalten des Täters nicht genügen (RG 39 221, BGH NStZ 84, 116, Hamm NJW 77, 641, Hoffmann-Holland MK 125; daher verfehlt die Begr. von Karlsruhe NJW 78, 331 m. abl. Anm. Küper 956, Schroeder JuS 78, 824; vgl. auch Roxin JR 86, 426 f. zu BGH 33 301), ebenso wenig, dass der Täter dem Opfer lediglich erlaubt, selbst Hilfe herbeizutelefonieren (BGH NJW 90, 3219). Die phänomenologische Unterscheidung zwischen Aktivität und Passivität bietet hierfür Anhaltspunkte, die geforderte Aktivität muss aber auch eine gewisse Handlungsqualität aufweisen (vgl.u. 59c)." (Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 24 Rn. 59a, beck-online) Stimmt, hier steht es entsprechend.
Leo Lee
3.2.2025, 12:25:38
Hallo Nocebo, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat klingt das etwas komisch; da der BGH mit Revisionen beauftragt wird, wird leider auch in vielen Fällen nicht wirklich auskömmlich auf die Gründe hinter den Entscheidungen der Senate eingegangen. Unseres Erachtens hat der BGH auch aus rechtspolitischen Gründen sich wahrscheinlich dafür entschieden, diese Feststellung zugunsten der Strafbarkeit zu treffen. Denn wer jemanden bewusstlos schlägt und danach weiter auf ihn einprügelt (was dann ggf. zum Tode führen kann), sollte nicht einfach dadurch sich freikaufen können, indem er ohne Weiteres weggeht, etwa ohne erste Hilfe etc. geleistet zu haben. Dies würde auch zu dem Gedanken des ernsthaften Bemühens passen, weil der Täter in der gegebenen Situation eben nicht das "Beste" (in diesem Fall eher das Hehrste) getan hat. Eine super zufriedenstellende Lösung ist dies natürlich nicht, zumal sie dogmatisch nicht komplett "bombenfest" erscheint. Allerdings ist der BGH nach wie vor ein Gericht, das realistisch entscheiden muss (anders als wir im Studium!) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Tinki
8.1.2025, 09:15:29
Wenn der O gestorben wäre, hätte man §§ 223, 224 dann in der Klausur noch geprüft? Oder bloß mit einem Satz erwähnt, dass diese Tatbestände auch erfüllt sind, aber zurücktreten wg.
Konsumtion?
Susi<3
26.2.2025, 20:25:35
Kurz erwähnen dass es mitverwirklicht wurde aber zurück tritt
Marco
19.3.2025, 08:27:08
nach einer m.M. (uA Rengier) könnte im Beton ein gefährliches Werkzeug zu erblicken sein (er nimmt dies jedenfalls für eine Wand an)
Rechtsanwalt B. Trüger
7.4.2025, 14:20:03
Das stimmt zwar. Ich würde es dennoch wirklich nicht vertreten in der Klausur, weil nach diesem Maßstab quasi alles als gefährliches Werkzeug qualifiziert werden könnten. Die überwiegende Ansicht lehnt die Meinung von Rengier (mMn zurecht) auch ab