+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Polizei hat gesicherte Erkenntnisse, dass Mitglied M eines Motorradclubs in den nächsten Tagen einen Anschlag auf den sog. Präsidenten eines verfeindeten Motorradclubs verüben will. Amtsanwärterin A bringt auf eigene Faust zur Überwachung heimlich Wanzen in Ms Wohnung an.
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Einordnung des Falls
Verdeckte Datenerhebung aus Wohnungen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In den Polizeigesetzen/ Datenverarbeitungsgesetzen der Länder besteht eine Standardermächtigung zur verdeckten Wohnraumüberwachung unter Einsatz technischer Mittel.
Ja!
Die Polizeigesetze/ Datenverarbeitungsgesetze der Länder beinhalten Standardermächtigungen zur optischen und akustischen Überwachung des Wohnraums unter Einsatz von technischen Mitteln (§ 33 Abs. 2 BremPolG, § 33a bbgPolG, § 22 hamPolDVG). Eine Wohnung im Sinne des Polizeirechts ist ein Raum privater Lebensgestaltung, des privaten Lebens und Wirkens, welcher der Allgemeinheit nicht zugänglich ist. Er deckt sich mit dem aus Art. 13 Abs. 1 GG. Umfasst sind auch Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (§ 38 ABs. 1 HSOG, § 24 Abs. 1 NPOG), § 20 Abs. 1 Nr. 3 POG RP).
Teilweise besteht eine eigenständige Regelung (bspw. Art. 41 BayPAG) für diese Art der Datenerhebung, teilweise ist die Maßnahme zusammen mit der Observation und Überwachung außerhalb der Wohnung geregelt (bspw. § 25 ASOG).
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2. Durch das Verwanzen von M's Wohnung ist der sachliche Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eröffnet.
Genau, so ist das!
Art. 13 Abs. 1 GG schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Eine Wohnung ist ein Raum privater Lebensgestaltung, des privaten Lebens und Wirkens, der nicht jedermann zugänglich ist. Die Wohnung soll ein Raum der Privatheit frei von staatlicher Einflussnahme sein.
Durch das Verwanzen können Gespräche innerhalb der Wohnung mitgehört oder -geschnitten werden. Dadurch ist der private Rückzugsort beeinträchtigt, sodass der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG eröffnet ist.
Bei Überwachung von Telefongesprächen kommt auch eine Verletzung vom Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) in Betracht, welches die Fernkommunikation ohne staatliche Einflussnahme garantiert. Sofern das technische Mittel an der Leitung bzw. dem Telefon ansetzt, also den Übermittlungsvorgang als solchen betrifft, liegt eine Verletzung von Art. 10 Abs. 1 GG vor. Sofern das Telefongespräch durch Verwanzen des Raumes mitgehört wurde, liegt eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG vor.
3. Durfte A die Wanzen aus eigenem Ermessen in Ms Wohnung anbringen?
Nein, das trifft nicht zu!
Die präventive Wohnungsüberwachung unterliegt einem Richtervorbehalt (§ 33 b Abs. 4 SOG MV, § 35 a Abs. 3 NPOG, § 35 Abs. 2 POG RP). Eine Anordnung durch die Polizei selbst reicht in der Regel nicht aus, es sei denn es liegt Gefahr im Verzug vor und die Anordnung wurde nachträglich richterlich bestätigt (§ 41 Abs. 3 S. 2ff. SächsPolG, § 17 Abs. 5 SOG LSA). Gefahr im Verzug liegt vor, wenn das Ziel und die Effektivität der Maßnahme bei Einhaltung des „normalen“ Verfahrens in unzumutbarer Weise vereitelt würde.
A durfte die Wanze nicht nach eigenem Ermessen anbringen. Es hätte einer richterlichen Anordnung (§ 33 Abs. 3 BremPolG, § 17 Abs. 5 SOG LSA, § 50 Abs. 2 S. 1 PolG BW) bedurft. Die Maßnahme ist damit formell rechtswidrig.
Hintergrund des Richtervorbehaltes ist der qualifizierte Gesetzesvorbehalt aus Art. 13 Abs. 4 GG. Das Grundgesetz stellt Anforderungen für die präventive Wohnraumüberwachung auf, welche die einschränkenden Gesetze einhalten müssen, um verfassungsgemäß zu sein.
Trotz der formellen Rechtswidrigkeit darfst Du die Klausur an dieser Stelle nicht abbrechen, sondern musst auch die materielle Rechtmäßigkeit überprüfen..
4. Die Wohnraumüberwachung ist materiell rechtmäßig, weil sie der Verhinderung eines bevorstehen Tötungsversuchs diente – vorausgesetzt der Polizei bleiben keine andere Möglichkeiten zur Verhinderung.
Ja!
Nach dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt (Art. 13 Abs. 4 GG) ist eine präventive Wohnraumüberwachung nur zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit zulässig, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr (Art. 13 Abs. 4 S. 1 GG). In Konformität mit dem Grundgesetz können die Polizeigesetze/ Datenverarbeitungsgesetze der Länder nur in diesem Rahmen die Eingriffsvoraussetzungen definieren. Im Einzelnen variiert die Umsetzung im Hinblick auf den Gefahrengrad oder das gefährdete polizeiliche Schutzgut. In Bremen ist beispielsweise eine präventive Wohnraumüberwachung zur Abwehr einer nicht anders abwehrbaren und gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erlaubt, wenn zusätzlich Tatsachen vorliegen, dass die Person, der die Gefahr droht oder von der die Gefahr ausgeht, sich in der Wohnung aufhält (§ 33 Abs. 2 BremPolG).
Eine präventive Wohnraumüberwachung ist nicht zur Bekämpfung von Straftaten möglich, da Art. 13 Abs. 4 GG dies nicht als Eingriffsvoraussetzung bestimmt.
Der Polizei liegen gesicherte Tatsachen vor, dass M in den nächsten Tagen P töten will. Auf Grundlage dieser Tatsache kann die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem alsbaldigen Schaden für die Gesundheit oder das Leben von P ausgehen. Die Gefahr ist nicht anders abwendbar. Zudem wird Ms Wohnung überwacht, wobei die Gefahr von M ausgeht.
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