Einsatz verdeckter Ermittler

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizistin P arbeitet auf eigene Faust verdeckt als Kellnerin in der Bar von B. B steht unter Verdacht, in der Bar mit große Mengen von Kokain und Ecstasy zu handeln. P sammelt durch ihren verdeckten Einsatz Informationen über B.

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Einordnung des Falls

Einsatz verdeckter Ermittler

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Polizeigesetze bzw. polizeilichen Datenverarbeitungsgesetze der Länder beinhalten Standardermächtigungen zur Datenerhebung ohne Einsatz von technischen Mitteln.

Ja!

Die Polizeigesetze bzw. polizeilichen Datenverarbeitungsgesetze der Länder sehen sowohl Standardermächtigungen zur Erhebung von personenbezogenen Daten unter Einsatz von technischen Mitteln als auch ohne Einsatz technischer Mittel vor. Unter Letzteres fällt beispielsweise die Observation (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 PAG TH, § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ASOG, § 185 Abs. 1 Nr. 1 LVwG), der Einsatz von Vertrauenspersonen (§ 16 Abs. 1 HSOG, § 28 Abs. 1 hamPolDVG) oder der Einsatz einer verdeckt ermittelnden Person (§ 36a Abs. 1 NPOG, § 35 Abs. 1 BremPolG, § 35 Abs. 1 BbgPolG).
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2. P ist eine Vertrauensperson der Polizei (§ 16 Abs. 1 HSOG, § 28 Abs. 1 hamPolDVG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Vertrauenspersonen (umgangssprachlich V-Personen) sind Personen, die der Polizei nicht angehören. Die Vertrauenspersonen werden nicht in eine kriminelle Szene eingeschleust, sondern sind Bestandteil von ihr. Sie kooperieren mit der Polizei und geben Informationen an diese weiter, ohne dass Dritten die Zusammenarbeit bekannt ist. P ist nicht wirklich Kellnerin, sondern gehört der Polizei an. Sie ist somit nicht V-Person.

3. P ist eine verdeckte Ermittlerin (§ 36a Abs. 1 NPOG, § 35 Abs. 1 BremPolG, § 35 Abs. 1 BbgPolG).

Ja, in der Tat!

Eine verdeckt ermittelnde Person ist eine in der Regel gesondert ausgebildete Person, die der Polizei angehört. Sie tritt unter Nutzung einer sog. Legende einem gewissen kriminellen Milieu bei (wie der Motorradclubszene oder der Hooliganszene). Ziel ist es, Insiderinformationen zu erhalten. P ist Polizeivollzugsbeamtin. Sie gibt sich als Kellnerin aus, um Informationen über die Barbesitzer B zu erhalten. P ist eine verdeckte Ermittlerin. Als verdeckt ermittelnde Personen gelten auch Polizeivollzugsbeamte, die sich auf Internetseiten als andere Personen ausgeben, um Informationen zu erhalten.

4. Wenn P zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung ihrer Legende echte Urkunden verändert oder unechte Urkunden herstellt, macht sie sich der Urkundenfälschung (§ 267 ABs. 1 StGB) strafbar.

Nein!

Verdeckt ermittelnde Personen müssen sich zwar rechtstreu verhalten, allerdings enthalten manche Polizeigesetze der Länder eine gesetzlich Gestattung (§ 35 Abs. 2S. 1 BbgPolG, § 185 Abs. 4 S. 1 LVwG, § 26 Abs. 2 S. 1 ASOG). Begeht eine verdeckt ermittelnde Person tatbestandlich eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB), ist diese gesetzlich nach dem jeweils anwendbaren Polizeigesetz erlaubt und nicht rechtswidrig. Selbst wenn P tatbestandlich die Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB erfüllt, handelt sie aufgrund der gesetzlichen Gestattung im jeweilig anwendbaren Polizeigesetz gerechtfertigt. P macht sich nicht gemäß § 267 Abs. 1 StGB strafbar. Die gesetzliche Gestattung stellt ein gutes Einfallstor dar, um in einer Strafrechtsklausur öffentlich-rechtliche Bestandteile abzufragen.

5. Der Einsatz von P hätte vorher richterlich angeordnet werden müssen.

Genau, so ist das!

Der Einsatz von verdeckt ermittelnden Personen unterliegt nach den meisten Polizeigesetzen und polizeilichen Datenverarbeitungsgesetzen einem Richtervorbehalt (§ 21 Abs. 4 S. 1 hamPolDVG, § 31 Abs. 3 S. 1 SPolDVG, § 16 Abs. 5 S. 2 HSOG). Bei Gefahr im Verzug kann die Polizei die Maßnahme in der Regel selbst anordnen, die Entscheidung muss aber richterlich bestätigt werden (§ 34 Abs. 4 S. 2 PAG TH, § 26 Abs. 4 S. 4f. ASOG, § 35 Abs. 4 S. 1 BbgPolG). Teilweise erlauben manche Polizeigesetze auch die Anordnung durch die Polizei, ohne dass dabei Gefahr im Verzug vorliegen muss. So kann in Sachsen-Anhalt der Einsatz von verdeckt ermittelnden Personen durch den Behördenleiter mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft angeordnet werden (§ 18 Abs. 5 S. 1f SOG LSA). P durfte nicht auf eigene Faust entscheiden, verdeckt bei B zu ermitteln. Der Einsatz hätte vorher richterlich bzw. nach manchen Polizeigesetzen zumindest polizeilich angeordnet werden müssen. Die Maßnahme ist formell rechtswidrig. Obwohl die Maßnahme formell rechtswidrig ist, darfst Du in der Klausur nicht mit der Prüfung aufhören, sondern musst auch die materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen.

6. Der Einsatz von P ist zumindest materiell rechtmäßig, weil er zur vorbeugenden Verhütung von Straftaten erfolgt.

Ja, in der Tat!

Je nach anwendbarem Polizeigesetz/ Datenverarbeitungsgesetz kann eine verdeckt ermittelnde Person zur Abwehr einer Gefahr eingesetzt werden (§ 34 Abs. 1 PAG TH, § 35 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BremPolG, § 36 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 1 Nr. 1 NPOG). Gefahrengrad und polizeiliches Schutzgut können je nach Polizeigesetz variieren. Der Einsatz ist nach manchen Polizeigesetzen auch zulässig, wenn der begründete Verdacht der Begehung einer bestimmten Straftat besteht und die Tat dadurch verhindert werden soll (§ 36 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 1 Nr. 2 NPOG, § 16 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 2 HSOG, § 18 Abs. 1 SOG LSA). Der Einsatz dient der Straftatverhütung, sodass er je nach Eingriffsvoraussetzung des anwendbaren Polizeigesetzes materiell rechtmäßig sein kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BU✨

busy B 🐝 ✨

29.8.2024, 13:33:14

Wenn ich in der Klausur zum Ergebnis komme, dass die Maßnahme formell rechtswidrig, aber materiell rechtmäßig ist, was wäre dann die Konsequenz daraus?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

30.8.2024, 11:44:39

Danke für Deine Frage @[busy B 🐝 ✨](247318)! Ist eine Maßnahme formell rechtswidrig, aber materiell rechtmäßig, ist sie rechtswidrig. Wäre das in Deiner Klausur so, müsstest Du zu dem Ergebnis kommen, dass die Maßnahme im Ergebnis rechtswidrig und eine dagegen erhobene Klage begründet ist. Allerdings wird das in der Klausur – zugegebenermaßen – selten der Fall sein. Möglicherweise hast Du dann übersehen, dass (1) die Maßnahme doch nicht formell rechtswidrig ist (z.B. weil die formelle Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts nach § 45 VwVfG umbeachtlich ist) oder (2) dass die Maßnahme auch

materiell rechtswidrig

ist. In jedem Fall darfst Du – wie wir im Klausurhinweis hervorgehoben haben – nicht am Ende der formellen

Rechtmäßigkeit

mit der Prüfung aufhören, sondern musst die

materielle Rechtmäßigkeit

der Maßnahme im Hilfsgutachten weiter prüfen. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

0815jurafuchs

0815jurafuchs

30.10.2024, 08:56:10

Finde hier den Sachverhalt zumindest missverständlich. Laut Sachverhalt arbeit Polizistin P auf eigene Faust als Kellnerin. Dies suggeriert für mich dass sie mindestens ohne Zustimmung ihres Dienstherrn wenn nicht sogar ohne Wissen ihrer Vorgesetzten handelt. Dies ist hier doch aber sicherlich nicht gemeint oder? In diesem Fall wäre die Urkundenfälschung dann nämlich wohl nicht gerechtfertigt. Eine Korrektur des Sachverhalts wäre hier vielleicht angebracht.


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