Besitz als erlangtes Etwas

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Student S ist im Stress wegen den anstehenden Klausuren. Zur Vorbereitung auf die Klausur leiht Eigentümerin E dem S ein Lehrbuch. Dieses arbeitet S in der Uni-Bibliothek durch. In einem unbemerkten Moment stiehlt Kommilitone K das Buch. S verlangt das Buch von K heraus.

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Einordnung des Falls

Besitz als erlangtes Etwas

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als „etwas erlangt“ kommen nur konkrete Vermögenswerte in Betracht (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Bereicherungsgegenstand bei der Nichtleistungskondiktion ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Hierbei kommt es nicht auf einen Vermögenswert oder auf eine Gegenständlichkeit an. K hat den Besitz an dem Lehrbuch erlangt.
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2. K hat das Lehrbuch durch Leistung erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens. S hat weder bewusst, noch zweckgerichtet Ks Vermögen gemehrt. Eine Leistung kommt nicht in Betracht. K hat das Lehrbuch vielmehr gestohlen. Er hat es „auf sonstige Weise“ erlangt.

3. Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist erfüllt, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt.

Ja!

Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Es ist also auf die Rechtsposition, um die es bereicherungsrechtlich geht, abzustellen. Diese muss von der Rechtsordnung dem Gläubiger zur ausschließlichen Verfügung zugewiesen wird. Deutlich wird dies nochmal am Beispiel des Eigentums (§ 903 S. 1 BGB). Die Rechtsordnung weist hier dem Eigentümer sämtliche denkbaren Nutzungsmöglichkeiten der Sache zu. Wer in das Eigentum eingreift, begeht einen Eingriff iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

4. Der Besitz allein vermittelt keine Nutzungsbefugnis. Der Besitz weist somit keinen Zuweisungsgehalt auf. Eine Besitzstörung löst keine Eingriffskondiktion aus.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Besitz als solcher vermittelt Abwehrbefugnisse (§§ 861, 862 BGB). Der berechtigte Besitz kann auch Grundlage einer Eingriffskondiktion sein. Dieser vermittelt auch Nutzungsbefugnisse (bspw. aus einem Mietverhältnisse oder aus einer Leihe). Der Zuweisungsgehalt des berechtigten Besitzes kann sogar jenen des Eigentums verdrängen (vgl. § 986 BGB).

5. Die Bereicherung des K war auf Kosten des S.

Ja, in der Tat!

Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist erfüllt, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt. Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Der berechtigte Besitz vermittelt Ausschluss- und Nutzungsrechte. K hat durch den Diebstahl in S‘ Nutzungsrecht (§ 598 BGB) eingegriffen. Ks Bereicherung war auf S‘ Kosten.

6. Die Bereicherung war ohne Rechtsgrund im Sinne der Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Die Bereicherung des Bereicherungsschuldners ist ohne Rechtsgrund, wenn dem Schuldner kein Behaltensgrund zusteht. Es gibt gesetzliche und vertragliche Behaltensgründe. Gesetzliche oder vertragliche Behaltensgründe sind nicht ersichtlich. Ks Bereicherung war ohne Rechtsgrund. K hat das erlangte Etwas herauszugeben (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

INDUB

InDubioProsecco

10.6.2023, 18:13:28

Verstehe ich es richtig, dass ein Eingriff in den Zuweisungsgehalt der Nutzungsmöglichkeit aus dem Leihvertrag (§

598 BGB

) daran scheitert, dass dieses nur relativ gegenüber E wirkt?

Sambajamba10

Sambajamba10

25.11.2023, 16:07:04

Ja, du verstehst das hier falsch. Der Eingriff besteht hier eben doch. Der berechtigte Besitz besitzt einen Zuweisungsgehalt und dieses zugewiesene Recht greift K ohne rechtlichen Grund ein. Wenn man sich es lebensnah anschaut, ergibt sich auch ohne Weiteres, dass K das Buch hier zurückgeben muss, da S es hier berechtigterweise besaß.

VI

Vivii

13.8.2024, 23:07:58

Wie bestimmt man den Zuweisungsgehalt, wenn man ihn nicht kennt? Gibt es hierzu Methodik?

K.Attalla

K.Attalla

6.9.2024, 16:27:29

Hey, wird hier nicht der Anspruch aus der allgemeinen

Eingriffskondiktion

von den §§ 861 Abs.1, 869 S.1 verdrängt? Schließlich wurde ihm sein

mittelbarer Besitz

entzogen, sodass eine Herausgabe des Buches primär hierüber erfolgen sollte. Würde mich über Antwort freuen. :)

mkrg

mkrg

21.10.2024, 11:28:32

Wenn man das allgemeine Prüfungsschema betrachtet (vertragliche, quasi-vertragliche, dingliche, deliktische und bereicherungsrechtliche Ansprüche) werden die dinglichen Ansprüche zuerst geprüft und sodann die bereicherungsrechtlichen Ansprüche. Ich denke, dass man in der Klausur beides auf jeden Fall ansprechen sollte. Hier sind wir ja im Thema "Bereicherungsrecht". Deswegen wird der dingliche Anspruch wahrscheinlich vorliegend nicht angesprochen :)


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