Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Wirksamkeit von Verwaltungsakten

Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit von Verkehrszeichen (ÖR Rechtsprechung Jurafuchs 2016)

Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit von Verkehrszeichen (ÖR Rechtsprechung Jurafuchs 2016)

22. Mai 2025

18 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die Straßenverkehrsbehörde ordnet die Aufstellung eines Halteverbotszeichen an. Ein Mitarbeiter der Straßenbaubehörde stellt das Schild so auf, dass es durch ein Gebüsch am Straßenrand so verdeckt wird, dass es nicht mehr sichtbar ist.

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Einordnung des Falls

Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit von Verkehrszeichen (ÖR Rechtsprechung Jurafuchs 2016)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Verkehrszeichen wird durch öffentliche Bekanntgabe wirksam.

Ja!

Die Bekanntgabe von Verkehrszeichen erfolgt durch Aufstellen des Verkehrszeichens als eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe (vgl. §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO). Das Verkehrszeichen wird durch die öffentliche Bekanntgabe gegenüber allen Verkehrsteilnehmern wirksam (sogenannte „Ringsumwirkung“).
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2. Für die ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Halteverbotszeichens muss dieses sichtbar aufgestellt werden.

Genau, so ist das!

Für die Bekanntgabe von Verkehrszeichen gilt der sogenannte Sichtbarkeitsgrundsatz. Danach sind die Verkehrszeichen so aufzustellen, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 Abs. 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht sind bei Zeichen, die sich an den ruhenden Verkehr und nicht an den fließenden Verkehr richten, höher. Grundsätzlich besteht aber auch hier nur eine einfache Pflicht zur Umschau und keine Pflicht zur Nachschau.

3. Das Halteverbotszeichen ist wirksam.

Nein, das trifft nicht zu!

Verkehrszeichen sind nach dem Sichtbarkeitsgrundsatz so aufzustellen, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 Abs. 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann.Auch wenn sich das Zeichen an den ruhenden Verkehr richtet und somit höhere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht gelten, ist das Schild laut Sachverhalt nicht durch Umschau sichtbar. Das Halterverbotszeichen genügt damit nicht dem Sichtbarkeitsgrundsatz , sodass es mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksam ist.Eine Nachschaupflicht würde nur dann in Betracht kommen, wenn die konkrete Situation Anlass dazu bietet (zum Beispiel bei Dunkelheit oder beim Vorfinden eines sehr hohen Fahrzeugs, welches das Verkehrszeichen verdecken könnte). Im Übrigen entfällt bei nachträglicher Unkenntlichkeit von Verkehrszeichen nur die innere Wirksamkeit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

23.12.2020, 09:01:43

Den letzten Satz verstehe ich nicht, was bedeutet denn der Wegfall der "inneren Wirksamkeit"? 🤔 Wäre ja interessant, was passiert, wenn ein Gebüsch ein zunächst sichtbares Schild zuwächst.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

23.12.2020, 20:51:03

Absolut berechtigte Frage, insbesondere da das Gesetz selbst nicht ausdrücklich zwischen äußerer und innerer Wirksamkeit differenziert. Nichtsdestotrotz geht man davon aus, dass ein Verwaltungsakt erst das Licht der Welt erblickt, wenn er zumindest 1 person ggü bekanntgegeben wird (sog. Äußere Wirksamkeit). Die Bekanntgabe erfolgt aber nicht unbedingt ggü allen Adressaten gleichzeitig. So ist es zB in baurechts klausuren häufig so, dass dem Nachbar eine Baugenehmigung erst später bekannt gegeben wird. Diesbezüglich spricht man dann von der inneren Wirksamkeit. U.a. für den Lauf der rechtsbehelfsfristen ist diese individuelle Bekanntgabe maßgeblich (wobei im baurecht noch die Besonderheit hinzukommt, dass die faktische Kenntnisnahme des Baus jedenfalls die Jahresfrist auslöst, 58 II vwgo).

TJU

Tr(u)mpeltier junior

23.12.2020, 20:54:43

Wie in der Lösung richtig ausgeführt wird, ist das Schild niemandem bekannt gegeben worden. Denn von Anfang an war es nicht zu erkennen. Damit fehlt es schon an der äußeren Wirksamkeit. Wird es dagegen später uberwuchert oder von Dreck verdeckt, so ändert dies nichts an dieser äußeren Wirksamkeit,der VA bleibt in der Welt. Der einzelne Verkehrsteilnehmer muss sich indes nicht mehr daran halten, denn ihm gegenüber ist die Bekanntgabe nicht erfolgt. Es fehlt also an der inneren Wirksamkeit.

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

23.12.2020, 21:07:31

Ah ok danke! Das Konzept kannte ich, hatte nur die Begrifflichkeiten noch nie gehört ^^

LAULAUA

LaulauAC

15.5.2024, 13:19:47

Stimmt das? Ich habe die sog. Ringsumwirkung so verstanden, dass das Verkehrszeichen ggü. allen Verkehrsteilnehmern und damit auch Abwesenden ggü. bekanntgegeben wird.

in persona

in persona

25.10.2024, 19:22:28

push

schwemmely

schwemmely

5.11.2024, 15:20:28

@[LaulauAC](114790) ja 👍

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

30.4.2025, 20:07:20

Hallo @[TeamRahad 🧞](30535), @[LaulauAC](114790) und @[in persona](249316), was @[Tr(u)mpeltier junior ](48970)sagt, ist im Ergebnis richtig. Lediglich die Terminologie ist etwas ungenau. @[LaulauAC](114790) hat Recht, dass die Bekanntgabe mit der Aufstellung des Verkehrszeichens erfolgt, wenn der Sichtbarkeitsgrundsatz gewahrt ist. Dass das Verkehrszeichen seine innere Wirksamkeit verliert, wenn es seine Sichtbarkeit verliert, liegt nicht daran, dass es den Bürgern, die danach daran vorbeikommen, nicht bekannt gegeben ist, denn wie gesagt, findet die Bekanntgabe ja öffentlich statt und nicht gegenüber jedem einzeln. Vielmehr liegt das Entfallen der inneren Wirksamkeit daran, dass die Regelungswirkung des Verkehrsschildes "unter der auflösenden Bedingung steht, dass das Verkehrszeichen nicht mehr sichtbar ist." - Kümper, JuS 2017, 731 Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

REUS04

Reus04

20.4.2023, 17:44:14

Vorher hieß es mal: „eine nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe hat nach h.M. grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit zur Folge“. Aber hier liegt doch Unwirksamkeit vor oder?

NI

Nilson2503

30.9.2023, 15:11:23

Dafür müsste der VA aber ja dennoch zugegangen sein (§ 8 VwZG). Dadurch, dass das Schild zu keinem Zeitpunkt für jemanden sichtbar war, wurde es praktisch nie bekanntgegeben.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

30.4.2025, 20:10:44

Hallo @[Reus04](127109), dieser von dir zitierte Satz stammt aus einer Aufgabe, in der wir dargelegt haben, dass ein Verwaltungsakt ganz ohne Bekanntgabe unwirksam ist, bei Mängeln in der Form der Bekanntgabe dagegen grundsätzlich nicht. Hier liegt mangels Sichtbarkeit, wie @[Nilson2503](175300) richtig sagt, jedoch schon gar keine Bekanntgabe vor und nicht bloß ein Formmangel. Das ist also kein Widerspruch zu der anderen Aufgabe. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

STE

Stella2244

12.6.2024, 21:19:26

Wie verhält sich der letzte Satz mit der inneren Unwirksamkeit zu der zuvor genannten Ringsumwirkung. ist das nicht widersprüchlich?

schwemmely

schwemmely

5.11.2024, 15:27:17

*push*

schwemmely

schwemmely

5.11.2024, 15:30:22

Wäre auch an Erläuterungen interessiert!!

JUDI

judith

24.4.2025, 14:00:27

Grundsätzlich gilt, die Ringsumwirkung, also das mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens, die

öffentliche Bekanntgabe

gegenüber allen Verkehrsteilnehmern erfolgt. Diese Ringsumwirkung entfaltet sich jedoch nur dann, wenn bei der Bekanntgabe der Sichtbarkeitsgrundsatz gewahrt wurde. Den Verkehrsteilnehmern muss es also möglich sein, das Verkehrszeichen auch visuell erfassen zu können. Da es unterschiedliche Verkehrsteilnehmer gibt (z. B. Radfahrer, Autofahrer, Fußgänger), gelten jeweils unterschiedliche Maßstäbe an die

erforderlich

e Sorgfalt hinsichtlich der visuellen Wahrnehmbarkeit. Mit der „inneren Wirksamkeit“ von Verkehrszeichen ist die individuelle Wirksamkeit des jeweiligen betroffenen Verkehrsteilnehmer gemeint, die eintritt, wenn der Betroffene in den Wirkungsbereich des Verkehrszeichens eintritt und dieses auch wahrnehmen konnte.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

30.4.2025, 19:51:30

Hallo @[Stella2244](227540) und @[schwemmely](114183), ich stimme @[judith ](160833) hier zu. Einen weiteren Unterschied macht es, wenn die Sichtbehinderung nachträglich wieder aufgehoben wird. War das Schild dann von Anfang an nicht sichtbar aufgestellt, ist es nie wirksam bekannt gegeben worden und ist weiterhin unwirksam. War es dagegen nur zwischenzeitlich nicht sichtbar, wurde aber ordnungsgemäß bekannt gegeben, entfaltet es wieder Wirkung, wenn es wieder sichtbar wird. Die Ringsumwirkung betrifft also die äußere Wirksamkeit, während die Sichtbarkeit konkret in dem Moment, wo ein Bürger mit dem Verkehrszeichen in Kontakt kommt, die innere Wirksamkeit betrifft. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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