Individuum (positive Glaubensfreiheit)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 20-jährige A und sein 14-jähriger Bruder B sind streng gläubige Juden. Über Nacht identifizieren sie sich plötzlich als Buddhisten. Gemeindevorsteher G verbietet den Glaubenswechsel. Vor allem B sei viel zu jung, dies selbst zu entscheiden.

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Einordnung des Falls

Individuum (positive Glaubensfreiheit)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann sich bezüglich seines Glaubenswechsels auf seine Glaubensfreiheit berufen.

Ja!

Das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) schützt die Freiheit, religiöse Überzeugungen zu bilden oder sich diesen anzuschließen (forum internum) sowie seinen Glauben nach außen zu tragen und dementsprechend zu handeln (forum externum). Träger der Glaubensfreiheit ist jede natürliche Person, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Es handelt sich um ein sogenanntes „Jedermann-Grundrecht”. A kann sich als natürliche Person bezüglich seines Glaubenswechsels auf das „Jedermann-Grundrecht“ der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) berufen.
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2. B ist als 14-Jähriger nicht selbst Träger der Glaubensfreiheit, sondern seine Eltern. Er kann sich nicht auf die Glaubensfreiheit berufen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch Kinder sind als natürliche Personen selbst Träger ihrer Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Sie steht im Konfliktfall dem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) gegenüber, das die religiöse Erziehung des Kindes umfasst. Das KErzG normiert als einfachgesetzliche Regelung das Verhältnis der beiden Grundrechte. Nach § 5 KErzG ist ein Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahrs religionsmündig. Entscheidungen bezüglich des eigenen Glaubens trifft es ab dann selbst. B ist selbst Träger der Glaubensfreiheit, nicht seine Eltern. Mit Vollendung seines 14. Lebensjahrs ist er religionsmündig. Somit entscheidet er selbst über seinen Glauben. Ihm steht es frei, seinen Glauben zum Buddhismus zu wechseln und kann sich diesbezüglich auf die Glaubensfreiheit berufen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Natze

Natze

14.2.2024, 16:44:24

nochmal zur Klarstellung für holzköpfen wie mir: Sofern ein 12 jähriges Kind den Wunsch hegt seine Religion zu wechseln o.ä. muss es sich von den Eltern vertreten lassen bzw erhält einen Betreuer, wenn die Eltern eine genehmigung/ vertretung verweigern? es könnte aber dennoch prozessual sein GR-ohne religionsmündig zu sein- durchsetzen?

Skra8

Skra8

9.9.2024, 16:37:03

Hi @[Natze](211625), ich finde, das Thema ist auch nicht ganz trivial zu verstehen. Vorweg: Nein, der Zwölfjährige könnte vor dem Bundesverfassungsgericht nicht die Gesamtheit seiner Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG ohne wirksame Prozessvertretung durchsetzen. Zunächst ist es richtig, dass nach § 5 S. 1 KErzG (sog. "Alleinentscheidungsrecht") der Zwölfjährige nicht die Entscheidung darüber hat, welchem religiösen Bekenntnis er sich anschließen will. Das bedeutet: Haben seine Eltern ihn in den muslimischen Glauben eingeführt, kann der Zwölfjährige nicht einfach entscheiden, dass er lieber Christ sein möchte. Der Zwölfjährige kann allerdings gemäß § 5 S. 2 KErzG (sog. "Vetorecht") sich weigern, das bisherige Bekenntnis zu wechseln. Ein Beispiel: Wenn die Eltern Christen werden möchten, der Zwölfjährige aber nicht, darf er dem Religionswechsel widersprechen. Unter dem Strich regelt § 5 KErzG, wann und in welchem Umfang das Kind ein eigenes Antragsrecht im familiengerichtlichen Verfahren erhält (BeckOGK/Bongartz, 1.6.2024, RelKErzG § 5 Rn. 5, beck-online). Allerdings hat diese einfachgesetzliche Regelung auch Einfluss auf das Verfahren der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nach §§ 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG, da die Prozessfähigkeit eines Minderjährigen infrage steht. Während die Religionsfreiheit grundsätzlich jedem Menschen zusteht (BeckOK GG/Germann, 58. Ed. 15.6.2024, GG Art. 4 Rn. 26, beck-online), also auch einem Zwölfjährigen, stellt sich bei Minderjährigen die Frage der "

Grundrechtsmündigkeit

". In diesem Zusammenhang werden §§ 5, 6 KErzG regelmäßig relevant, da diese einfachgesetzlichen Regelungen auch die Verfahrensfähigkeit für eine Verfassungsbeschwerde bestimmen können (Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 63. EL Juni 2023, BVerfGG § 90 Rn. 171, beck-online). Man kann natürlich fragen, ob der Inhalt und somit die Altersgrenze aus §§ 5, 6 KErzG verfassungsgemäß sind, aber ich meine, dieses Thema ist bereits geklärt worden. Vielleicht hilft Dir diese Einordnung?

Natze

Natze

9.9.2024, 17:24:48

Hey, vielen vielen Dank für die Antwort! Es hat mir sehr geholfen ☺️


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