"Osho"-Fall (BVerfG 26.6.2002 , 1 BvR 670/91): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum "Osho"-Fall (BVerfG 26.6.2002 , 1 BvR 670/91): Mitglieder der Bundesregierung in Form eines Adlers bezeichnen die Osho-Bewegung als gefährliche Jugendsekte.

Im Zuge einer öffentlichen Diskussion um neue religiöse Bewegungen Ende der 1970er-Jahre bezeichneten Mitglieder der Bundesregierung die Osho-Bewegung u.a. als „destruktive“ und „pseudoreligiöse“ Jugendsekte. Der M e.V., ein Meditationsverein der Osho-Bewegung, ist empört.

Einordnung des Falls

2002 musste das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Bezeichnung der „Osho“-Bewegung als „destruktive“ und „pseudoreligiöse“ Jugendsekte durch Mitglieder der Bundesregierung gegen die Religionsfreiheit verstoße. Das Bundesverfassungsgericht nahm einen solchen Verstoß an. Die mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigung sei laut Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu messen. Das BVerfG sieht in dem Ziel, Jugendliche durch Informationshandeln vor der Osho-Bewegung zu schützen, zwar einen legitimen Zweck. Allerdings seien die Attribute „destruktiv“ und „pseudoreligiös“ für M diffamierend und damit in Anbetracht der Bedeutung des Grundrechts der Weltanschauungsfreiheit und der Neutralitätspflicht des Staates jedenfalls unangemessen (RdNr. 91ff.).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der M e.V., der die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zum Sinn der Welt und des menschlichen Lebens pflegt, vom persönlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) umfasst?

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Ja!

M ist als Verein des bürgerlichen Rechts (§ 21 BGB) eine juristische Person des Privatrechts und somit nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. BVerfG: Art. 4 GG gelte auch für inländische juristische Personen, „wenn ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses ist“. M verfolgt hier den Zweck, die Lehren des sog. Osho-Rajneesh zu pflegen, die den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens auf umfassende Weise erklären. Dabei handelt es sich jedenfalls um eine Weltanschauung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG (RdNr. 50).

2. Schützt die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) in sachlicher Hinsicht auch vor verfälschenden Darstellungen einer weltanschaulichen Gemeinschaft durch den Staat?

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Genau, so ist das!

Die Religionsfreiheit umfasst das Recht zur Verbreitung einer Weltanschauung sowie zur Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. BVerfG: Bedeutung und Tragweite dieser Gewährleistungen finden darin ihren besonderen Ausdruck, dass der Staat verpflichtet ist, sich in Fragen des weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten und Zurückhaltung zu wahren. Dies ergebe sich aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 und Art. 140 GG (RdNr. 53). Die Religionsfreiheit schützt danach zwar nicht vor kritischer Auseinandersetzung im öffentlichen Diskurs, aber vor verfälschenden sowie diffamierenden und diskriminierenden Darstellungen.

3. Sind die vorliegenden Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung ein Grundrechtseingriff im „klassischen“ Sinn?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem „klassischen“ Eingriffsbegriff muss das staatliche Handeln, das zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt, final, unmittelbar und durch Rechtsakt geschehen sowie mit Zwang durchsetzbar sein (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15.A. 2018, Vorb. Art. 1 RdNr. 25). Die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung erfüllen vorliegend keines dieser Merkmale, da sie lediglich als staatliches Informationshandeln einzustufen sind (RdNr. 68f.). FURZ: final, unmittelbar, durch Rechtsakt, mit Zwang

4. Ist der Grundrechtsschutz der Religionsfreiheit auf Eingriffe im „klassischen“ Sinn beschränkt?

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Nein!

BVerfG: Mittelbar-faktische Beeinträchtigungen seien ebenfalls vom Grundrechtsschutz umfasst. Das Grundgesetz habe den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs gebunden oder diesen inhaltlich vorgegeben (RdNr. 70).Hier sind die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung mittelbar-faktische Eingriffe in die Religionsfreiheit. Sie wirken sich für die Osho-Bewegung negativ aus, denn aufgrund der staatlichen Äußerungen könnten Mitglieder austreten oder Interessenten abgeschreckt werden.

5. Kann sich die Bundesregierung im Rahmen der Rechtfertigung auf ihre verfassungsrechtliche Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit berufen?

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Genau, so ist das!

Das BVerfG sieht die Informationstätigkeit als Teil der - der Bundesregierung zugewiesenen - Aufgabe, „im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit auch auf aktuelle streitige, die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen und damit staatsleitend tätig zu werden“ (RdNr. 73). Die Öffentlichkeitsarbeit sei eine Grundrechtsschranke und ergebe sich aus der verfassungsrechtlichen Aufgabe der Bundesregierung zur Staatsleitung (Art. 62ff. GG).

6. Sind die Äußerungen verfassungswidrig, da keine explizite Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Warnung existiert?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes bedürfen Grundrechtseingriffe einer Ermächtigungsgrundlage. BVerfG: Der Vorbehalt des Gesetzes gelte nicht für Grundrechtsbeeinträchtigungen, die mittelbar-faktische Wirkungen staatlicher Informationen sind. Können Aufgaben der Regierung mittels öffentlicher Informationen wahrgenommen werden, liege in der Aufgabenzuweisung grundsätzlich zugleich eine Ermächtigung zum Informationshandeln. Die Voraussetzungen staatlicher Informationstätigkeit ließen sich aufgrund der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Lebenssachverhalte nicht sinnvoll regeln (RdNr. 76ff.).

7. Ist staatliches Informationshandeln stets zulässig und unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Grenzen?

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Nein!

BVerfG: Dass keine besondere Ermächtigung zum Informationshandeln erforderlich ist, bedeutet nicht, dass dieser Tätigkeit keine verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzt sind. Erforderlich sei zum einen, dass die Kompetenzordnung des GG (Verbands- und Organkompetenz) gewahrt ist, die handelnden Organe sich also im Rahmen ihrer Zuständigkeit äußern. Zum anderen müsse die Tätigkeit den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen (RdNr. 83ff.).

8. Verstoßen die Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung über die Osho-Bewegung gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Auch mittelbar-faktisches Informationshandeln unterliegt verfassungsrechtlichen Grenzen. Die handelnden Organe dürfen sich insoweit nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit äußern. BVerfG: Die Äußerungen seien Teil der staatsleitenden Informationsarbeit der Bundesregierung gewesen. Denn sie stellten einen Beitrag in der Auseinandersetzung mit neuen religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen dar, den die Bevölkerung von der Bundesregierung als staatsleitendem Organ erwarte. Die Äußerungen bewegten sich auch im Rahmen der Verbandskompetenz der Bundesregierung. Anlass für die Äußerungen waren Vorgänge in der Osho-Bewegung, die sich nicht auf ein oder mehrere Bundesländer beschränkten sowie Bezüge zum Ausland aufwiesen und damit einen öffentlichen Handlungsbedarf des Bundes auslösten (RdNr. 87ff.).

9. Verstoßen die Bezeichnung der Osho-Bewegung als "destruktiv" und "pseudoreligiös" durch Mitglieder der Bundesregierung nach Ansicht des BVerfG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

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Ja, in der Tat!

Auch mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen sind am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu messen. Das BVerfG sieht in dem Ziel, Jugendliche durch Informationshandeln vor der Osho-Bewegung zu schützen, zwar einen legitimen Zweck. Allerdings seien die Attribute „destruktiv“ und „pseudoreligiös“ für M diffamierend und damit in Anbetracht der Bedeutung des Grundrechts der Weltanschauungsfreiheit und der Neutralitätspflicht des Staates jedenfalls unangemessen (RdNr. 91ff.).

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