Examensrelevante Rechtsprechung

Rechtsprechung Strafrecht

Allgemeiner Teil

Freiwilliger Rücktritt bei herannahendem Zeugen?

Freiwilliger Rücktritt bei herannahendem Zeugen?

27. Juni 2023

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

Prüfungsschema

Wie prüfst Du den Rücktritt vom unbeendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)?

  1. Kein fehlgeschlagener Versuch
  2. Unbeendeter Versuch
  3. Rücktrittshandlung: Aufgabe der weiteren Tatausführung (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)
  4. Freiwilligkeit

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T ist dabei mit einem Baseballschläger auf den am Boden liegenden und blutenden O einzuschlagen. Er lässt davon ab, weil er merkt, dass zeugen herannahen.

T schlägt mit Tötungsvorsatz auf O ein. O erleidet Knochenbrüche. T sieht, dass O noch nicht lebensgefährlich verletzt ist. Als sich mehrere Jogger nähern, erkennt T, dass das Entdeckungsrisiko bei weiterer Tatausführung zu groß wird. Er flieht im Auto.

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Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich in diesem Urteil mit dem Merkmal der Freiwilligkeit im Rahmen des Rücktritts vom Versuch. Hiernach könne der Anstoß, von der Tatvollendung abzulassen, auch von außen kommen, solange nicht angezweifelt wird, dass der Täter diese Entscheidung trotzdem autonom getroffen hat. Die Freiwilligkeit scheidet erst dann aus, wenn der Täter denkt, dass die von außen kommenden Ereignisse der Tatvollendung zwingend entgegenstehen.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T sich wegen versuchten Totschlages (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er mit dem Baseballschläger auf O eingeschlagen hat?

Genau, so ist das!

Der Tod ist nicht eingetreten und der Versuch ist gemäß § 23 Abs. 1 StGB strafbar. T hat laut Sachverhalt Tötungsvorsatz und hatte mithin den Tatentschluss - den Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale - gefasst. Durch das Einschlagen auf O hat er ebenfalls subjektiv die Schwelle zum "Jetzt-geht's-los" überschritten und nach seiner Vorstellung objektiv das Rechtsgut konkret gefährdet und mithin unmittelbar zum Totschlag angesetzt. T handelte rechtswidrig und schuldhaft.
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2. Kann man vom Versuch einer Straftat bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen strafbefreiend zurücktreten?

Ja, in der Tat!

In Anschluss an die Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit ist stets an den persönlichen Strafaufhebungsgrund des Rücktritts (§ 24 StGB) zu denken. Soweit der Versuch noch nicht fehlgeschlagen ist, d.h. der Täter erkennt oder meint zu erkennen, dass er die Tatbestandsverwirklichung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln noch ohne erhebliche zeitliche Zäsur herbeiführen kann, kann der Täter durch den Rücktritt strafbefreiend den Unwert der begangenen Tat rückgängig machen: Ihm soll eine Goldene Brücke zurück in die Legalität gebaut werden, wenn er beschließt, die Tatausführung aufzugeben oder die Vollendung zu verhindern. Dies bildet einen Anreiz für den Täter und dient dem Opferschutz.

3. Hier liegt ein beendeter Versuch des T vor. Hat T alles Erforderliche für den Tod der O getan?

Nein!

Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter seiner Vorstellung nach noch nicht alles Erforderliche für die Tatbestandsverwirklichung getan hat. Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter denkt, er habe alles Erforderliche für die Tatbestandsverwirklichung getan. T sieht hier, dass O noch nicht lebensgefährlich verletzt ist: Er hat seiner Vorstellung nach noch nicht alles Erforderliche für die Herbeiführung des Tötungserfolges getan. Mithin liegt hier ein unbeendeter Versuch vor.

4. Müsste T die Tat nur aufgeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB), da der Versuch noch nicht beendet ist?

Genau, so ist das!

Bei einem unbeendeten Versuch liegt die erforderliche Rücktrittshandlung in der Aufgabe der Tat.

5. Müsste T auch freiwillig zurückgetreten sein?

Ja, in der Tat!

Freiwillig bedeutet, dass der Täter die Tat aus autonomen Motiven aufgibt. BGH: Die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach Einwirken eines Dritten erfolgt, stelle für sich genommen die Autonomie der Täterentscheidung nicht in Frage. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Tätersicht ein Hindernis geschaffen worden sei, das einer Tatvollendung zwingend entgegenstehe, sei er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und die daraufhin erfolgte Aufgabe der Tat unfreiwillig. Dies könne dann der Fall sein, unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (RdNr. 10).

6. Ist T freiwillig zurückgetreten?

Nein!

T hat die Tat aufgegeben, da er sich infolge des Herannahens der Zeugen in der Unterzahl wähnte und von einer Tatvollendung gehindert sah.

7. Hat T sich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB) strafbar gemacht, indem er auf O mit dem Baseballschläger einschlägt?

Genau, so ist das!

Eine Körperverletzung liegt durch die Knochenbrüche der O vor. T verletzt mittels eines gefährlichen Werkzeuges - eines, welches durch seine objektive Beschaffenheit und Art der konkreten Verwendung dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen beizubringen. Seine Handlung stellt eine das Leben gefährdende Behandlung dar. T handelte auch vorsätzlich bezüglich der gefährlichen Körperverletzung. Der Tatbestand ist mithin erfüllt, er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

18KA

18 Punkte Kandidat

21.3.2022, 15:51:56

Aber hier geht's es doch lediglich um die Tatverschleierung. Im Sachverhalt ist gerade nicht geschildert, dass der T sich aufgrund der Zeugen nicht mehr in der Lage sah, die Tat zu vollenden, sondern nur, dass er die Verschleierung nicht mehr für möglich hielt

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 11:47:53

Hallo 18 Punkte Kandidat, vielen Dank für Deinen Impuls. Wir habend den Sachverhalt hier noch einmal präzisiert. In der Tat muss es letztlich um die Frage gehen, inwieweit der Täter die Tat noch hätte vollenden können. Die Entdeckung der Tat kann indes eine "nicht mehr vertretbare Gefährdung der eigenen Interessen darstellen, aufgrund derer der Täter sich an der Tatvollendung gehindert sah". Insoweit stehen die Möglichkeit der Verschleierung und die Vollendung der Tat durchaus in einem Konnex. Im Originalfall hatte der BGH den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz verwiesen, da bezüglich dieser Frage noch Unklarheit bestand. Wir haben dies hier dagegen eindeutiger gefasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

16.4.2025, 10:13:46

„T müsste die Tat nur aufgeben“ passt meiner Meinung nicht ganz, insbesondere weil in der nächsten Frage ja noch auf die Notwendigkeit der Freiwilligkeit abgestellt wird. Ich habe die Frage mit „stimmt nicht“ beantwortet, weil er ja nicht lediglich die Tat aufgegeben haben müsste, sondern sie freiwillig aufgegeben haben müsste. So wie die Aussage da aktuell steht impliziert sie nämlich mMn, dass auch eine unfreiwillige Aufgabe genügt


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