Bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB: Grundfall

31. Mai 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nordlicht N hat das Wanderfieber gepackt. Angetan vom idyllischen bayerischen Alpenvorland ersteht er Almgrund, um selbst "so eine urige Hütte" zu errichten. Abseits von jeder Zivilisation erwartet er keinerlei Probleme mit den örtlichen Behörden.

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Einordnung des Falls

Bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB: Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Baufreiheit bzw. die Freiheit zur Bebauung von Grund und Boden besteht nur im Rahmen der Gesetze.

Genau, so ist das!

Das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) ist ein normgeprägtes Grundrecht. Inhalt und Schranken werden durch den Gesetzgeber bestimmt (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG). Zudem ist die Nutzung des Eigentums sozialpflichtig (Art. 14 Abs. 2 GG). Auch die Baufreiheit unterliegt gesetzlichen Schranken. Zum Schutz von Allgemeininteressen (u.a. Sicherheit) und öffentlich geschützten Interessen der von Bauvorhaben besonders Betroffenen (v.a. Nachbarn) normiert das Baurecht Vorgaben für "Ob" und "Wie" eines Bauvorhabens. Diese werden regelmäßig im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens überprüft, an dessen Ende Erteilung oder Versagung einer Baugenehmigung steht.
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2. Das Bauplanungsrecht dient der Lenkung der städtebaulichen Entwicklung und dem Schutz des Außenbereichs.

Ja, in der Tat!

Während das Bauordnungsrecht vorrangig der Gefahrenabwehr, der Verwirklichung ästhetischer Belange und der Gewährleistung ökologischer und sozialer Standards dient, lenkt das Bauplanungsrecht die städtebauliche Entwicklung und schützt den Außenbereich. Anders als das Bauordnungsrecht ist das Bauplanungsrecht nicht objekt-, sondern flächenbezogen. § 30 BauGB i.V.m. §§ 1 ff. BauNVO und die §§ 34, 35 BauGB beschränken die Baufreiheit des Einzelnen; sie stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.

3. Ein Vorhaben muss sich an den bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen messen lassen, wenn es eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 BauGB zum Gegenstand hat.

Ja!

Der bauplanungsrechtliche Anlagenbegriff erfasst Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und bodenrechtliche Relevanz aufweisen. Eine Anlage im bauordnungsrechtlichen Sinne liegt dagegen vor, wenn diese fest mit dem Erdboden verbunden und aus Bauprodukten hergestellt ist.

4. Entscheidendes Differenzierungskriterium ist das Kriterium der bodenrechtlichen Relevanz.

Genau, so ist das!

Anders als beim bauordnungsrechtlichen Anlagenbegriff kommt es beim bauplanungsrechtlichen Anlagebegriff entscheidend auf die bodenrechtliche Relevanz der Anlage (teilweise auch als planungsrechtliche oder städtebauliche Relevanz benannt) an. Hierin spiegelt sich der unterschiedliche Regelungszweck von Bauplanungsrecht (städtebauliche Entwicklung) und Bauordnungsrecht (Gefahrenabwehr) wider. Das Kriterium der bodenrechtlichen Relevanz ist vor dem Hintergund der Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Länder zwingend. Denn die Gesetzgebungskompetenz des Bundes erfasst gerade nicht die Gesamtmaterie Baurecht, sondern nach Art. 74 Nr. 18 GG nur den schmalen Bereich des Bodenrechts.

5. Bodenrechtlich relevant ist eine Anlage, wenn diese die nachhaltige Bodenfunktion beeinträchtigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Synonym zur bodenrechtlichen Relevanz ist der insoweit aufschlussreichere Begriff der städtebaulichen Relevanz. Demnach besteht eine bodenrechtliche Relevanz, wenn die Anlage die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen, die ihre Zulässigkeit regelt. Die Sicherung und Wiederherstellung der nachhaltigen Bodenfunktion bezwecken übrigens das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) und die Bodenschutzgesetze der Länder.

6. Die Almhütte abseits jeder Zivilisation ist städtebaulich nicht von Belang gem. § 1 Abs. 5 und 6 BauGB. Damit ist sie keine Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB.

Nein!

Der bauplanungsrechtliche Anlagenbegriff erfasst Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen, die ihre Zulässigkeit regelt. Maßstab dafür ist nicht das konkrete Vorhaben, sondern seine gedachte Häufung. Weil bei gedachter Häufung Belange des Umwelt- und Landschaftsschutzes, § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB, und die Versorgung mit Grünflächen, § 1 Abs. 6 Nr. 14 BauGB, tangiert würden, weist die Almhütte städtebauliche und damit bodenrechtliche Relevanz auf. Sie stellt eine Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB dar. Entscheidend ist die Berührung von Belangen. Ob die Anlage diese beeinträchtigt oder ihnen dient ist dagegen nicht maßgeblich. In der Baurechtsklausur wird i.d.R. eine Anlage i.S.d. § 29 BauGB gegeben sein.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

6.9.2022, 15:46:49

In der Antwort auf die zweite Frage werden Normen der BauNVO zitiert. Es handelt sich jedoch um Normen des BauGB.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.9.2022, 11:56:09

Hallo QuiGonTim, tatsächlich setzt sich der Verweis aus beiden Gesetzen zusammen. § 30 BauGB bezieht die Normen der BauNVO ein. Wir haben die Zitierung jetzt so angepasst, dass auch die des BauGB aufrufbar sein müsste. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

STUD

StudyingLaw

16.9.2022, 18:35:41

Hey, Ich finde es wäre sinnvoll, hier § 1 Abs. 5 & 6 BauGB direkt zu verlinken, damit die

bodenrechtliche Relevanz

anhand des Gesetzes überprüft werden kann, ohne, dass man über 29 I BauGB gehen muss. :) Liebe Grüße :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.9.2022, 19:16:59

Hallo StudyingLaw, danke für den Hinweis. Die haben wir direkt mit verlinkt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

1.11.2022, 08:28:14

Ist das nicht ein wunderschöner Zirkelschluss? Das Bauplanungsrecht stützt sich auf die

bodenrechtliche Relevanz

. Diese besteht, wenn die Anlage die Belange in einer Weise berührt, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.11.2022, 13:06:10

Hallo Johannes Nebe, könnte man auf den ersten Blick meinen. Tatsächlich ist

bodenrechtliche Relevanz

und damit das Bedürfnis nach verbindlicher Bauleitplanung ja eine Umschreibung dafür, dass ansonsten Belange des Umwelt- oder Gesundheitsschutzes oder anderes gefährdet oder beeinträchtigt wären. Angeknüpft wird also an außerhalb des unmittelbaren Baurechts liegende Belange. Ein Zirkelschluss liegt somit nicht vor auch wenn der Wortlaut einen verleitet das Gegenteil anzunehmen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

3.11.2022, 13:10:06

Ja, das ist eine gute Sichtweise.

OKA

okalinkk

20.3.2025, 20:12:03

Die Aufgabe ist sehr hilfreich, um den Begriff der

bodenrecht

lichen Relevanz zu verstehen. Danke!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

21.3.2025, 18:11:53

Hallo okalinkk, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

JulyLande

JulyLande

7.5.2025, 05:41:43

Hallo :) Eher eine Frage, die ins Bauordnungsrecht gehört, sie ist mir aber hier am Anfang gekommen, als zwischen Anlage im bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Sinne abgegrenzt wurde. Dort wurde geschrieben, im Bauordnungsrecht ginge es unter anderem um "ästethische Belange". Könnt ihr evtl. mal ein Beispiel für einen solchen Belang mit Norm (vorzugsweise BauO NRW) geben? Ich habe mal in die BauO reingeschaut und finde prima facie nichts, was ich darunter subsumieren würde. Dankeschöön :))!

CLA

Constantin Lammert

9.5.2025, 08:43:21

"

Bodenrecht

lich relevant ist eine Anlage, wenn diese die nachhaltige Bodenfunktion beeinträchtigt." Dass dies nicht das einzige Kriterium ist, ist klar, da es noch andere Belange gibt, die gemäß §1 Abs. 5 und 6 BauGB eine

bodenrechtliche Relevanz

zur Folge haben. Aber die Beeinträchtigung der nachhaltigen Bodenfunktion impliziert gemäß §1 Abs. 6 Nr. 7a eine

bodenrechtliche Relevanz

. Es ist somit eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung. Was mich hierbei jedoch verwirrt ist, dass aufgrund der Flächenversiegelung fast jedes Bauvorhaben eine

bodenrechtliche Relevanz

aufweisen würde - besonders bei gedachter Häufung. Die einzige Ausnahme, die mir spontan einfällt, ist mir im vergangenen Winter auf einer Gemeinderatssitzung in Fischach begegnet. Dort wollte ich mir eigentlich die Abstimmung über die Errichtung eines Funkmast im Wald anschauen, gegen den einige Bürger mobil gemacht haben. Aber in einem anderen Tagesordnungspunkt ging es um eine Erweiterung einer Ferienanlage, nämlich dem "touristisch relevanten und wertvollen" Baumhaus in Siegertshofen. Das Grundstück befand sich - wenn ich mich richtig erinnere - zum Teil im unbeplanten Innenbereich und zum anderen Teil im Außenbereich. Das Gebiet im Außenbereich war außerdem Teil des Naturparks (Naturschutzgebiet) und eines anderen Naturschutzgebiets, die Bereiche beider Naturschutzgebiete überlappten sich soweit ich mich erinnere teilweise. Einige Anlagen im Außenbereich wurden als landwirtschaftliche Anlagen errichtet - hierfür wurden teilweise Flächen der Gemeinde, die zuvor nicht als Naturschutzgebiet der einen Art galten, umdeklariert. Andere jedoch mussten im Einklang mit den Auflagen der anderen Art von Naturschutzgebiet (und den anderen Bestimmungen natürlich) errichtet werden und da es sich um weitere Baumhäuser handelte, konnte nach einem Umweltgutachten, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass Baumhäuser nicht die Bodenentwicklung beeinträchtigen (da ich mich bereits mit bodenbildenden Prozessen im Studium auseinander gesetzt habe, weiß ich, dass das nicht ganz stimmt, aber vermutlich gibt es ein gewisses Maß an Beeinflussung, das nach dem BBodSchG oder dem BayBodSchG nicht als Beeinträchtigung gilt), die Genehmigung (eigentlich ging es zuerst einmal um die Festsetzung oder Änderung des Bebauungsplanes, allerdings ist diese ja entscheidend für die Genehmigungsfähigkeit) im Rahmen der Abstimmung erteilt werden. Wenn ich gerade darüber nachdenke, kommen mir noch mehr Fragen oder

Feststellung

en als die ständige Implikation einer

bodenrecht

lichen Relevanz durch Flächenversiegelung. 1. Wenn es so viele Möglichkeiten der Bauleitplanung gibt und der Bebauungsplan so entscheidend ist, erteilt deswegen die Bau

behörde

die Genehmigung, weil man davon ausgeht, dass die Gemeinderatsmitglieder im Allgemeinen* juristische Laien sind und nicht alle Verordnungen und Bestimmungen prüfen können? Oder warum ist die Verteilung der Zuständigkeiten so geregelt? Ich kann es mir noch mit dem verbundenen Aufwand erklären. Schließlich sind die Beamten der Bau

behörde

hauptberuflich damit beschäftigt. (*der Vorsitzende in Fischach war Jurist) 2. Ich frage mich als Geoinformatiker, ob und wo die Daten über die verschiedenen Bebauungspläne, Naturschutzgebiete, etc. einsehbar sind (ich würde dann nachsehen, welche Arten von Naturschutzgebieten es in diesem Fall

ware

n). 3. Außerdem Frage ich mich zumindest bei den Bebauungsplänen, ob es ähnlich dem §1 IFG, Landesgesetze gibt, die die Transparenz derartiger Daten sicherstellen. Bei den Naturschutzgebieten könnte es sich ja auch um bundesrechtliche Bestimmungen handeln. Sind diese dann nach §1 IFG frei zugänglich? Zählt die Festsetzung der konkreten Flächen nicht als Verwaltungshandeln oder gibt es Vorgaben, die die Kommunen im Rahmen der Bundesgesetze erfüllen müssen und somit ist es ein Verwaltungshandeln der Kommunen aufgrund eines Bundesgesetzes? 4. Welche Gesetze für die Bestimmung von Gebieten als Naturschutzgebiet gibt es eigentlich? Vielen Dank im Voraus und einen schönen Tag!

CLA

Constantin Lammert

9.5.2025, 10:19:46

Ich glaube, dass ich vergessen habe, dass die Berührung der Belange des §1 Abs. 5 und 6 BauGB in einer Weise geschehen muss, die das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung, die ihre Zulässigkeit regelt, hervorruft. Und unter diesem Gesichtspunkt ist die Bodenversiegelung in der Regel nicht mehr bodenechtlich relevant. Richtig?


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