Strafrecht
BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.
Nötigung, § 240 StGB
Überholen nur mit Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
Überholen nur mit Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
2. April 2025
7 Kommentare
4,7 ★ (3.017 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T fährt mit erlaubten 100 km/h auf der Landstraße. O kommt mit seinem Auto von hinten an den T herangeflogen. T will den O ein wenig „drosseln“ und zieht daher ganz leicht zur Mitte der Fahrbahn, während O noch weit genug entfernt ist, sodass eine Gefährdung ausgeschlossen ist.
Diesen Fall lösen 79,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Überholen nur mit Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Für den objektiven Tatbestand der Nötigung in der Var. 1 des § 240 Abs. 1 StGB müsste T Gewalt ausgeübt haben, indem er beim Überholversuch des O auf die Fahrbahnmitte zog.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Handlung des T ist als verwerflich einzustufen (§ 240 Abs. 2 StGB).
Nein!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon
14.9.2023, 18:41:58
Ich finde, das kann man durchaus anders sehen. §
240 StGBschützt die Willensfreiheit, sodass auch Os Entschluß, sich verkehrswidrig zu verhalten, vom "Schutzbereich" erfasst ist. Ob der Staat verfassungsmäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit des O eingreifen kann, da ein solcher
Eingriffzum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer gerechtfertigt wäre, ist eine andere Frage. Dadurch ist das Verhalten des O aber dennoch von seiner Willensfreiheit umfasst. Zweck der
Nötigungist hier das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung, also für sich genommen nicht verwerflich. Maßgeblich kommt es mE daher auf das Mittel an. Hier ist zunächst festzuhalten, dass T nicht die zuständige
Behördeist, um staatliche Verbote gegenüber O durchzusetzen. Hinzu kommt, dass noch keine Gefährdung des T vorlag. Vielmehr maßt sich der T eine dem O übergeordnete Stellung an und handelt wie der Staat, der ein Verbot gegenüber dem Bürger aufgrund seiner Überordnung durchsetzt. Daher könnte man vielleicht noch einen Hinweis aufnehmen, dass eine aA ebenfalls vertretbar ist.
Juratiopharm
7.6.2024, 14:31:46
"Ganz leicht" zur Spurmitte zu fahren und die zulässige Höchstgeschwindigkeit fahren ist mMn nicht "sozial unerträglich" und damit, wenngleich "nicht schön" nicht auf der Schwelle zur strafwürdigen
Nötigung. Grade die soziale Perspektive bei der
Verwerflichkeitsprüfung spricht in meinen Augen hierfür, weil die Gesellschaft (durch den Staat) sagt: Hier 100 km/h, Bruder.

Simon
7.6.2024, 22:16:17
Du hast natürlich Recht: Der Weg der Lösung ist schon der überzeugendere. Ich wollte hier einfach mal den "advocatus diaboli" spielen 😅

Juraganter
15.12.2024, 17:18:15
Naja, gegen das Rechtsfahrgebot zu verstoßen, nur um jemanden die Leviten zu lesen, kann es ja wohl auch nicht sein. Mit Ruhm haben sich da beide nicht bekleckert.

Sebastian Schmitt
3.3.2025, 18:32:35
Hallo @[Simon](131793), darüber kann man sicherlich diskutieren. Ich persönlich (!) würde mich aber letztlich @[Juratiopharm](137466) dahingehend anschließen, dass die (evtl sogar deutlich) besseren Argumente gegen eine Strafbarkeit des T sprechen. Inhaltlich dazu von mir nur ergänzend: Zunächst mal kann man sehr intensiv darüber diskutieren, was genau der
Schutzzweckdes § 240 I StGB ist und ob es iE wirklich die unbegrenzte Willens(entschluss)freiheit sein soll - und nicht etwa nur die "rechtlich erlaubte" oder Ähnliches (dazu zB MüKoStGB/Sinn, 4. Aufl 2021, § 240 Rn 5 ff). Und natürlich maßt sich T hier "staatsähnliche" Befugnisse an. Das tut aber (fast) jeder, der zur Durchsetzung der Rechtsordnung handelt (ob materiell zu Recht oder nicht), weil das Gewaltmonopol nun mal grds beim Staat liegt. Und @[Juraganter](224241): Du hast natürlich völlig Recht, dass das Verhalten des T hier nicht gerade "sauber" war, s § 2 I 1, II, 49 I Nr 2 StVO, und dafür kann es dann zu Recht ein Buß
geldgeben. Ob das iRv § 240 I StGB (ebenfalls) den Ausschlag gibt, ist dann aber nicht zwingend, deswegen ja unsere Diskussion. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team